Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft / Über den Widerspruch . Mao Tse-Tung
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Im Gegensatz zur metaphysischen Weltanschauung vertritt die dialektisch-materialistische Weltanschauung die Meinung, daß wir beim Studium der Entwicklung der Dinge von ihrem inneren Gehalt, von dem Zusammenhang des einen Dinges mit anderen ausgehen sollen, das heißt, daß wir die Entwicklung der Dinge als ihre innere, notwendige Selbstbewegung betrachten, wobei sich jedes Ding in seiner Bewegung mit den anderen, es umgebenden Dingen in Zusammenhang und Wechselwirkung befindet. Die Grundursache der Entwicklung eines Dinges liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb desselben; sie liegt in seiner inneren Widersprüchlichkeit. Allen Dingen wohnt diese Widersprüchlichkeit inne, und sie ist es, die die Bewegung und Entwicklung dieser Dinge verursacht. Diese innere Widersprüchlichkeit der Dinge ist die Grundursache ihrer Entwicklung, während der Zusammenhang und die Wechselwirkung eines Dinges mit anderen Dingen sekundäre Ursachen darstellen. Somit tritt die materialistische Dialektik der Theorie von der äußeren Ursache, vom äußeren Anstoß, die dem metaphysischen mechanischen Materialismus und dem metaphysischen vulgären Evolutionismus eigen ist, entschieden entgegen. Es ist klar, daß rein äußere Ursachen nur eine mechanische Bewegung der Dinge hervorzurufen vermögen, das heißt eine Vergrößerung oder Verkleinerung des Umfangs, Vermehrung oder Verminderung der Menge; es läßt sich aber aus ihnen nicht erklären, warum den Dingen eine unendliche qualitative Mannigfaltigkeit und ihre wechselseitige Verwandlung ineinander eigentümlich sind. In Wirklichkeit wird selbst die durch einen äußeren Anstoß ausgelöste mechanische Bewegung ebenfalls mittels der inneren Widersprüchlichkeit der Dinge bewerkstelligt. Auch das einfache Wachstum, die quantitative Entwicklung in der Pflanzen- und Tierwelt wird hauptsächlich durch innere Widersprüche bewirkt. Ebenso ist die Entwicklung der Gesellschaft in der Hauptsache nicht durch äußere, sondern durch innere Ursachen bedingt. Viele Länder mit fast den gleichen geographischen und klimatischen Bedingungen unterscheiden sich dem Stand ihrer Entwicklung nach sehr stark voneinander und entwickeln sich äußerst ungleichmäßig. Sogar in ein und demselben Land gehen gewaltige soziale Wandlungen vor sich, ohne daß sich das geographische Milieu und das Klima geändert hätten. Das imperialistische Rußland verwandelte sich in die sozialistische Sowjetunion, und das abgekapselte feudale Japan wurde zum imperialistischen Japan, obwohl diese Länder keine geographischen und klimatischen Veränderungen erfahren haben. China, wo lange Zeit der Feudalismus herrschte, hat in den letzten hundert Jahren große Wandlungen durchgemacht und verändert sich jetzt in der Richtung eines emanzipierten, neuen China; doch die geographischen und klimatischen Verhältnisse in China sind gleichgeblieben. Zwar ändern sich auch die geographischen Bedingungen und das Klima der Erde als Ganzes wie ihrer einzelnen Teile, aber im Vergleich zu den gesellschaftlichen Wandlungen sind diese Veränderungen völlig belanglos: während die einen Zehntausende, Hunderttausende und Millionen von Jahren brauchen, um sich bemerkbar zu machen, genügen für die anderen Jahrtausende, Jahrhunderte, Jahrzehnte, ja sogar bloß einige Jahre oder Monate (in Zeiten der Revolution). Vom Gesichtspunkt der materialistischen Dialektik sind die Veränderungen in der Natur hauptsächlich durch die Entwicklung der Widersprüche innerhalb dieser selbst bedingt. Die gesellschaftlichen Veränderungen hängen in der Hauptsache von der Entwicklung der Widersprüche innerhalb der Gesellschaft ab, also der Widersprüche zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, zwischen den Klassen, zwischen dem Neuen und dem Alten; die Entwicklung dieser Widersprüche treibt die Gesellschaft vorwärts und gibt den Impuls für die Ablösung der alten Gesellschaft durch eine neue. Schließt die materialistische Dialektik äußere Ursachen aus? Keineswegs. Sie betrachtet die äußeren Ursachen als Bedingungen der Veränderung und die inneren Ursachen als deren Grundlage, wobei die äußeren Ursachen vermittels der inneren wirken. Bei einer entsprechenden Temperatur wird ein Ei zu einem Küken, aber keine Wärme kann einen Stein in ein Küken verwandeln; denn die Grundlage der Veränderung ist bei den beiden verschieden. Die verschiedenen Völker wirken beständig aufeinander ein. In