Zwei Städte. Charles Dickens

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seiner Seele heraufbeschwor, stellte sie sich auch von selbst ein und verbreitete ein Düster über ihn, das denen, welche seine Geschichte nicht kannten, so unbegreiflich war, als hätten sie den Schatten der wirklichen Bastille im Sommersonnenschein auf ihn fallen sehen, während der Körper der Bastille dreihundert Meilen weit entfernt war.

      Nur seine Tochter besaß die Fähigkeit, diesen schwarzen Schatten von seinem Gemüth zu bannen. Sie war der goldene Faden, der ihn mit einer Vergangenheit und mit einer Gegenwart verknüpfte, die beide auf der andern Seite seines Leidenslebens lagen; und der Klang ihrer Stimme, das Licht ihres Antlitzes, die Berührung ihrer Hand hatten fast immer einen höchst wohlthätigen Einfluß auf ihn. Fast immer, denn sie konnte sich einiger Fälle erinnern, wo ihre Macht wirkungslos geblieben war, aber dies waren nur wenige und unbedeutende Fälle und sie glaubte, sie würden nicht wiederkehren.

      Mr. Darnay hatte ihr mit Inbrunst und dankbar die Hand geküßt, und sich zu Mr. Stryver gewendet, dem er mit Wärme dankte. Mr. Stryver, ein Mann von wenig mehr als dreißig Jahren, der aber zwanzig Jahre älter aussah, als er war, wohlbeleibt, laut, roth, geradezu und frei von jedem störenden Zartgefühl, hatte eine Art, sich moralisch und physisch in Gesellschaften und Unterhaltungen vorzudrängen, die Bürgschaft dafür gab, daß er sich auch seinen Weg in der Welt bahnen würde.

       Glückwünsche.

      Er hatte noch nicht die Perrücke und den Talar abgelegt und sagte, indem er sich vor seinem Clienten so breit hinstellte, daß er den unschuldigen Mr. Lorry ganz aus der Gruppe drängte: „Es freut mich, Sie mit Ehren durchgebracht zu haben, Mr. Darnay. Es war eine über die Maaßen schändliche und niederträchtige Anklage, die aber nichtsdestoweniger leicht hätte zu einer Verurtheilung führen können.“

      „Sie haben mich für mein Leben verpflichtet — in zweifachem Sinne,“ sagte sein Client, indem er seine Hand ergriff.

      „Ich habe mein Möglichstes für Sie gethan, Mr. Darnay; und mein Möglichstes ist so gut wie das eines Andern, glaube ich.“

      Da hier offenbar Jemand sagen mußte, viel besser, so sagte es Mr. Lorry; vielleicht nicht ganz uneigennützig, sondern mit der eigennützigen Absicht, wieder in die Gruppe hineinzukommen.

      „Meinen Sie?“ sagte Mr. Stryver. „Nun, Sie sind den ganzen Tag dabei gewesen und müssen’s wissen. Sie sind übrigens auch Geschäftsmann.“

      „Und als solcher,“ sprach Mr. Lorry, den der Vertheidiger des Angeklagten jetzt in die Gruppe zurückgedrängt hatte, wie er ihn vorher hinausgedrängt, „als solcher bitte ich Dr. Manette, diese Conferenz abzubrechen und uns Alle nach Hause zu schicken. Miß Lucie sieht leidend aus, Mr. Darnay hat einen schrecklichen Tag gehabt, wir sind Alle fertig.“

      „Sprechen Sie für sich, Mr. Lorry,“ sagte Stryver; „ich habe noch die Nacht zu arbeiten. Sprechen Sie für sich.“

      „Ich spreche für mich,“ gab Mr. Lorry zur Antwort, „und für Mr. Darnay und für Miß Lucie und — Miß Lucie, meinen Sie nicht, daß ich für uns Alle sprechen darf?“ Er legte einen Nachdruck auf die Frage und begleitete sie mit einem Blick auf ihren Vater.

      Auf seinem Antlitz war ein seltsamer Ausdruck, mit dem er Darnay ansah, gewissermaßen festgefroren: Ein forschender Ausdruck, der sich allmälig zu einem Ausdruck der Abneigung und des Mißtrauens vertiefte und in welchen sich sogar Furcht mischte. Während dieser seltsame Ausdruck auf seinem Gesicht lag, waren seine Gedanken in die Ferne geschweift.

      „Vater,“ sagte Lucie, indem sie sanft die Hand auf seinen Arm legte.

