Revolution und Konterrevolution in Deutschland . Friedrich Engels
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Revolution und Konterrevolution in Deutschland - Friedrich Engels страница 4
II. [Der preußische Staat]
Die politische Bewegung der Mittelklasse oder Bourgeoisie in Deutschland kann vom Jahre 1840 datiert werden. Ihr gingen Anzeichen voraus, die zeigten, daß die kapitalbesitzende und industrielle Klasse dieses Landes zu einem Zustand heranreifte, der ihr nicht länger gestattete, den Druck eines halbfeudalen, halbbürokratischen monarchischen Regimes apathisch und passiv hinzunehmen. Die kleineren deutschen Fürsten gewährten einer nach dem anderen Verfassungen von mehr oder weniger liberalem Charakter, teils um sich größere Unabhängigkeit gegenüber der Vormachtstellung Österreichs und Preußens oder gegenüber dem Einfluß des Adels in ihren eigenen Staaten zu sichern, teils um die zusammenhanglosen Provinzen, die der Wiener Kongreß unter ihrer Herrschaft vereinigt hatte, zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Sie konnten das tun, ohne selbst Gefahr zu laufen; denn wenn der Bundestag, diese Marionette in den Händen Österreichs und Preußens, ihre Unabhängigkeit als souveräne Fürsten anzutasten versuchte, konnten sie sicher sein, daß ihren Widerstand gegen jedes diktatorische Eingreifen die öffentliche Meinung und die Kammern unterstützen würden; und wenn umgekehrt die Kammern zu stark wurden, konnten sie ohne weiteres über die Macht des Bundestages verfügen, um jede Opposition zu brechen. Die verfassungsmäßigen Einrichtungen in Bayern, Württemberg, Baden oder Hannover konnten unter solchen Umständen keinen ernstlichen Kampf um die politische Macht hervorrufen, und daher hielt sich die deutsche Bourgeoisie in ihrer großen Mehrheit von dem kleinlichen Gezänk in den Parlamenten der Kleinstaaten fern, denn sie wußte sehr wohl, daß ohne grundlegende Änderungen in der Politik und Verfassung der beiden deutschen Großmächte alle Kämpfe und Siege von zweitrangiger Bedeutung zwecklos sein würden. Gleichzeitig kam aber in diesen kleinen Parlamenten eine Art liberaler Advokaten auf, die berufsmäßig Opposition machten: die Rotteck, Welcker, Römer, Jordan, Stüve, Eisenmann, jene großen »Volksmänner«, die nach zwanzig Jahren mehr oder minder lärmender, immer aber erfolgloser Opposition durch die revolutionäre Sturmflut von 1848 auf den Gipfel der Macht getragen, sich, nachdem sie dort ihre völlige Unfähigkeit und Nichtigkeit gezeigt, rasch wieder ins Nichts zurückgeschleudert sahen. Diese ersten Exemplare von Geschäftspolitikern und Berufsoppositionellen in Deutschland gewöhnten das deutsche Ohr durch ihre Reden und Schriften an die Sprache des Konstitutionalismus und verkündeten durch ihre bloße Existenz das Nahen einer Zeit, in der die Bourgeoisie die politischen Phrasen, mit denen diese geschwätzigen Advokaten und Professoren um sich zu werfen pflegten, ohne ihren ursprünglichen Sinn groß zu verstehen, aufgreifen und ihnen damit ihre eigentliche Bedeutung zurückgeben würde.
Auch die deutsche Literatur konnte sich dem Einfluß der politischen Erregung nicht entziehen, in die ganz Europa durch die Ereignisse des Jahres 1830 versetzt worden war. Ein grobschlächtiger Konstitutionalismus und ein noch gröberer Republikanismus wurden von fast allen Schriftstellern jener Zeit gepredigt. Immer mehr wurde es zur Gewohnheit, besonders unter den minderwertigen Literaten, den Mangel an Geist in ihren Werken durch politische Anspielungen wettzumachen, die bestimmt Aufsehen erregten. Gedichte, Romane, Rezensionen, Dramen, kurz, die ganze literarische Produktion strotzte nur so von dem, was man »Tendenz« nannte, das heißt von mehr oder weniger schüchternen Äußerungen oppositioneller Gesinnung. Um die in Deutschland nach 1830 herrschende Verwirrung der Ideen vollständig zu machen, vermengten sich mit diesen Elementen politischer Opposition halbverdaute Universitätserinnerungen an die deutsche Philosophie und mißverstandene Brocken von französischem Sozialismus, namentlich Saint-Simonismus, und die Clique von Schriftstellern, die sich des langen und breiten über dieses heterogene Konglomerat von Ideen erging, nannte sich anmaßend Junges Deutschland oder die Moderne Schule. Sie haben seither ihre Jugendsünden bereut, aber ihren Stil nicht verbessert.
