PLATON - Gesammelte Werke. Platon
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Euthyphron: Mir aber, o Sokrates, scheinen unsere Reden gerade dieses Scherzes zu bedürfen. Denn dies Herumgehen und nicht an Ort und Stelle bleiben habe ich nicht in sie hineingelegt, sondern du, denke ich, der Daidalos. Denn meinetwegen wären sie immer so geblieben.
Sokrates: So scheine ich ja beinahe jenen Mann um soviel zu übertreffen in der Kunst, als er nur sein eigenes konnte in Bewegung bringen, ich aber außer dem meinigen, wie es scheint, auch fremdes. Und das eben ist die rechte Feinheit in meiner Kunst, daß ich wider Willen kunstreich bin. Denn ich wollte ja weit lieber, daß die Reden mir blieben und unbeweglich ständen, als daß ich zu der Weisheit des Daidalos hernach auch den Reichtum des Tantalos bekäme. Doch dem sei genug. Weil du mir aber weichlich zu sein scheinst: so will ich mich mit dir bemühen zu zeigen, wie du mich belehren könnest über das fromme; und werde mir nur nicht vorher müde. Sieh also zu, ob du nicht für notwendig hältst, daß alles fromme auch gerecht sei?
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Etwa auch alles gerechte fromm? oder alles fromme zwar gerecht, das gerechte aber nicht alles fromm, sondern einiges davon zwar fromm, anderes aber auch anders?
(12) Euthyphron: Ich folge nicht, Sokrates, dem was du sagst.
Sokrates: Du bist ja doch um nicht viel wenigeres jünger, als du auch weiser bist denn ich. Aber, wie ich sage, du bist weichlich aus Überfluß von Weisheit. Allein, du Glücklicher, nimm dich ein wenig zusammen: denn es ist ja gar nicht schwer zu verstehen, was ich meine. Ich meine nämlich das Gegenteil von dem, was jener Dichter gedichtet hat, welcher sagt: Aber den Zeus, ders wirkte, der dies alles geordnet weigerst zu nennen du dich, denn wo Furcht, da immer ist Scham auch. Ich nun weiche ab von diesem Dichter; soll ich dir sagen wie?
Euthyphron: Sage es freilich.
Sokrates: Mich dünkt nicht, wo Furcht ist immer die Scham auch. Denn Viele, denke ich, welche Krankheit, Armut und dergleichen vielerlei fürchten, fürchten dies zwar, aber schämen sich keinesweges dessen, was sie fürchten. Denkst du nicht auch?
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Wohl aber dünkt mich wo Scham da immer auch Furcht zu sein. Oder gibt es wohl jemand der eine Sache scheuend und sich schämend nicht auch Furcht und Angst hätte vor dem Ruf der Schlechtigkeit?
Euthyphron: Gewiß fürchtet er ihn.
Sokrates: Also ist es nicht richtig zu sagen: Wo nur Furcht ist immer die Scham auch; wohl aber, wo Scham ist immer die Furcht auch. Nämlich größer ist, glaube ich, die Furcht als die Scham: denn die Scham ist ein Teil der Furcht, so wie das ungerade ein Teil der Zahl ist. Wie denn auch nicht überall, wo nur Zahl immer auch ungerades ist, wo aber ungerades ist, da ist immer auch Zahl. Nun folgst du mir doch wohl?
Euthyphron: Vollkommen.
Sokrates: In demselben Sinne nun fragte ich auch dort, ob etwa wo gerechtes immer auch frommes ist, oder zwar wo frommes immer auch gerechtes, wo aber gerechtes nicht überall frommes, weil nämlich das fromme ein Teil des gerechten ist. Wollen wir dies behaupten oder willst du anders?
Euthyphron: Nein, sondern so, denn es leuchtet mir ein, daß dies richtig ist.
Sokrates: Sieh also auch das folgende. Denn wenn das fromme ein Teil des gerechten ist, so liegt uns ob, wie es scheint, abzufinden, welcher Teil des gerechten das fromme denn ist. Wenn du mich nun über etwas von dem vorigen fragtest, wie was für ein Teil der Zahl wohl das gerade wäre, und welche Zahl dies eigentlich ist, so würde ich sagen es ist die, welche nicht schief ist, sondern gleichschenkelig. Oder meinst du nicht?
Euthyphron: Ich gewiß.
Sokrates: Versuche also auch du eben so mir zu zeigen, was für ein Teil des gerechten das fromme ist, damit ich doch dem Melitos sagen kann, er solle mir nicht länger Unrecht tun und mich der Gottlosigkeit verklagen, indem ich von dir schon vollkommen gelernt hätte, was gottesfürchtig und fromm ist, und was nicht.
Euthyphron: Mich dünkt also, o Sokrates, derjenige Teil des gerechten das gottesfürchtige und fromme zu sein, der sich auf die Behandlung der Götter bezieht; der aber auf die der Menschen ist der übrige Teil des gerechten.
Sokrates: Und sehr schön, o Euthyphron, scheinst du mir dies (13) erklärt zu haben. Nur noch ein Weniges fehlt mir, die Behandlung nämlich verstehe ich noch nicht recht, was für eine du meinst: denn gewiß meinst du nicht, wie man von einer Behandlung anderer Dinge redet, eine solche auch der Götter. Denn wir reden so auch sonst. So zum Beispiel sagen wir, nicht Jedermann wisse Pferde zu behandeln, sondern nur der Reuter. Nicht wahr?
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Nämlich die Reitkunst ist die Behandlung der Pferde.
Euthyphron: Ja.
Sokrates: Auch Hunde weiß nicht jeder zu behandeln, sondern der Jäger.
Euthyphron: So ist es.
Sokrates: Zur Jägerei nämlich gehört auch die Behandlung der Hunde.
Euthyphron: Ja.
Sokrates: Und die Viehzucht ist die der Ochsen.
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Und die Frömmigkeit und Gottesfurcht, o Euthyphron, die der Götter. Meinst du so?
Euthyphron: So meine ich es.
Sokrates: Bezweckt aber nicht alle Behandlung ein und dasselbige, sie gereicht nämlich irgendwie zum Besten und zum Vorteil dessen, was man behandelt, wie du wohl siehst, daß die Pferde, von der Reitkunst behandelt und bedient, vorteilen und besser werden. Oder denkst du nicht?
Euthyphron: Ich wohl.
Sokrates: Eben so die Hunde von der Jägerei, die Ochsen von der Rindviehzucht und alles andere gleichermaßen. Oder meinst du, die Behandlung gereiche zum Schaden des Behandelten?
Euthyphron: Ich nicht, beim Zeus.
Sokrates: Sondern zum Nutzen?
Euthyphron: Wie anders?
Sokrates: Ist also auch die Frömmigkeit, da sie die Behandlung der Götter ist, ein Vorteil für die Götter, und macht die Götter besser? Und würdest du das gelten lassen, daß wenn du etwas frommes verrichtest, du dadurch einen der Götter besser machst?
Euthyphron: Beim Zeus, ich nicht!
Sokrates: Auch ich, o Euthyphron, glaube nicht, daß du dies meinst; weit gefehlt! Sondern eben deshalb fragte ich vorher was für eine Behandlung