Professor Unrat. Heinrich Mann

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Professor Unrat - Heinrich Mann

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      »Geben Sie mir«, verlangte Unrat leichthin, »eine Eintrittskarte für das Sommertheater.«

      » Wat sagen Sie?« fragte der Mann.

      »Nun ja, für das Sommertheater. Da Sie denn nun einmal in Ihrem Schaufenster anzeigen, daß Sie Billette zum Sommertheater verkaufen.«

      »Wat soll ich doorvon denken, Herr«, und der Mann behielt den Mund offen. »Das Sommertheater speelt doch nich in 'n Winter.«

      Unrat versteifte sich auf sein Recht.

      »Aber Sie haben es im Fenster, Mann.«

      »Door kann 't jä ook bliewen!«

      Das war herausgeplatzt; aber der Heuerbaas nahm seine Achtung vor dem bebrillten Herrn gleich wieder zusammen. Er suchte nach Gründen, die den Fremden überzeugen konnten, das Sommertheater sei jetzt geschlossen. Um seiner behutsamen Gedankenarbeit körperlich nachzuhelfen, gab er mit seiner fürchterlichen, rotbehaarten Hand der Tischplatte von der Seite ganz vorsichtige Streiche. Schließlich hatte er gefunden.

      »Das weiß jä woll de dümmste Schooljong«, sagte er gutmütig, »daß in 'n Winter kein Sommertheater is.«

      »Erlauben Sie, Verehrter«, machte Unrat, überlegen abwehrend.

      Der Mann rief zu Hilfe: »Hinnerich! Laurenz!«

      Die Matrosen kamen näher.

      »Ich weit nich, wat mit em los is, hei will mit alle Macht in 'n Willemsgoorten.«

      Die Matrosen rollten Kautabak in den Mündern. Sie und der Heuerbaas starrten angestrengt auf Unrat, als sei er ein sehr weit Hergekommener, etwas wie ein Chinese, den man nun verstehen sollte. Unrat empfand dies; es befiel ihn Hast, hier fertig zu werden.

      »Dann könnten Sie mir wenigstens sagen, Mann, ob vorigen Sommer in dem bewußten Theater ein gewisses Fräulein Fröhlich mitgespielt hat – Rosa Fröhlich.«

      »Wo soll ich das woll herwissen, Herr?« Der Mann war vollkommen verblüfft. »Meinen Sie, Herr, ick gew mich mit die Zirkusminscher aff?«

      »Oder doch«, sagte Unrat Hals über Kopf, »ob die erwähnte Dame im kommenden Jahr uns – immer mal wieder – durch ihre Leistungen erfreuen wird.«

      Der Heuerbaas sah erschreckt aus; er verstand kein Wort mehr. Einer der Matrosen hatte etwas gefunden.

      »Hei makt sick 'n Jux, Pieter, hei will di uzen!«

      Darauf legte er den Kopf in den Nacken und lachte, glucksend und dröhnend, aus schwarz geöffnetem Rachen. Die andern stießen sich an und machten es dann ebenso. Dem Heuerbaas schien es zwar keineswegs, als ob dieser Fremde sich lustig machte; aber er sah den Respekt in Gefahr, den seine Kunden vor ihm haben mußten: diese Leute, die er verdang, die er den Kapitänen aufs Schiff lud, zusammen mit Zwieback und Genever. Er verfiel unvermittelt in eine künstliche Wut, färbte sich wild, schlug auf den Tisch und streckte einen gebieterischen Finger aus.

      »Herr! Ich hab mehr zu tun, ich bün Ihr Aap nich! Sehn Sie sich mal die Tür an, da achter Ihnen is sie!«

      Und als Unrat noch einen Augenblick betäubt auf seinem Platz blieb, traf der Mann Anstalt, hinter seinem Tisch hervorzukommen. Unrat klinkte rasch die Tür auf. Der Papagei schrie ihm nach: »Dun supen!« Die Matrosen brüllten vor Lachen. Unrat schloß die Tür.

      Er bog scharf um die nächste Ecke und entkam aus der Hafengegend in stille Straßen. Er zensierte das Vorgefallene.