      Er schüttelte langsam den Schatten von sich ab und drehte sich nach ihr um.

      „Wollen wir nach Hause gehen, Vater?“

      Mit einem langen, tiefen Athemzug gab er zur Antwort: „Ja.“

      Die Freunde des freigesprochenen Angeklagten waren in der von ihm selbst ausgegangenen Meinung fortgegangen, daß er diesen Abend noch nicht werde in Freiheit gesetzt werden. Die Lampen in den Gängen waren fast alle ausgelöscht, die eisernen Thüren wurden klappernd und rasselnd zugeschlossen und der unheimliche Ort war verödet bis morgen früh, wo Galgen, Pranger, Prügelpfahl und Brandmarkungseisen von Neuem ihren Zehnten forderten.

      Zwischen ihrem Vater und Mr. Darnay trat Lucie Manette hinaus in die freie Luft. Man rief einen Fiacre und Vater und Tochter fuhren darin von dannen.

      Mr. Stryver war in den Gängen von ihnen geschieden, um die Garderobe aufzusuchen. Noch eine Person, welche sich der Gruppe nicht zugesellt und ebenso wenig mit einem von den Andern ein Wort getauscht hatte, die sich aber an die Wand gelehnt hatte, wo der Schatten derselben am dunkelsten war, war schweigend den Uebrigen gefolgt und hatte zugesehen, bis der Wagen fortfuhr. Er trat nun zu Mr. Lorry und Mr. Darnay, die auf der Straße stehen geblieben waren.

      „Aha, Mr. Lorry! Geschäftsleute können jetzt mit Mr. Darnay sprechen.“

      Niemand hatte ein anerkennendes Wort für Mr. Cartons Antheil an den Verhandlungen des Tages gehabt; Niemand hatte darauf Acht gegeben. Er hatte den Advocatentalar abgelegt, ohne daß sein Aussehen dadurch besser geworden wäre.

      „Wenn Sie wüßten, welche Kämpfe der Geschäftsmann zu bestehen hat, wenn sein Inneres getheilt ist zwischen gutmüthigem Wollen und Geschäftsrücksichten, so würden Sie lachen, Mr. Darnay.“

      Mr. Lorry wurde roth und sagte mit Wärme: „Sie haben das schon einmal gesagt, Sir. Wir Geschäftsleute, die einem Hause dienen, sind nicht unsere eigenen Herren. Wir müssen an das Haus mehr als an uns selbst denken.“

      „Das weiß ich, das weiß ich,“ warf Mr. Carton gleichgültig ein. „Seien Sie nicht ärgerlich, Mr. Lorry. Sie sind so gut wie die Andern, das bezweifle ich nicht; besser, wage ich zu sagen.“

      „Und ich muß wahrhaftig sagen, Sir,“ fuhr Mr. Lorry fort, ohne auf ihn zu hören, „ich weiß eigentlich nicht, was Sie die Sache angeht. Wenn Sie mir, der ich so viel älter bin als Sie, erlauben wollen, es auszusprechen, so glaube ich kaum, daß dies Sache Ihres Geschäfts ist.“

      „Meines Geschäfts! Mein Gott, ich habe kein Geschäft,“ sagte Mr. Carton.

      „Es ist schade, daß Sie keins haben, Sir.“

      „Das glaube ich auch.“

      „Wenn Sie ein Geschäft hätten,“ fuhr Mr. Lorry fort, „so würden Sie vielleicht sich demselben widmen.“

      „Du meine Güte, nein! — Ich gewiß nicht,“ sagte Mr. Carton.

      „Ich sage Ihnen, Sir,“ sagte Mr. Lorry, ganz ärgerlich über seine Gleichgültigkeit, „ein Geschäft ist eine sehr gute Sache und eine sehr respectable Sache. Und ich sage Ihnen, Sir, wenn das Geschäft seine Rücksichten fordert und manchen Zwang auflegt, so weiß Mr. Darnay, als junger Mann von Herz, diesen Umstand zu berücksichtigen. Mr. Darnay, gute Nacht. Gott segne Sie, Sir! Ich hoffe, Sie sind heute für ein gedeihliches und glückliches Leben aufbewahrt worden. — Heda, Sänfte!“

      Vielleicht ein wenig ärgerlich über sich selbst, wie über den Sachwalter, stieg Mr. Lorry hastig in die Sänfte und ließ sich nach Tellsons Bank tragen. Carton, der nach Portwein roch und nicht ganz nüchtern zu sein schien, lachte dann und sagte zu Darnay:

      „Ein

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