Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski

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Zugang zum Verständnis der Welt. Ein alternativer Zugang kann über die Kunst erfolgen.3 Das nun ca. 400 Jahre alte Gedicht von John Donne in deutscher Übersetzung von Paul Baudisch, das Ernest Hemingway über seinen berühmt gewordenen Roman „Wem die Stunde schlägt“ stellte, zeigt uns, dass bestimmte Gedanken nicht neu sind, oder positiver ausgedrückt, dass sie nicht aus der Mode kommen.

      Kein Mensch ist eine Insel,

      ganz für sich allein;

      jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents,

      ein Teil des Ganzen.

      Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird,

      wird Europa weniger,

      genauso als wenn’s eine Landzunge wäre,

      oder das Haus deines Freundes oder dein eigenes.

      Jedermanns Tod macht mich geringer,

      denn ich bin verstrickt in das Schicksal aller;

      und darum verlange nie zu wissen,

      wem die Stunde schlägt;

      sie schlägt für dich.

      Die Folgen der weltweiten Verbreitung eines Corona-Virus’ werden im öffentlichen Raum direkt mit den Begriffen Krise (oft mit vorgeschalteten starken Attributen) und Schwarzer SchwanSchwanSchwarzer versehen. Während unter dem Begriff der Krise mehr oder weniger einheitlich eine schwierige bzw. gefährliche zeitlich beschränkte Situation, in der richtungsweisende Entscheidungen zu treffen sind, verstanden wird, wird der Begriff Schwarzer Schwan, ein in unserem Kontext wirtschaftliches bzw. die Wirtschaft beeinflussendes Ereignis, welches nicht vorhersehbar ist und welches alle Beteiligten völlig unvorbereitet trifft, zumeist weit weniger zutreffend verwendet. (Ausführlichere Betrachtungen zu Schwarzen Schwänen finden Sie in Kapitel 6 zu den Aktien-, Rohstoff- und Währungsmärkten.)

      Tatsächlich haben wir Menschen die wohl unvermeidbare Tendenz, die Ereignisse, die in unserer eigenen Lebenszeit stattfinden, als besonders bedeutend wahrzunehmen, auch weil es uns nicht gegeben ist, mehr als ein oder zwei Generationen weiter zu denken. Krisen oder gesellschaftliche Umbrüche sind aber so alt wie die Zivilisationsgeschichte: Wenn Sie „lediglich“ etwas mehr als die vergangenen 100 Jahre in Deutschland Revue passieren lassen, gab es zwei furchtbare Weltkriege mit vielen Millionen Toten, womit das Leid der meisten Überlebenden nicht beendet war. Jedes Land der Erde hätte hier seine Geschichte(n) zu erzählen. Etwas näher an der Gegenwart: Die Ölkrisen der 1970er Jahre, der friedliche (!) Zusammenbruch der Sowjetunion und damit des Ostblocks, die Angriffe islamistischer Terroristen auf die USA im Jahre 2001 und der darauf von US-Präsident George W. Bush ausgerufene Krieg gegen den Terror und selbst die Finanzkrise, die 2008 mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers in New York ihren Ursprung nahm, sind für viele, nicht nur junge, Menschen bereits sehr weit weg.

      Tatsächlich sah jede Krise an ihrem Ende nicht nur Verlierer, sondern ebenso Gewinner. Wirklich vorbereitet waren dabei stets die Wenigsten: Eine klassische Krisenbewältigung ist zuvorderst ein Blick in den Rückspiegel. Die westliche Antwort auf die letzte große Krise bestand somit aus Maßnahmen, die darauf zielten, das Finanzsystem robuster und die Banken sicherer zu machen: Die BeschäftigungBeschäftigung mit Krankheitsverbreitung und Seuchenbeherrschung gehörten jedenfalls nicht dazu. Ebenso sicher wird irgendwann eine neue Krise kommen, bei der uns die ab dem Jahr 2020 gewonnenen Erkenntnisse vermutlich wenig nützen werden.

      Demografie und TechnologieTechnologie

      Wesentlicher Bestandteil oder – je nach Betrachtungswinkel – Basis jeder Volkswirtschaft ist die in ihr lebendende Bevölkerung, die als Individuen und Unternehmen konsumieren und produzieren.

