Indiana. George Sand
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LUNATA
Indiana
© 1832 George Sand
Französischer Originaltitel Indiana
Umschlagbild Waller Hugh Paton
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
Erstes Kapitel
An einem regnerischen, kühlen Herbstabend saßen in einem kleinen Schloss der Brie drei Personen und sahen, in Nachdenken versunken, das Holz im Kamin verbrennen und den Zeiger an der Uhr langsam vorrücken. Zwei dieser Schweigsamen schienen sich der Langweile geduldig zu ergeben. Der dritte der Anwesenden dagegen bewegte sich auf seinem Sitze unruhig hin und her, erstickte halblaut ein melancholisches Gähnen und schlug mit der Feuerzange auf die funkensprühenden Holzstücke.
Es war der Herr des Hauses, der Oberst Delmare, ein alter Degenknopf auf Halbsold, früher schön, jetzt von schwerfälliger Körperfülle, mit kahler Stirn, grauem Bart und ein Paar Augen, vor deren Blick alles zitterte, Frau, Diener, Pferde und Hunde. In seiner Ungeduld begann er endlich mit schwerem Schritte die ganze Länge des Salons auf und ab zu messen, in jener militärisch steifen Haltung, welche den Mann der Parade und den Musteroffizier charakterisiert.
Aber jene Tage des Glanzes, wo der Leutnant Delmare mit der Luft des Feldlagers Ruhm und Triumphe einatmete, waren längst vergangen. Der höhere Offizier außer Dienst, von dem undankbaren Vaterland vergessen, sah sich jetzt verurteilt, die Folgen einer spät geschlossenen Ehe zu tragen. Er war Gatte einer jungen, hübschen Frau, Besitzer eines bequemen Schlosses und dazu ein in seinen Spekulationen glücklicher Fabrikherr. Während er seinen alten, im Geschmack der Zeit Ludwig XV. möblierten Salon durchschritt, warf er bei jeder Wendung seiner Promenade einen scharfen Blick auf die beiden Genossen dieses schweigsamen Abends und wandte dabei seiner Frau jene argwöhnische Aufmerksamkeit zu, mit welcher er nun seit drei Jahren diesen gebrechlichen und kostbaren Schatz hütete.
Denn seine Frau war erst neunzehn Jahre alt, und wenn man sie in der Ecke dieses ungeheuren Kamins von weißem Marmor sah, so schmächtig, so bleich, so traurig, den Ellbogen auf ihre Knie gestützt, so jung, inmitten dieser alten Haushaltung, so mußte man wohl die Gattin des Obersten Delmare beklagen und vielleicht den greisen Oberst noch mehr.
Die dritte Person, ein Mitbewohner dieses einsamen Hauses, saß an der anderen Seite des Kamins. Es war ein Mann in der vollen Kraft und Blüte seiner Jugend, dessen reiches, hellblondes Haar und wohlgepflegter Backenbart in grellem Gegensatz zu dem grauen Haar, der fahlen Gesichtsfarbe und den rauen Zügen des Hausherrn standen; aber man brauchte nicht Künstler zu sein, um den rauen und strengen Ausdruck Herrn Delmares den regelmäßigen nichtssagenden Gesichtszügen des jungen Mannes vorzuziehen; wenn er schon wegen der kräftigen Bildung seiner Formen, der glatten Weiße seiner Stirn, der Ruhe und Klarheit seiner Augen, seiner schönen Hände und sogar wegen der ausgesuchten Eleganz seiner Jagdkleidung in den Augen jeder Frau, die in der Liebe dem Geschmack des vorigen Jahrhunderts huldigte, für einen schönen Kavalier gelten durfte. Aber vielleicht bestand zwischen dieser schwächlichen leidenden Frau und diesem schläfrigen und mit gutem Appetit gesegneten Manne durchaus gar keine Sympathie. Gewiß ist, daß sich das Argusauge des Eheherrn vergeblich anstrengte, zwischen diesen beiden so ungleichen Wesen einen wärmeren