Thomas More und seine Utopie. Karl Kautsky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Thomas More und seine Utopie - Karl Kautsky страница 3
»Die Wissenschaften blühn, die Geister regen sich, es ist eine Lust, zu leben«, rief Hutten von seiner Zeit. Und er hatte recht. Für einen kampffrohen Geist, wie den seinen, war es eine Lust zu leben in einem Jahrhundert, das die überkommenen Verhältnisse, die ererbten Vorurteile kühn umstieß, die träge gesellschaftliche Entwicklung in Fluß brachte und den Horizont der europäischen Gesellschaft mit einem Male unendlich erweiterte, das neue Klassen schuf, neue Ideen, neue Kämpfe entfesselte.
Als »Ritter vom Geist« hatte Hutten alle Ursache, sich seiner Zeit zu freuen. Als Mitglied der Ritterschaft durfte er sie mit weniger günstigen Augen betrachten. Seine Klasse war damals auf der Seite der Unterliegenden: sein Schicksal war das ihre. Sie hatte nur die Wahl, zu verkommen oder sich zu verkaufen, im Dienste eines Fürsten die Existenz zu finden, die der Grund und Boden versagte.
Die Signatur des sechzehnten Jahrhunderts ist der Todeskampf des Feudalismus gegen den aufkommenden Kapitalismus. Es trägt das Gepräge beider Produktionsweisen, bietet ein wunderliches Gemisch beider dar.
Die Grundlage des Feudalismus war die bäuerliche und handwerksmäßige Produktion im Rahmen der Markgenossenschaft.
Ein oder mehrere Dörfer bildeten in der Regel eine Markgenossenschaft mit gemeinsamem Eigentum von Wald, Weide und Wasser, ursprünglich auch von Ackerland. Innerhalb dieser Genossenschaften ging der ganze mittelalterliche Produktionsprozeß vor sich. Der gemeinsame Grundbesitz sowie die in Privatbesitz übergegangenen Äcker und Gärten lieferten die Lebensmittel, derer man bedurfte, Produkte des Feldbaus, der Viehzucht, der Jagd und Fischerei, und die Rohprodukte, die innerhalb der patriarchalischen Bauernfamilie oder von den Handwerkern des Dorfes verarbeitet wurden, Holz, Wolle usw. Die private wie die öffentliche Tätigkeit innerhalb dieser Gemeinwesen ging auf Lieferung von Gebrauchsgegenständen für den Selbstgebrauch, entweder des Produzenten oder seiner Familie, oder seiner Genossenschaft, oder endlich, unter Umständen, des Feudalherrn.
Eine Markgenossenschaft war ein wirtschaftlicher Organismus, der sich in der Regel völlig selbst genügte und fast gar keinen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Außenwelt hatte.
Die Folge davon war eine merkwürdige Exklusivität. Wer nicht Markgenosse war, galt als Fremder, als rechtlos oder minderberechtigt, selbst wenn er sich in der Gemeinde niederließ, solange er nicht ein markberechtigtes Grundeigentum erwarb. Und die gesamte Außenwelt außerhalb der Mark war Ausland. Es bildete sich in den Köpfen der Markgenossen einerseits aristokratischer Dünkel gegen die Zuzügler von außen, die kein Grundeigentum zu erwerben imstande waren, andererseits aber jene lokale Beschränktheit, jene Kirchturms- und Kantönlipolitik, die in abgelegenen und ökonomisch zurückgebliebenen Gegenden heute noch zu finden ist. Auf diesen Grundlagen beruhten der Partikularismus und die ständische Absonderung, die dem feudalen Mittelalter eigentümlich waren.
Der wirtschaftliche Zusammenhang des feudalen Staates war unter diesen Umständen ein äußerst loser. Rasch, wie sich die Reiche bildeten, zerfielen sie wieder. Nicht einmal die nationale Sprache war ein erhebliches Bindemittel, da die wirtschaftliche Abgeschlossenheit der Markgenossenschaften die Erhaltung und Bildung von Dialekten begünstigte.
Die einzige starke Organisation, die über den Markgenossenschaften stand, war die universale, katholische Kirche mit ihrer universalen Sprache, der lateinischen, und ihrem universalen Grundbesitz. Sie war es, die die ganze Masse der kleinen, selbstgenügsamen Produktionsorganismen des Abendlandes zusammenhielt.
Die Macht des Staatsoberhauptes, des Königs, war ebenso gering, als der Zusammenhang des Staates locker war. Aus dem Staate selbst konnte das Königtum nur geringe Kraft schöpfen, es zog sie, wie damals jede andere gesellschaftliche Macht, aus seinem Grundbesitz. Je größer der Grundbesitz eines Feudalherrn, je mehr Bauern in einer Mark, je mehr Marken im Lande ihm zinspflichtig waren, desto mehr Lebensmittel, desto mehr persönliche Dienste aller Art standen ihm zu Gebote; desto größer und prächtiger konnte er seine Burg bauen, desto zahlreichere Handwerker und Künstler konnte er an seinem Hofe halten, die ihm Kleidung, Geräte, Schmuck und Waffen erzeugten; desto größer sein reisiges Gefolge, desto ausgedehnter seine Gastfreundschaft, desto mehr Vasallen konnte er durch Verleihung von Land und Leuten an sich fesseln.
