Lyrische Prosa. Rainer Maria Rilke
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Da streifte sein Atem ihr Gesicht; sie fühlte den ekelhaften Dunst von Bier und Wein, sie erschrak vor dem tierischen Blick seiner glänzenden Augen ...
Dann war das Kind ihre ganze Hoffnung. Wenn das auf der Welt sein würde, dann würde sie ein Wesen haben in dem sie aufgehen und leben könnte ... ja, das ist – was ihr fehlte – dachte sie.
Das Kind kam. Mit ihm Schmerzen und Umständlichkeiten. Dann das Geschrei und Augusts lächerliche Zärtlichkeiten. Und jetzt lachte sie wirklich.
Darüber fuhr sie aus ihren Träumen.
Sie schaute umher.
Das Kind hatte sich abgedeckt.
Sie aber rührte sich nicht.
Da polterte etwas. Ein Wagen donnerte unten in den Flur.
Ein Gedanke durchfuhr sie: August! – Jetzt wird er wieder kommen mit seinen verschwommenen Augen, seiner weintrunkenen Heiterkeit. Aus dem kaufmännischen Casino, wie er sagte. Wird sie umarmen, küssen und abgeschmackte Witze wiederkäuen. Es ekelte sie auf einmal. Sie sprang auf, versperrte die Tür und lauschte. Ja, jetzt kam er. Sie kannte diese Schritte. Jäh drückte er die Klinke herab, pochte dann; noch einmal; rief sie beim Namen. Dann hörte sie ihn fluchen. Einen Augenblick wartete er noch. Dann schritt er pfeifend durch das Zimmer, und endlich vernahm sie, wie er schwerfällig die Treppe hinabstieg. Er mochte denken, sie sei eingeschlafen und begab sich in sein Zimmer zu Ruhe.
Sie atmete auf. Die Kehle war ihr trocken. Sie setzte sich wieder auf den Stuhl am Bettrande. Sie hörte, wie im Hofe die Pferde ausgespannt werden. Rohes Schreien, dann Weiberstimmen. Kichern. Sie sah nach der Uhr. Es ging auf 11. So. Jetzt also wieder diese Nacht, und – was dann?
Dann wird es wieder Morgen werden. Sie wird auf das Mädchen läuten. Das Kind waschen und anziehen lassen. Zum Frühstück hinabgehen. Den Haushalt besorgen, dann zum Fenster hinaussehen auf das breite Fabriksdach und den grünen, tiefen Teich; und drüben werden Maschinen ächzen und Menschen schreien wie immer. So nicht nur morgen, so übermorgen, – und alle Tage fort – immer... Ihr schwindelte. Sie schloss die Augen. Sie fühlte diese Unendlichkeit. Grau war sie. Grau wie ein umgeackertes, weites Feld, auf dem der Herbstnebel liegt.
Das Kind sprach etwas im Schlafe. Jetzt fuhr es auf. »Mama, Mama!«
Clara erhob sich. »Schlaf!« sagte sie kurz.
Sie bemerkte nicht die kleinen Händchen, die sich ihr entgegenstreckten. Die Kleine begann zu weinen.
Die Mutter aber war ans Fenster getreten. Sie schaute in die graue, müde Nacht hinaus. Da lag der Teich stumm und glanzlos; und die Weiden am Ufer waren sehr schwarz. Sie begriff gar nicht, wie etwas so schwarz sein könne...
Das Weinen des Kindes wurde schwächer und löste sich allmählich wieder in regelmäßige Atemzüge auf. Clara sah noch immer hinaus.
Sollte sie jetzt schlafen gehen?
Eigentlich sehnte sie sich zu schlafen – so recht süß und lange ...
Vielleicht ist der Schlaf das – Eine?..
Und sie schritt im Zimmer auf und ab. Ihr fröstelte. An der Tür blieb sie stehen und horchte. Es war alles still. Sie schloss behutsam auf. Auf der Schwelle schaute sie sich um – ängstlich und scheu.
Dann lief sie hastig durch den Vorraum zur Treppe.
Fern bellte ein Hund.
Sie schrak zusammen und – wartete. Nichts.
Jetzt tappte sie unwillkürlich die dunkle Treppe hinab – leise, leise ...
Wie dunkel das war!
Aber auf einmal musste sie lächeln.
Jetzt wusste sie, was das Eine war – das Eine ...
Und sie ging in den Mühlteich.
Ende
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