Der Kopf. Heinrich Mann

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Der Kopf - Heinrich Mann

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Ich sitze weiter hier.«

      Dabei mußte er sich wirklich setzen, die Knie versagten ihm, – und er sah mit abgehetzter Miene zu, wie der Sohn, rückwärts zur Tür gelangt, jäh kehrt machte und verschwand.

      Er ging hinüber. Die Fürstin sei bei ihrem Anwalt, hieß es. Aber auch von dort war sie schon fort. Wohin? Gradaus kam der Hafen, die langen, krummen Gassen, das Gepolter der Lastwagen. Was hätte sie suchen sollen zwischen den Trägern, Handlungsgehilfen und den schwankenden Reihen angetrunkener Matrosen? Dennoch kam sie daher, als könnte es nicht anders sein. Er erkannte sie zuerst nicht, so unbefangen und zugehörig trat sie auf, mit ihrem großen Körper, ihrem Gang, ein wenig schaukelnd aber zielbewußt, ihren kühnen Bewegungen und Farben. Auch erregte sie weder Erstaunen noch Mißtrauen. Die Männer sahen sich um nach der schönen Person, mit Gesichtern, die vor lauter Verlangen entweder unterwürfig oder frech waren; manche Frau schalt hinter ihr her. Das Alles hieß nicht: was treibst Du hier? Es hieß: Du bist hier die Schönste. Zwei Leute kamen vorbei. »Sie ist aus dem Blauen Engel,« sagten sie und sahen sich um, weil Jemand sie begrüßte.

      Terra war dunkelrot, er stotterte, als er sie begrüßte, er erging sich in umständlichen, mit harter Stimme gesprochenen Komplimenten, die ihm Zeit ließen, zu leiden. »Sie gehört aller Welt, ist es nicht klar? Sie verspricht sich Jedem, sie fordert Jeden. Es gibt Niemand, der sie nicht nackt sieht. Sie wird mich immer und ewig Leiden kosten.«

      Er sagte ihr etwas über ihren Gang in der Menge und fühlte dabei: »Ihr Gesicht ist zu Allem fähig. Jetzt sieht es nur unzufrieden aus, weil ich sie hier betroffen habe. Aber ich weiß kein Wagnis, ob Glück oder Verderben, das ich ihrem Mund, ihrer Stirn nicht zutrauen würde. Ihre Stimme ist göttlich, sie enthält keinerlei Voraussetzungen.«

      »Sie waren bei mir?« fragte sie nur.

      »Warum vermuten Sie es?«

      »Waren wir nicht verabredet? Nur: ich Sie sehe, fällt es mir ein.« Auf seinen empörten Blick antwortete sie: »Haben Sie etwas? Ach, das Kollier. Danke, ich fand es auf dem Tisch, es gefällt mir.«

      »So geht es nicht,« sagte er heiser. »Ich setze mein Leben auf Sie, ich bin drauf und dran, mit Ihnen durchzugehen. Sie aber stellen sich jedesmal wieder, als sei nichts vorgefallen.«

      »Wie langweilig,« dachte sie, »und hier, wo man gesehen wird. Die Spitzel des Fürsten sind überall, er könnte seine Zahlungen einstellen.« – »Kind!« sagte sie hell. »Wenn Sie erst groß und Kavalier sind, werden Sie von selbst an den Ruf der Frauen denken.«

      »Da Sie doch morgen mein sein können!« Er raunte beschwörend.

      »Darauf soll ich mich verlassen. Seien Sie meinetwegen beleidigt, aber wie weit kommen Sie denn mit mir?«

      Er verstand nicht: mit dem Geld; er schwur feurig, um die Welt reiche seine Liebe. Sie sagte: »Und wie kann ich es verantworten vor Ihren Eltern? Auch eine Schwester haben Sie.« Sie lachte ihr freies, farbloses Lachen. »Wissen Sie, daß Ihre Schwester mir ähnlich sieht?« – was ihn vor Freude und Schrecken stumm machte.

      »Und wenn man von Jemand spricht –« sagte sie da und sah hinüber. Was war das? Lea? Und mit Mangolf! Soeben verschwanden sie hinter einer Reihe von Lastwagen.

      »Ein hübscher Junge«, sagte die Frau. »Es ist mein Freund«, sagte Terra, – worauf sie lachte. Warum? Er zog die Brauen in Falten. »Sie gehen spazieren.«

      »Wie wir«, – immer lachend.