der Epoche des Kapitalismus, insbesondere in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution, sind der wechselseitige Einfluß und Anstoß der verschiedenen Länder auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet sehr beträchtlich. Die Sozialistische Oktoberrevolution leitete eine neue Ära nicht nur in der Geschichte Rußlands, sondern auch in der Weltgeschichte ein. Sie beeinflußte die inneren Veränderungen in anderen Ländern der Welt, so auch – und zwar mit besonderer Tiefenwirkung – die inneren Veränderungen in China. Diese Veränderungen erfolgten jedoch vermittels der inneren Gesetzmäßigkeiten dieser Länder beziehungsweise Chinas selbst. Wenn in einer Schlacht das eine Heer siegt und das andere unterliegt, so werden Sieg und Niederlage durch innere Ursachen bestimmt. Der Sieg ist das Ergebnis der Stärke des Heeres oder seiner richtigen Führung, die Niederlage ist durch die Schwäche des Heeres oder durch Fehler der Führung bedingt; die äußeren Ursachen wirken vermittels der inneren. Die Niederlage, die in China im Jahre 1927 die Großbourgeoisie dem Proletariat zufügte, war durch den Opportunismus bewirkt worden, der in den Reihen des chinesischen Proletariats selbst (innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas) geherrscht hatte. Nachdem wir mit dem Opportunismus Schluß gemacht hatten, nahm die chinesische Revolution erneut einen Aufschwung. Später litt die chinesische Revolution wiederum ernstlich unter den Schlägen des Feindes: diesmal infolge des Abenteurertums, das innerhalb unserer Partei aufgetreten war. Und als wir dann mit dem Abenteurertum aufgeräumt hatten, erfuhr unsere Sache abermals einen Aufschwung. Folglich muß sich eine Partei, um die Revolution zum Sieg zu führen, auf die Richtigkeit ihrer politischen Linie und auf die Festigkeit ihrer Organisation stützen.
Die dialektische Weltanschauung ist sowohl in China als auch in Europa bereits im Altertum aufgekommen. Doch trug die Dialektik des Altertums einen spontanen, primitiven Charakter, konnte gemäß den sozialen und historischen Bedingungen jener Zeit noch nicht die Gestalt einer abgeschlossenen Theorie annehmen, daher auch keine umfassende Interpretation der Welt geben; sie wurde in der Folge durch die Metaphysik ersetzt. Der berühmte deutsche Philosoph Hegel, der Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts lebte, hat einen sehr bedeutsamen Beitrag zur Dialektik geleistet, aber seine Dialektik war idealistisch. Erst als die großen Vorkämpfer der proletarischen Bewegung Marx und Engels die in der Geschichte der menschlichen Erkenntnis erzielten positiven Ergebnisse verallgemeinerten und insbesondere die rationellen Elemente der Hegelschen Dialektik kritisch übernahmen und die großartige Theorie des dialektischen und historischen Materialismus schufen, ging eine beispiellose Revolution in der Geschichte der menschlichen Erkenntnis vor sich. Diese großartige Theorie wurde in der Folge von Lenin und Stalin weiterentwickelt. Sobald sie in China Eingang gefunden hatte, rief sie im geistigen Leben Chinas sofort die größten Veränderungen hervor.
Diese dialektische Weltanschauung lehrt uns vor allem, die Bewegung der Widersprüche in den verschiedenen Dingen verständnisvoll zu beobachten und zu analysieren und auf der Grundlage dieser Analyse die Methoden für die Lösung der Widersprüche zu bestimmen. Daher ist das konkrete Verständnis des Gesetzes von dem Widerspruch, der den Dingen innewohnt, für uns äußerst wichtig.
II. Die Allgemeinheit des Widerspruchs
Um der bequemeren Darlegung willen werde ich zunächst die Allgemeinheit des Widerspruchs und dann seine Besonderheit behandeln. Es handelt sich darum, daß die Allgemeinheit des Widerspruchs bereits von vielen anerkannt worden ist, nachdem die Begründer und Fortsetzer des Marxismus – Marx, Engels, Lenin und Stalin – die dialektisch-materialistische Weltanschauung ausgearbeitet und die materialistische Dialektik mit allergrößtem Erfolg auf zahlreiche Gebiete der historischen und naturgeschichtlichen Forschung, bzw. auf viele Gebiete der Umgestaltung der Gesellschaft und der Natur (zum Beispiel in der Sowjetunion) angewandt haben; deshalb braucht man nicht lange bei der Klärung dieser Frage zu verweilen. Was jedoch die Besonderheit des Widerspruchs betrifft, so sehen hierin viele Genossen, vor allem die Dogmatiker, noch nicht klar. Sie verstehen nicht, daß die Allgemeinheit des Widerspruchs gerade in dessen Besonderheit existiert. Ebensowenig verstehen sie, welch große Bedeutung es für unsere Anleitung