Zwei Städte. Charles Dickens

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Zwei Städte - Charles Dickens

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durch die Risse in der Mauer glänzte.

      Mr. Lorry und Monsieur Defarge hatten Alles zur Reise fertig gemacht und außer Reisemänteln und Umhüllungen Brod und Fleisch, Wein und heißen Kaffee besorgt. Monsieur Defarge setzte Speisen und Getränke und die Lampe, die er mitgebracht, auf die Schuhmacherbank (es war sonst Nichts in der Dachkammer, als eine Bettmatratze), und er und Mr. Lorry weckten den Gefangenen und halfen ihm auf die Beine.

      Kein menschlicher Verstand hätte in dem scheuen, leeren Staunen seines Gesichts die Geheimnisse seiner Seele lesen können. Ob er wußte, was geschehen war, ob er sich besann, was sie zu ihm gesagt hatten, ob er wußte, daß er frei war, das waren Fragen, die kein Scharfsinn hätte lösen können. Sie versuchten, ihn anzureden, aber er war so verlegen und so außerordentlich langsam im Antworten, daß sie über seine Verwirrung besorgt wurden und übereinkamen, vor der Hand keine weiteren Versuche mit ihm zu machen. Er hatte eine heftige scheue Art, den Kopf in die Hände zu nehmen, die man früher nicht an ihm bemerkt hatte. Aber der bloße Klang der Stimme seiner Tochter machte ihm einige Freude und so oft sie sprach, wendete er sich nach ihr hin.

      In der unterwürfigen Weise eines Menschen, der seit Langem gewohnt ist, dem Zwange zu gehorchen, aß und trank er, was sie ihm zu essen und zu trinken gaben und legte den Mantel und die andern Umhüllungen an, die sie ihm hinreichten. Er ließ sich es gern gefallen, daß seine Tochter ihren Arm durch den seinigen zog und nahm und behielt ihre Hand in seinen beiden Händen.

      Sie fingen an hinabzusteigen; Monsieur Defarge voran mit der Lampe, Mr. Lorry zum Schluß der kleinen Procession. Sie waren noch nicht viele Stufen die lange Haupttreppe hinuntergekommen, als er stehen blieb und das Dach und ringsum die Wände anstarrte.

      „Du erinnerst dich des Ortes, Vater? Du erinnerst Dich, hierhergekommen zu sein?“

      „Was sagtest Du?“

      Aber ehe sie die Frage wiederholen konnte, murmelte er eine Antwort, als ob er sie wiederholt hätte.

      „Mich erinnern? Nein, ich erinnere mich nicht daran. Es ist so lange Zeit her.“

      Daß er nicht das Mindeste davon wußte, aus seinem Gefängniß nach diesem Hause gebracht worden zu sein, war offenbar. Sie hörten ihn vor sich hinmurmeln: Einhundert und Fünf, Nordthurm; und wenn er sich umsah, suchte er sichtlich die starken Festungsmauern, die ihn so lange eingeschlossen hatten. Als sie den Hof erreichten, veränderte er instinktmäßig seinen Schritt, als erwartete er, auf eine Zugbrücke zu treten; und als keine Zugbrücke kam und er den Wagen auf offener Straße warten sah, ließ er die Hand seiner Tochter fallen und griff wieder nach dem Kopfe.

      Es stand kein Gedränge um die Thür; man bemerkte Niemand an den vielen Fenstern; nicht einmal ein zufällig Vorübergehender befand sich auf der Straße. Eine unnatürliche Stille und Verlassenheit herrschten daselbst. Nur Eine Seele war zu sehen und das war Madame Defarge, die gegen das Thürgewände lehnte, strickte und Nichts sah.

      Der Gefangene war in den Wagen gestiegen und seine Tochter war ihm gefolgt, als Mr. Lorry’s Fuß auf dem Wagentritt von der mit kläglicher Stimme vorgebrachten Bitte aufgehalten ward, ihm das Schuhmacherhandwerkszeug und die halbfertigen Schuhe mitzugeben. Madame Defarge rief sogleich ihrem Mann zu, daß sie sie holen wolle und ging strickend aus dem Laternenschein durch den Hof. Sie brachte sie sehr bald herüber und reichte sie hinein; — und unmittelbar darauf lehnte sie wieder am Thürgewände, strickte und sah Nichts.

      Defarge stieg auf den Bock und sagte dem Postillon: „Nach der Barrière!“ Der Postillon klatschte mit der Peitsche und sie rasselten unter den trübe brennenden, über ihnen sich schaukelnden Laternen hin.