Der König war meist der größte Grundbesitzer im Lande und damit der mächtigste. Aber seine Gewalt war nicht eine so übermäßige, daß sie die anderen großen Grundbesitzer ihm unterjocht hätte. Vereinigt waren sie ihm fast stets überlegen, die größten unter ihnen auch einzeln nicht zu verachtende Gegner. Der König mußte zufrieden sein, als der Erste unter gleichen anerkannt zu werden. Seine Stellung wurde eine immer kläglichere, je mehr die Feudalität sich entwickelte, je mehr die Feudalherren durch Unterjochung der freien Bauern an Macht zunahmen, je mehr infolgedessen der Heerbann zusammenschrumpfte und der König vom Ritterheer abhängig wurde. Erst dann begann die königliche und überhaupt die landesfürstliche Gewalt aus ihrer Erniedrigung sich wieder zu erheben, als die Städte genügend erstarkt waren, ihr einen festen Rückhalt zu bieten.
2. Die Städte.
Die Grundlage der mittelalterlichen Stadtgemeinde wie der Dorfgemeinde war die Markgenossenschaft. (Vergleiche darüber vornehmlich G.L. v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 4 Bände. Erlangen 1869 bis 1871.) Den Anstoß zu ihrer Bildung gab der Handel, namentlich mit Italien. Derselbe hatte auch in der Zeit der größten Zerrüttung nach dem Untergang des Römerreichs nie ganz aufgehört. Allerdings, die Bauern bedurften seiner kaum. Sie erzeugten selbst, was sie brauchten. Aber die Landesherren, der hohe Adel, die hohe Geistlichkeit verlangten nach Gegenständen einer höheren Industrie. Ihre hofhörigen Handwerker konnten dies Bedürfnis nur teilweise befriedigen. Sie waren der Aufgabe nicht gewachsen, feine Gewebe, Schmucksachen und dergleichen zu erzeugen, wie sie Italien sandte. Die deutschen Herren holten sich diese Schätze mitunter bei den Römerzügen; aber daneben entwickelte sich doch ein regelmäßiger Handel, in Deutschland besonders genährt seit dem zehnten Jahrhundert durch die Silbergewinnung im Harz. Die Silberminen von Goslar fing man 950 zu bearbeiten an. Über den Einfluß der Harzbergwerke auf den Handel des Mittelalters vergleiche Anderson, An historical and chronological deduction of the origine of commerce. 1. Band, S.93. London 1787.
An den Höfen der weltlichen Großen und an den Bischofsitzen, sowie an gewissen Knotenpunkten, zum Beispiel dort, wo die Straßen aus den Alpenpässen den Rhein oder die Donau erreichten, an geschützten Häfen im Innern des Landes, die den wenig tiefgehenden Seeschiffen doch noch erreichbar waren, wie Paris und London, bildeten sich bald Stapelplätze von Waren, die, so unbedeutend sie uns auch heute erscheinen mögen, doch die Gier der Umwohner und auswärtiger Räuber, Normannen, Ungarn usw. erregten. Es wurde notwendig, sie zu befestigen. Damit war der Anfang zur Entwicklung der Stadt aus einem Dorfe gegeben.
Aber auch nach der Ummauerung blieb die Landwirtschaft und die Produktion für den Selbstgebrauch überhaupt im Rahmen der Markgenossenschaft die vorwiegende Beschäftigung der Bewohner des befestigten Ortes. Der Handel war zu geringfügig, dessen Charakter zu beeinflussen. Die Stadtbürger blieben ebenso lokal borniert und exklusiv wie die Dorfbauern.
Neben den alten vollberechtigten Geschlechtern der Markgenossen erstand indes bald eine neue Macht, die der Handwerker, die sich in Genossenschaften nach dem Muster der Markgenossenschaft, in Zünften, organisierten.
Das Handwerk war ursprünglich nicht Warenproduktion. Der Handwerker stand entweder zur Markgenossenschaft oder als Höriger zu einem Feudalherrn in einem gewissen Dienstverhältnis. Er produzierte für die Bedürfnisse der Markgenossenschaft oder des Hofes, wozu er gehörte, nicht zum Verkauf. Solche Handwerker, namentlich hörige, fanden sich in den Städten, besonders wenn sie Sitze von Bischöfen oder Landesherren waren, natürlich sehr zahlreich. Andere Handwerker wurden angezogen, als der Handel sich entwickelte und einen Markt für Produkte der Industrie eröffnete. Der Handwerker war jetzt