      »Es regnet. Wir täten besser, uns unterzustellen,« bemerkte er plötzlich und trat in das Tor einer Wirtschaft. Sie blieb davor stehen, sie sah den Beiden nach, wie sie hinter den Fuhrwerken hervorkamen. »Ihre Schwester will zum Theater? Sehr richtig, dahin gehört sie. Gute Figur, nicht spießig.«

      »Gehen wir weiter!«

      »Nein. Es regnet.« So folgte er ihr in das Gastzimmer. Es war leer, frisch gescheuert und roch nach kleinen Leuten. Er dachte, die Brauen gefaltet: »Wie kommt man hierher? Und dieser Ton über meine Schwester?«

      Sie saß am Tisch und beobachtete gelassen sein Platzwechseln. Dann sagte sie: »Claudius – warum sind Sie verstimmt? Auch eine Schwester ist eine Frau.«

      Die schöne Stimme konnte nicht trösten, sie war nicht biegsam. Aber ihre klare Hand, die sie entkleidet hatte, kam auf dem Tisch zu ihm hin. Er packte sie, er packte auch ihren Arm. »Eine Frau wie Du! Sprich kameradschaftlich von ihr, es ist eine Ehre. Sei ihre Freundin! – da Du meine Frau bist. Komm mit mir!«

      »Lächerlich, ich bin zu alt für Dich.«

      »Morgen fangen wir beide das Leben erst an.«

      »Du stellst Dir das Leben einfach vor.«

      »Ich stelle es mir vor mit Deinem Gesicht und Deinem Körper.«

      »Ich kann es mir doch nicht mit Deinem vorstellen.«

      »Du mußt. Ich will es.«

      »Darin hat mir noch keiner befohlen.«

      »Du bist zu weit gegangen mit mir. Ich bin nicht Dein Geliebter, aber ich bin mehr. Eine Verbannte, die in Prozessen liegt, keinen Mann sehen darf, weil sie verfolgt wird, und wirtschaftlich so gut wie seelisch und sozial vor die Hunde kommen kann, bevor ihre Verhältnisse sich ordnen lassen, ist mir um den Hals gefallen, weil ich mit allem erdenklichen Zartgefühl auf ihre bedrohliche Lage einging. Sie ziehe endlich die Konsequenzen!«

      Sie maß nachdenklich seine gedrungene Gestalt, die plumpen Finger, die sich lösten und verschlangen, das vom Zorn bewegte Gesicht. Nach der Prüfung waren ihre Augen wärmer.

      Unvermittelt fragte sie: »Sagen Sie doch, lieber Freund, mußte das Kollier denn sein?«

      Er überzeugte sich durch einen Blick, ob es wirklich wahr sei, sie denke an seine Verhältnisse. Plötzlich fiel er mit den Lippen auf ihre Hand, er stöhnte: »Madelon!«

      Sie streichelte ihm zerstreut den Kopf, lachte und begann von einem anderen Kollier, einem sehr teueren, für das ihr früherer Mann, der Bankier, ihr einen Teil des Geldes, den übrigen aber schon der Fürst geliefert hatte – jeder ohne Wissen des andern. Jeder war entzückt von seinem billigen und reichen Geschenk, unglücklicherweise sagten sie es einander und bereuten dann beide. Dies war sogar der Anfang ihrer jetzigen Schwierigkeiten gewesen, der Fürst hatte kein volles Vertrauen mehr gefaßt. »Ihr Kollier, lieber Freund, ist hoffentlich nur mit Ihrem Geld bezahlt, ich werde keine Unannehmlichkeiten haben?«

      Ach! nur dafür hatte sie Sinn. Er klopfte heftig auf den Tisch, zahlte, nahm seinen Mantel. »Wir gehen?« fragte sie, und folgte gehorsam. Er wäre sonst ohne sie gegangen.

      Die Straße war schon dunkel, ungebeten nahm sie seinen Arm. »So gefallen Sie mir besser«, sagte sie klar. Er schwieg. So kamen sie zum Hafen; sie fragte nicht, warum in eine solche Gegend. Keine Geräusche der Arbeit mehr, und anstatt des Gewühls der Träger und Gehilfen streiften nur mehr vereinzelte Gestalten, die die Hände in den Taschen hielten, wie Fledermäuse an ihnen vorbei. Aus einer rinnsteinartigen Seitengasse, wo ein roter Punkt glomm, drang ein Schrei. Da blieb sie stehen, sie hielt dringend seinen Arm fest.

      »Der Anwalt sagt, man wisse nicht. Manchmal schlägt alles fehl. Eine Unglücksserie, sagte Nepfer, der Bankier. Was tun? Ich bin für Sorgen wahrhaftig nicht geboren.«

      Er

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