      Bevölkerungen sind aber nichts Statisches. Insgesamt sind die Menschen in Europa in den vergangenen Jahrzehnten älter geworden und sie bekamen weniger Kinder; tatsächlich können wir diese vergangenen Entwicklungen aber nicht einmal mittelfristig „seriös“ extrapolieren. In Teil I dieses Buches werden Ihnen zunächst die Grundkonzepte und -erkenntnisse der Demografie und die damit verbundenen Probleme der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung sowie von Bildung – Bildungspolitik ist im erweiterten Sinne WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik! – und Arbeit erläutert.

      Als den zweiten großen Treiber von gesellschaftlicher Entwicklung werden wir neben der demografischen die technologische Entwicklung herausstellen.

      Krisen sind fast nie Ursachen für gesellschaftliche Entwicklungen, sie sind Auslöser und Beschleuniger. Zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte gab es mehr technologische Entwicklungen in der Fahrzeugindustrie als während der beiden Weltkriege und kurz danach – von Autos über Panzer zu Flugzeugen und Raketen – und es waren die historisch jungen Krankheiten Poliomyelitis (auf deutsch Kinderlähmung) und Aids, die die Virusforschung vorantrieben.

      Einige Gewinner der Zeit nach der Corona-Krise sind bereits sichtbar. Die über Jahre beschworene DigitalisierungDigitalisierung bzw. die sie vorwärtstreibenden Unternehmen, die passende Produkte anzubieten haben, ist nun dabei, weltweit den entscheidenden Schub bzw. Durchbruch zu erfahren. Lern- und Meetingsoftware entwickeln sich rasant und ermöglichen nicht nur die Abhaltung von Online-Veranstaltungen, sondern insgesamt zunehmend effizientes Arbeiten im Home-Office und wirken damit auf unsere Studier- und Arbeitsweise zurück. Ebenso erfordert es im Jahre 2022 weder viel Phantasie noch Prophetie, um enorme Entwicklungen in der Medizintechnik und der Gentechnik vorherzusagen. Frei nach Karl Marx: Die Produktivkräfte treiben die Produktionsverhältnisse, die den Rahmen abgeben, in dem sich die Produktivkräfte bewegen und entwickeln, wobei die Produktionverhältnisse aber wieder auf die Produktivkräfte zurückwirken. Diese Argumentation kann auch auf Staaten übertragen werden. Deutschland hatte Anfang 2020 im Gegensatz zu vielen EU-Partnern gut gefüllte Kassen und Deutschland konnte seine Unternehmen und Bürger somit deutlich besser unterstützen, als dies z.B. in den süd- und südosteuropäischen EU-Staaten der Fall war. Deutschland und seine Unternehmen werden also a priori im Sinne eines „Macht-Nullsummenspiels“ durch die Corona-Krise in der EU stärker werden müssen; ganz sicher nicht zu jedermanns Begeisterung.

      Auf der Ebene der Volkswirtschaften wird seit Ende der 2010er Jahre ein Trend zur Deglobalisierung4 nicht nur beobachtet, sondern ebenso im öffentlichen Raum kommentiert: Damit wird stark vereinfacht ein wirtschaftspolitischer Kurs von Staaten oder Staatenbündnissen verstanden, die sich einer weiteren Weltmarktintegration (teilweise) „verweigern“ bzw. sich und ihre Wirtschaftssektoren mit protektionistischen Maßnahmen zu schützen versuchen. Wichtige Gründe der Deglobalisierung bestehen darin, dass sich die Kostenvorteile bei den Aufwendungen für Löhne in den einstigen „Billiglohnländern“ wie insbesondere China relativiert haben, ebenso die Erkenntnis, dass es in den entwickelten Ländern viele Globalisierungsverlierer gibt und das Erscheinen sogenannter populistischer Parteien, die Auswirkungen der strategischen Rivalität zwischen den USAUSA und China u.v.m. Deutschland als Exportland von Investitionsgütern war bzw. ist dabei (noch) ein Profiteur von freiem oder gering reguliertem Welthandel. Es war somit bereits vor Ausbruch der Corona-Krise zu erwarten, dass eine Abschwächung der Weltkonjunktur in Verbindung mit protektionistischen Maßnahmen nicht nur der USA große Auswirkungen auf die BeschäftigungBeschäftigung und die Profitabilität zahlreicher deutscher Unternehmen haben wird. Diese Entwicklung wird nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit deutlich schneller werden.

      Wir werden also auch in der Wirtschaftspolitik lernen müssen, besser in Szenarien zu denken. Verweise auf Schwierigkeiten bei der Schätzung objektiver Wahrscheinlichkeiten bringen uns hier nicht weiter; notwendig wie hinreichend ist, dass eine Situation für möglich erachtet wird, um sich darauf entsprechend vorzubereiten.

      Ein

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