      »Dies war ein Fehler. Dies war – freilich nun wohl – ein Fehler.«

      Die Künstlerin Fröhlich mußte auf einem andern Wege ausfindig gemacht werden. Unrat sah sich die Begegnenden daraufhin an, ob sie etwas von ihr wüßten. Es waren Lastträger, Dienstmädchen, der Laternenanzünder, eine Zeitungsfrau. Mit dem Volk war keine Verständigung möglich: er hatte die Erfahrung gemacht. Auch lud ihn sein jüngstes Erlebnis dazu ein, bei der Anknüpfung mit Unbekannten vorsichtig zu sein. Weiser war es, nach einem schon vertrauten Gesicht sich umzusehen. Aus der nächsten »Grube« tauchte eben eines auf, dem Unrat noch voriges Jahr mit wütender Betonung lateinische Verse zugeschrien hatte. Der Schüler, der »seins« nie »präpariert« hatte, schien jetzt Handlungslehrling zu sein. Er näherte sich mit einem Packen Briefe in der Hand und sah geckenhaft aus. Unrat ging auf ihn zu, machte schon den Mund auf, wartete nur noch auf den Gruß des jungen Menschen. Der aber erfolgte nicht. Der ehemalige Schüler sah dem Professor höhnisch in die Augen und ging dicht an Unrats zu hoher Schulter vorbei, wobei auf seinem blonden Gesicht das Grinsen erschrecklich breit ward.

      Unrat verschwand rasch in die »Grube«, woher der andere gekommen war. Es war eine der nach dem Hafen sich senkenden Straßen; und da sie abschüssiger ging als die andern, hatten sich hier zahllose Kinder zusammengefunden, um in kleinen Wagen mit vollen Rädern, lärmenden »Bullerwagen«, den Berg hinabzufahren. Die Mütter und Mägde standen auf dem Bürgersteig, erhoben die Arme und riefen zum Abendessen; aber die junge Welt stürzte unablässig, kniend in ihren Wagen oder die Beine in der Luft, mit wehenden Halstüchern, über die Ohren geklappten Mützen und zum Jubeln offnen Mündern, holpernd das Klinkerpflaster hinunter. Unrat mußte, wie er die Straße überschritt, Sprünge machen, sonst geriet er in die Deichsel. Um ihn her spritzten Pfützen auf. Aus einem vorüberrasenden Wagen rief plötzlich eine durchdringende Stimme: »Unrat!«

      Unrat zuckte zusammen. Sofort wiederholten einige andere das Wort. Diese Bürger- und Volksschüler hatten seinen Namen wohl von den Gymnasiasten erfahren; und andere, die gar nicht wußten, was gemeint war, schrien mit. Durch den Sturm hindurch, der sich gegen ihn erhoben hatte, mußte Unrat die steile Straße erklimmen. Keuchend erreichte er einen Kirchplatz.

      Das war ihm wohl alles geläufig; die ehemaligen Schüler, die ihn nicht grüßten, sondern angrinsten, die Straßenjugend, die ihm seinen Namen nachrief. Nur hatte er heute in seinem Eifer nicht damit gerechnet: denn jetzt schuldeten die Leute ihm eine Antwort. Wenn sie früher ihre Vergilverse nie gekonnt hatten, mußten sie nun wenigstens über die Künstlerin Fröhlich Bescheid wissen!

      Unrat kam auf den Markt und an einem Tabakshändler vorbei, einem Schüler von vor zwanzig Jahren, von dem er zuweilen ein Kistchen bezogen hatte – nur zuweilen: er rauchte nicht stark, er trank selten; er hatte keines der bürgerlichen Laster ... Die Rechnungen dieses Mannes waren regelmäßig überschrieben: Herrn Professor U-, und dann erst war aus dem U ein R gemacht. Ob das böse Absicht oder Gedankenlosigkeit war, hatte Unrat nie feststellen können; aber er verlor auf einmal den Mut, den Laden zu betreten, dessen Schwelle er schon berührt hatte. Der Mann da drinnen war ein widersetzlicher Schüler, der nicht zu »fassen« war.

      Er schlich eilig weiter. Es regnete nicht mehr; der Wind trieb die Wolken fort. Die Gaslaternen flackerten rot. Schief über einem Giebel lugte manchmal der gelbe, halbe Mond: ein höhnisches Auge, das gleich wieder das Lid einkniff, so daß ihm sein Hohn nicht zu »beweisen« war.

      Wie er in den »Kohlbuden« trat, flammten die großen Fenster des Café Central lichterloh auf. Unrat spürte Lust, hineinzugehen, ein ungewohntes Getränk zu sich zu nehmen. Er war heute auf merkwürdige Weise aus den Schienen seines Tages herausgeworfen. Da drinnen ließ sich gewiß etwas über die Künstlerin Fröhlich erfahren; dort ward von allem möglichen gesprochen. Unrat wußte dies von früher, denn zu Lebzeiten seiner Frau hatte er sich manchmal – sehr selten – eine Ferienstunde im Café Central gegönnt. Seit sie tot war, hatte er zu Hause so viel Ruhe, wie er wollte, und brauchte das Café

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