Endlich hatte sich auch die deutsche Philosophie, dieses komplizierteste, gleichzeitig aber auch zuverlässigste Thermometer der Entwicklung des deutschen Geistes, auf die Seite der deutschen Bourgeoisie gestellt, als nämlich Hegel in seiner »Philosophie des Rechts« die konstitutionelle Monarchie als die höchste, vollkommenste Regierungsform bezeichnete. Mit anderen Worten, er kündigte den bevorstehenden Aufstieg der deutschen Bourgeoisie zur politischen Macht an. Nach seinem Tode blieb seine Schule dabei nicht stehen. Während der fortgeschrittenere Teil seiner Anhänger einerseits jeden religiösen Glauben der Feuerprobe einer strengen Kritik unterzog und das altehrwürdige Gebäude des Christentums bis auf die Grundfesten erschütterte, entwickelte er andererseits politische Auffassungen, wie sie kühner bisher deutsche Ohren noch nie zu hören bekommen, und versuchte, das Andenken an die Helden der ersten französischen Revolution wieder zu Ehren zu bringen. Wenn aber die abstruse philosophische Sprache, in die diese Ideen gekleidet waren, den Geist des Autors wie den des Lesers umnebelte, so blendete sie nicht minder die Augen des Zensors, und so kam es, das die Junghegelianer sich einer Pressefreiheit erfreuten, wie kein anderer Zweig der Literatur sie kannte.
Somit war klar, das in der öffentlichen Meinung in Deutschland eine große Wandlung im Gange war. Nach und nach schloß sich die große Mehrheit jener Klassen, die dank ihrer Bildung oder Lebensstellung auch unter einer absoluten Monarchie die Möglichkeit hatten, einiges an politischen Kenntnissen zu erwerben und sich eine einigermaßen selbständige politische Meinung zu bilden, zu einer einzigen, machtvollen Phalanx der Opposition gegen die bestehende Ordnung zusammen. Und wenn man über die Langsamkeit der politischen Entwicklung in Deutschland urteilt, darf man keinesfalls die Schwierigkeiten außer Betracht lassen, sich über eine beliebige Frage richtige Informationen zu verschaffen in einem Lande, wo die Nachrichtenquellen der Kontrolle der Regierung unterstehen und wo nirgends, von der Dorf- oder Sonntagsschule bis zur Zeitung oder Universität, etwas gesagt, gelehrt, gedruckt oder veröffentlicht wird ohne die vorherige Genehmigung der Regierung. Nehmen wir z. B. Wien. Die Bevölkerung Wiens, die an Gewerbefleiß und Arbeitsfertigkeit vielleicht hinter keiner anderen in Deutschland zurücksteht, die an Geist, Mut und revolutionärer Energie sich jeder anderen weit überlegen erwiesen, kannte sich dennoch in ihren wirklichen Interessen weniger aus und beging während der Revolution mehr Fehler als irgendeine andere, und daran war größtenteils die fast völlige Unwissenheit in bezug auf die allereinfachsten politischen Fragen schuld, in der die Metternich-Regierung sie zu halten vermochte.
Es bedarf keiner weiteren Erklärung, warum unter einem solchen System die politische Information das fast ausschließliche Monopol solcher Gesellschaftsklassen war, die es sich leisten konnten, ihre Einschmuggelung in das Land zu bezahlen, ganz besonders aber jener deren Interessen durch die bestehenden Verhältnisse am schwersten betroffen wurden, nämlich der industriellen und kommerziellen Klassen. Sie waren daher die ersten, die sich als Masse gegen den Fortbestand eines mehr oder minder verhüllten Absolutismus zusammenschlossen, und von dem Augenblick ihres Übergangs in die Reihen der Opposition muß man den Beginn der wirklich revolutionären Bewegung in Deutschland rechnen.
Als Zeitpunkt der offen proklamierten Opposition der deutschen Bourgeoisie kann man das Jahr 1840 betrachten, das Todesjahr des Vorgängers des jetzigen Königs von Preußen, des letzten damals überlebenden Gründers der Heiligen Allianz von 1815. Vom neuen König war bekannt, daß er kein Freund der vorwiegend bürokratischen Militärmonarchie seines Vaters sei. Was die französische Bourgeoisie von der Thronbesteigung Ludwigs XVI. erwartet hatte, das erhoffte sich die deutsche Bourgeoisie bis zu einem gewissen Grade von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Man war sich auf allen Seiten darüber einig, daß das alte System überlebt und bankrott sei, daß es aufgegeben werden müsse, und was man unter dem alten König schweigend ertragen, wurde jetzt laut als unerträglich proklamiert.
Aber wenn Ludwig XVI., »Louis le Désiré«, ein einfacher anspruchsloser Trottel gewesen, seiner eigenen Nichtigkeit halb bewußt, ohne feste Ideen, in der Hauptsache gelenkt von den Gewohnheiten, die er während seiner Erziehung erworben, war »Friedrich Wilhelm le Désiré« ganz anderer Art. Während er sein französisches Vorbild an Charakterschwäche zweifellos übertraf, mangelte es ihm weder an Prätentionen noch an Ideen. Auf Dilettantenart hatte er sich mit den Anfangsgründen der meisten Wissenschaften vertraut gemacht und hielt sich daher für gelehrt genug, um über jede Frage das entscheidende Urteil abzugeben. Er war überzeugt, ein Redner ersten Ranges zu