Zwei Städte. Charles Dickens
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Der Angeklagte, der im Geiste von jedem Einzelnen der Anwesenden gehängt, geköpft und geviertheilt wurde und sich Alles recht wohl bewußt war, ließ sich weder von dieser Umgebung einschüchtern, noch trat er ihr mit einer theatralischen Miene entgegen. Er war ruhig und aufmerksam; beobachtete die einleitenden Verhandlungen mit ernstem Interesse und ließ seine Hände auf dem Bret vor sich so gefaßt ruhen, daß sie auch nicht ein Blättchen von den Kräutern, mit denen es bestreut war, von der Stelle rückten. Ueberhaupt war der ganze Saal mit Kräutern bestreut und mit Essig besprengt, als Schutzmittel gegen Kerkerluft und Kerkerfieber.
Ueber dem Haupte des Angeklagten hing ein Spiegel, um das Licht auf ihn herabzuwerfen. Eine Unzahl von Verworfenen und Unglücklichen hatten ihr Bild darin gesehen und waren von seiner Oberfläche und von der Erde verschwunden. Von welch einer gräßlichen Gespensterschaar müßte dieser Saal heimgesucht sein, wenn der Spiegel die Bilder, die er auf seiner glatten Fläche gezeigt, jemals zurückgeben wollte, wie das Meer seine Todten wieder von sich giebt. Ein flüchtiger Gedanke an die Ehrlosigkeit und die Schmach, die das Glas widergespiegelt, mochte dem Angeklagten in den Sinn kommen. Wie dem immer sein möge, eine Veränderung seiner Stellung ließ ihn gewahr werden, daß ein Streifen Licht auf sein Gesicht falle und er blickte in die Höhe, und als er den Spiegel sah, röthete sich sein Gesicht und seine rechte Hand schob die Kräuter weg.
Dabei geschah es zufällig, daß er das Gesicht nach der Seite des Saales wendete, die sich ihm zur linken Hand befand. Fast auf einer Höhe mit seinen Augen saßen in der Ecke der Richterbank zwei Personen, auf denen sein Auge sofort haften blieb, so auffällig und mit einer solchen Veränderung seines Gesichts, daß alle Augen, die sich auf ihn gewendet hatten, sich auf diese Beiden wendeten.
Die Zuschauer sahen in den beiden Gestalten eine junge Dame von kaum mehr als zwanzig Jahren und einen Herrn, der offenbar ihr Vater war; einen Herrn von sehr merkwürdigem Aussehen, wegen seines schlohweißen Haares und einer gewissen unbeschreiblichen Intensivität des Gesichtsausdrucks; nicht der Außenwelt zugewendet, sondern grübelnd und mit sich selbst beschäftigt. Wenn dieser Ausdruck auf seinem Gesicht lag, sah er aus, als wäre er alt; verschwand er aber manchmal vorübergehend, — wie z. B. jetzt, wie er mit seiner Tochter sprach, so wurde er ein schöner Mann, der noch nicht über das kräftige Mannesalter hinaus ist.
Seine Tochter hatte die eine ihrer Hände durch seinen Arm gezogen, wie sie neben ihm saß und die andere darauf gelegt. Eingeschüchtert von dem Schauspiel, das sie vor sich sah, und voller Mitleid für den Angeklagten, hatte sie sich dicht an den Vater herangedrängt. Auf ihrer Stirn las man deutlich eine Alles vergessende Angst und ein Mitleid, die für Nichts Sinn hatten, als für die Gefahr des Angeklagten. Dies war so deutlich zu lesen, so natürlich und lebendig ausgedrückt, daß Neugierige, die kein Mitleid mit ihm gehabt hatten, sich von ihrem Anblick rühren ließen; und durch den Saal ging ein Geflüster, wer sind sie?
Jerry, der Ausläufer, der seine Beobachtungen für sich in seiner Weise gemacht hatte und der in seinem tiefen Nachdenken den Rost von seinen Fingern gesogen hatte, machte den Hals lang, um zu hören, wer sie wären. Das Gedränge um ihn hatte sich noch dichter zusammengedrängt und die Anfrage an den nächsten Gerichtsdiener befördert und von diesem kam die Antwort langsam zurück; endlich kam sie auch an Jerry:
„Zeugen.“
„Auf welcher Seite?“
„Gegen.“
„Gegen welche Seite?“
„Gegen den Angeklagten.“
Der Richter, dessen Auge der allgemeinen Richtung gefolgt war, sammelte sich wieder, lehnte sich in seinem Sitz zurück und hielt sein Auge auf den Mann geheftet, dessen Leben in seiner Hand lag, wie der Herr Generalanwalt aufstand, um den Strick zu drehen, die Axt zu schärfen und die Nägel in das Schaffot zu schlagen.