      Unter den über ihnen sich schaukelnden Laternen — die immer heller in den bessern Straßen und immer trüber in den schlechtern Straßen sich schaukelten — und vorbei an hellerleuchteten Läden und Kaffeehäusern, fröhlichem Menschengewühl und Theaterthüren nach einem der Thore der großen Stadt. Soldaten mit Laternen standen dort an der Wache. „Ihre Papiere!“ „Hier sind sie, Herr Offizier!“ sagte Defarge, indem er abstieg und ihn ernst bei Seite nahm. „Das sind die Papiere des Herrn, dem mit dem weißen Kopf. Sie sind mir mit ihm übergeben worden im —“ er ließ seine Stimme sinken — die militärischen Laternen bewegten sich aufgeregt, eine von ihnen streckte sich mit einem Arm in Uniform in den Wagen hinein und die zu dem Arm gehörenden Augen sahen sich nicht mit einem alltäglichen oder allnächtlichen Blick Monsieur mit dem weißen Kopf an. „Es ist gut. Kann passiren!“ von der Uniform. „Adieu!“ von Defarge. Und so unter einer bald zurückgelegten Allee von schwächer und schwächer brennenden, sich oben schaukelnden Laternen hinaus unter den großen Sternenhain.

      Unter diesem Gewölbe unbeweglicher und ewiger Sonnen, einige so entfernt von dieser kleinen Erde, daß die Gelehrten uns erzählen, es sei zweifelhaft, ob ihre Strahlen sie bis jetzt als einen Punkt im Weltenraume, wo Etwas gethan oder gelitten wird, entdeckt hätten, waren die Schatten der Nacht breit und schwarz. Durch den ganzen, kalten, ruhelosen Zwischenraum bis zum Tagen flüsterten sie abermals Mr. Jarvis Lorry — der dem begrabenen und wiederausgegrabenen Manne gegenüber saß und darüber grübelte, was für geistige Kräfte ihm für immer verloren gegangen und welche der Wiederherstellung fähig sein möchten — die alte Frage zu:

      „Ich hoffe, Sie treten gerne wieder in’s Leben ein?“

      Und die alte Antwort:

      „Das weiß ich nicht.“

Zweites Buch. Das goldene Haar.

       Fünf Jahre später.

      Tellsons Bank am Tempelthor war ein altmodischer Ort, selbst im Jahre 1780. Es war ein sehr kleines, sehr dunkles, sehr häßliches, sehr unbequemes Local. Es war auch altmodisch in der moralischen Eigenschaft, daß die Compagnons des Hauses stolz auf seine Kleinheit, stolz auf seine Dunkelheit, stolz auf seine Häßlichkeit, stolz auf seine Unbequemlichkeit waren. Sie rühmten selbst seine ausgezeichneten Leistungen nach diesen Seiten hin und waren von der tiefen Ueberzeugung erfüllt, daß, wenn weniger an ihm auszusetzen wäre, es weniger respectabel wäre. Das war kein passiver Glaube, sondern eine active Waffe, welche sie gegen bequemer eingerichtete Geschäftslocale schwangen. „Tellsons (sagten sie) brauchen keinen Platz, um sich umzudrehen, Tellsons brauchen kein Licht, Tellsons brauchen keine Verschönerung. Das wäre vielleicht bei Noakes u. Comp. der Fall, oder bei Snooks Gebrüder; aber bei Tellsons Gott sei Dank nicht!“

      Jeder der Compagnons hätte seinen Sohn enterbt, wenn er sich unterfangen hätte, von dem Umbau von Tellsons Local zu sprechen. In dieser Hinsicht war es mit dem Hause ziemlich ebenso, wie mit dem Lande, welches sehr oft seine Söhne enterbte, weil sie Verbesserungen in Gesetzen und Gebräuchen vorschlugen, die seit Langem zu den größten Uebelständen gezählt hatten, aber deshalb nur um so respectabler waren.

      So war es gekommen, daß Tellsons Geschäftslocal die Alles übertreffende Vollkommenheit der Unbequemlichkeit war. Nachdem man eine Thür von blödsinniger Halsstarrigkeit mit einem schwachen Geröchel in der Kehle aufgebrochen, fiel man zwei Stufen hinab in das Local selbst und kam in einem elenden kleinen Laden mit zwei kleinen Zahltischen zur Besinnung, wo in der Hand der ältesten Männer die Anweisung zitterte, als ob der Wind sie bewegte, während sie die Unterschrift am trübsten aller Fenster, das ein beständiges Regenbad von Schmutz von Fleetstreet auszuhalten hatte und noch dunkler wurde durch das dicke, schwere Eisengitter vor demselben und den dunkeln Schatten des Tempelthors, besichtigten. Verlangte das Geschäft, „unser Haus“ zu sehen, so wurde man in eine Art Carcerzelle hinten hinaus gebracht, wo man über ein übelangewendetes Leben nachdachte, bis „unser Haus“, die Hände in den Taschen, hereintrat und man ihn in dem unheimlichen Zwielicht kaum mit blinzelnden Augen ansehen konnte.

      Das

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