Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

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Gesammelte Werke - Sinclair Lewis

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daß ich weiß, ich weiß gar nichts vom Krieg.«

      Nicht ein Gedanke an den Krieg blieb ihr nach Miles Vortrag, sondern die Erkenntnis, daß sie und Vida und alle Wohlmeinenden, die »etwas für das gewöhnliche Volk tun« wollen, bedeutungslos seien, weil das »gewöhnliche Volk« imstande sei, für sich selbst zu handeln, und es wahrscheinlich auch tun werde, sobald es den Tatbestand erkannt habe. Die Vorstellung, daß Millionen Arbeiter wie Miles ans Ruder kämen, erschreckte sie, und hastig rettete sie sich vor den Gedanken an eine Zeit, in der sie nicht mehr die gute Fee für die Bjornstams und Beas und Oscarinas sein würde, die sie liebte – und von oben herab begönnerte.

      3

      Im Juni, zwei Monate nach Amerikas Eintritt in den Krieg, geschah das große Ereignis – der Besuch des großen Percy Bresnahan, des millionenschweren Generaldirektors der Velvet Motor Car Company in Boston, des Sohnes der Stadt, der vor Fremden immer erwähnt werden mußte.

      Zwei Wochen lang kursierten Gerüchte. Sam Clark rief Kennicott zu: »Hören Sie, Perce Bresnahan soll kommen! Herrgott noch einmal, 's wird großartig sein, wenn wir den alten Kerl wieder mal sehen, was?« Endlich druckte der »Unverzagte« auf der ersten Seite mit großer Überschrift einen Brief von Bresnahan an Jackson Elder ab:

      »Lieber Jack,

      Also, Jack, ich kann's machen. Ich soll nach Washington in die Regierung gehen (ein Dollar Jahresgehalt), in das Flugmotoren-Departement, und den Leuten erzählen, wieviel ich von Vergasern nicht weiß. Aber bevor ich mit dem Heldentum anfange, will ich nochmal raus, mir einen großmächtigen Barsch fangen und Dich und Sam Clark und Harry Haydock und Will Kennicott und alle anderen Gauner noch mal sehen. Ich werde am 7. Juni mit Nr. 7 von Mpls. in G. P. ankommen. Bestell schönes Wetter. Sag Bert Tybee, er soll mir ein Glas Bier aufheben.

      Dein ergebener

       Perce.«

      Alle Mitglieder der gesellschaftlichen, finanziellen, wissenschaftlichen, literarischen und sportliebenden Kreise waren bei der Ankunft von Nr. 7 am Bahnhof, um Bresnahan abzuholen; Frau Lyman Cass stand neben dem Friseur Del Snafflin, und Juanita Haydock war fast herzlich zu der Bibliothekarin Fräulein Villets. Carola sah Bresnahan aus dem Waggonfenster zu ihnen herunterlächeln – einen großen sauberen Mann mit vorspringendem Kinn und befehlsgewohnten Blicken. Im Ton des Guten Kameraden von Beruf brüllte er: »Tag, Herrschaften!« Als sie ihm vorgestellt wurde (nicht er ihr), sah Bresnahan ihr in die Augen, sein Händedruck war warm und nicht kurz.

      Er lehnte die angebotenen Automobile ab; er ging zu Fuß, den Arm um die Schultern Nat Hicks', des jagdliebenden Schneiders, gelegt, der elegante Harry Haydock trug die eine seiner ungeheuren hellen Ledertaschen, Del Snafflin die andere, Jack Elder trug einen Mantel und Julius Flickerbough das Angelgerät. Carola bemerkte, daß kein einziger kleiner Junge grinste, obwohl Bresnahan Gamaschen trug und einen Stock in der Hand hatte.

      Als Kennicott abends das Gras am Weg mit einer Schafschere stutzte, kam Bresnahan, allein, heran. Er war jetzt in Cordhosen, am Hals offenem Khakihemd, mit einem weißen Südwester und wunderbaren lederbesetzten Leinenschuhen. »An der Arbeit, alter Will! Ja, du lieber Gott, das ist ein Leben, wenn man wieder mal in ein paar richtige Männerhosen fahren kann. Die Leute können von der Stadt sagen, was sie wollen, aber für mich bleibt's das größte Vergnügen, rumzubummeln, euch Jungs zu sehen und 'nen feinen Barsch zu fangen!«

      Er lief zum Haus und schrie Carola zu: »Wo ist der kleine Bursche? Ich hab' gehört, daß Sie einen prachtvollen großen Mannsbuben haben, den Sie vor mir verstecken!«

      »Er ist schon im Bett«, sagte sie ziemlich kurz.