Drittes Kapitel.
Eine Enttäuschung.
Der Herr Generalanwalt hatte den Geschwornen mitzutheilen, daß der Angeklagte vor ihnen, obgleich jung an Jahren, doch alt sei in den hochverrätherischen Praktiken, wegen deren jetzt das Gesetz seinen Kopf fordere. Daß sein Verkehr mit dem Landesfeinde nicht ein Verkehr von heute oder von gestern oder nur vom vorigen oder vorvorigen Jahre sei. Daß es unzweifelhaft sei, daß der Angeklagte schon seit längerer Zeit als dieser zwischen Frankreich und England in geheimen Geschäften, über die er keine ehrliche Auskunft geben könne, hin- und hergereist sei. Daß, wenn es in der Natur hochverrätherischer Umtriebe liege, zum Ziele zu führen (was glücklicher Weise nie der Fall sei), die wirkliche Boshaftigkeit und Strafbarkeit dieses Unterfangens noch unentdeckt sein könnte. Daß jedoch die Vorsehung es einer Person ohne Furcht und ohne Tadel eingegeben habe, den verbrecherischen Plänen des Angeklagten nachzuspüren und sie, erfüllt von Entsetzen, Sr. Majestät oberstem Staatssecretär und höchst ehrenwerthem Geheimen Rath zu enthüllen. Daß er diesen Patrioten ihnen vorführen werde. Daß seine Stellung und Haltung in der That und im Ganzen erhaben sei. Daß er des Angeklagten Freund gewesen, aber nachdem er in einer glücklichen und einer bösen Stunde seine Niederträchtigkeit entdeckt, beschlossen habe, den Verräther, den er nicht länger an seinem Busen wärmen konnte, auf dem geheiligten Altar des Vaterlandes zu opfern. Daß, wenn in Großbritannien wie im alten Griechenland und Rom Wohlthätern des Gemeinwesens Bildsäulen errichtet würden, dieser ausgezeichnete Bürger sicherlich durch eine geehrt werden würde. Daß dies aber wahrscheinlich nicht der Fall sein würde, da es hier nicht Sitte sei. Daß die Tugend, wie die Dichter sagten (in vielen Stellen, von denen er wüßte, daß die Geschwornen sie Wort für Wort auswendig kännten; worauf die Gesichter der Geschwornen ein Schuldbewußtsein, daß sie kein Wort von den Stellen wüßten, verriethen), gewissermaßen ansteckend sei, vor Allem aber die herrliche Tugend, welche man Patriotismus oder Vaterlandsliebe nenne. Daß das erhabene Beispiel dieses fleckenreinen und untadelhaften Zeugen für die Krone, von dem zu sprechen für Jeden eine Ehre sei, nicht ohne Eindruck auf den Bedienten des Angeklagten geblieben sei und in diesem einen heiligen Entschluß erzeugt habe, die Kästen und Taschen seines Herrn zu durchsuchen und seine Papiere bei Seite zu schaffen. Daß er (der Herr Generalanwalt) auf einen Versuch gefaßt sei, über diesen bewundernswürdigen Bedienten tadelnde und geringschätzende Bemerkungen zu machen; aber daß im Allgemeinen er ihn seinen (des Herrn Generalanwalts) Brüdern und Schwestern vorziehe und ihn mehr als seinen (des Herrn Generalanwalts) Vater und seiner Mutter ehre. Daß er mit Zuversicht die Geschwornen auffordere, dasselbe zu thun. Daß die Aussage dieser beiden Zeugen, verbunden mit den von ihnen entdeckten, schriftlichen Beweisen, die ihnen vorgelegt werden würden, beweisen könnten, daß der Angeklagte im Besitz von Standeslisten der Streitkräfte Sr. Majestät und Nachweisen über ihre Standquartiere und Ausrüstung, sowohl zu Wasser wie zu Lande gewesen, die keinen Zweifel übrig lassen würden, daß er regelmäßig diese Nachweise einer feindlichen Macht mitgetheilt habe. Daß nicht nachgewiesen werden könne, daß diese Schriften von der Hand des Angeklagten seien; daß dies aber ganz gleichgültig sei, oder vielmehr um so besser für die Anklage, da daraus hervorgehe, wie schlau der Angeklagte in seinen Vorsichtsmaßregeln sei. Daß die Beweise fünf Jahre zurückgehen und den Angeklagten mit seinen strafbaren Plänen bereits wenige Wochen vor dem allerersten Gefecht zwischen den englischen Truppen und den Amerikanern beschäftigt zeigen würden. Daß aus diesen Gründen die Geschwornen, als loyale Geschworne (als welche