      »Ich weiß. Aber kommen Sie jetzt, Onkel Perce muß ihn mal ansehen. Also jetzt, Schwester?«

      Er legte seinen Arm um ihre Taille; es war ein großer, starker und sehr angenehmer Arm; er grinste sie breit an, während Kennicott albern verlegen wurde. Sie wurde rot; die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Großstädter in ihre behütete Persönlichkeit eindrang, erschreckte sie. Sie fühlte sich erleichtert, als sie vor den beiden Männern zu dem großen Zimmer hinaufging, in dem Hugh schlief. Immer wieder murmelte Kennicott: »Ja, ja, wissen Sie, Herrgott, ist doch nett, daß Sie wieder da sind, ist doch wirklich schön, daß man Sie wieder sieht!«

      Hugh lag auf dem Bauch und beschäftigte sich ernsthaft mit seinem Schlaf. Er bohrte die Augen in das kleine blaue Kissen, um sich vor dem elektrischen Licht zu schützen, dann setzte er sich mit einem Ruck auf, klein und zierlich in seinem Nachtgewand, mit wild zerzaustem Haar, das Kissen an die Brust gedrückt. Er weinte. Er starrte den Fremden gewissermaßen geduldig abfertigend an.

      Bresnahan legte seinen Arm zärtlich um Carolas Schulter und verkündete: »Herrgott, sind Sie aber ein glückliches Ding, mit dem schönen und kräftigen Jungen da. Ich kann mir denken, Will hat gewußt, was er tut, wie er sie überredet hat, es mit so einem alten Trottel zu versuchen, wie er ist! Ich hab' gehört, daß Sie aus St. Paul kommen. Wir werden Sie schon einmal nach Boston bringen.« Er beugte sich über das Bett. »Junger Mann, du bist der angenehmste Anblick, den ich westlich von Boston gehabt hab'. Gestattest du, daß wir dir eine kleine Gabe zum Zeichen unserer Ehrfurcht und der Anerkennung für deine langjährigen Dienste überreichen?«

      Er hielt einen Gummipierrot hin. Hugh bemerkte: »Geben«, steckte ihn unter sein Bettzeug und starrte Bresnahan an, als hätte er diesen Menschen vorher überhaupt noch nie gesehen.

      Zum erstenmal fragte Carola nicht: »Aber, Hugh, wie sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt?« Der große Mann wartete anscheinend. Sie standen albern verlegen herum, bis Bresnahan sie hinausführte und polternd fragte: »Sollen wir nicht 'ne Angelpartie verabreden, Will?«

      Er blieb eine halbe Stunde. Unaufhörlich sagte er Carola, wie entzückend sie sei; unaufhörlich betrachtete er sie mit wissenden Blicken.

      »Ja. Er wird wohl eine Frau in sich verliebt machen können. Aber das würde keine Woche dauern. Mir würde seine verfluchte strahlende Freundlichkeit auf die Nerven gehen. Seine Heuchelei. O ja, er freut sich, daß er hier ist. Er hat uns gern. Er ist ein so guter Schauspieler, daß er sich selbst überzeugt … in Boston würde ich ihn hassen. Er würde alle diese selbstverständlichen Großstadtdinge haben. Limousinen. Feine Abendanzüge. Er würde ein ausgezeichnetes Dinner in einem eleganten Restaurant bestellen. Einen von der besten Firma eingerichteten Salon – aber die Bilder würden ihn verraten. Ich würde mich viel lieber mit Guy Pollock in seinem verstaubten Büro unterhalten … Wie ich lüge! Sein Arm hat meiner Schulter geschmeichelt, und seine Augen haben gesagt: ›Untersteh dich, mich nicht zu bewundern.‹ Ich würde Angst vor ihm haben. Ich hasse ihn! … Oh, diese unbegreifliche, egoistische Phantasie der Frauen! Dieses ganze Durcheinander von Gedanken über einen Mann, über einen guten, anständigen, freundlichen, tüchtigen Mann, der nett zu mir war, weil ich Wills Frau bin!«

      4

      Die Kennicotts, die Elders, die Clarks und Bresnahan waren an den Indianersquaw-See fischen gegangen. Beim Essen sprach man vom Krieg. Nachdem Bresnahan unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten hatte, daß die Kriegserklärung Spaniens an Deutschland bevorstehe, fragte Kennicott ehrfürchtig: »Wie ist es mit den Aussichten für eine Revolution in Deutschland?«

      Die Autorität brummte: »Da ist nichts dran. Das einzige, worauf ihr euch verlassen könnt, ist, daß das deutsche Volk, ganz egal was passiert, ob es siegt oder verliert, zum Kaiser halten wird, bis die Hölle kalt geworden ist. Ich weiß das ganz positiv von einem, der in Washington an der allerersten Quelle sitzt. Nein, nein! Ich behaupte ja nicht, daß ich viel von den internationalen Sachen verstehe, aber eines

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