Zwei Städte. Charles Dickens
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Während er so sprach, ließ er seine andere, reine Hand (vielleicht zufällig, vielleicht nicht) auf das Herz des Spaßmachers fallen. Der Spaßmacher schlug mit seiner Hand darauf, machte einen hurtigen Luftsprung und kam wieder auf die Beine in einer phantastischen Tänzerstellung, den einen seiner Schuhe, den er beim Springen vom Fuße geschleudert, in der Hand und vor sich ausgestreckt haltend. Unter diesen Umständen nahm er sich wie ein Spaßmacher von äußerst, um nicht zu sagen grausam, praktischem Charakter aus.
„Ziehe ihn wieder an, ziehe ihn wieder an,“ sagte der Andere. „Nenne Wein, Wein und mache der Sache ein Ende.“ Mit diesem Rath wischte er sich seine schmutzige Hand auf dem Aermel des Spaßmachers ab — ganz überlegt, da er sich die Hand seinetwegen beschmutzt hatte; und ging dann wieder über die Straße und trat in die Weinschenke.
Dieser Weinwirth war ein kriegerisch aussehender Mann von dreißig Jahren mit einem Stiernacken, der heißes Blut haben mußte, denn obgleich es bitter kalt war, hatte er doch keinen Rock an, sondern hatte ihn über die Schulter geworfen. Auch die Hemdärmel hatte er aufgestreift und die braunen Arme waren bis an die Ellbogen bloß. Ebenso wenig trug er auf dem Kopfe etwas Anderes, als sein eigenes kurzgelocktes und kurzgeschnittenes, schwarzes Haar. Er war überhaupt ein schwarzer Mann mit guten Augen und einer guten offenen Breite zwischen ihnen. Im Ganzen von gutmüthigem, aber auch unerbittlichem Aussehen; offenbar ein Mann von starkem Entschluß und festem Willen; ein Mann, dem man nicht begegnen möchte, wenn er durch einen engen Paß, mit einem Abgrund an jeder Seite, eilt, denn Nichts würde ihn zum Umkehren bewegen.
Madame Defarge, seine Frau, saß im Laden hinter dem Ladentisch, als er eintrat. Madame Defarge war eine wohlbeleibte Frau von ungefähr demselben Alter wie er, mit einem aufmerksamen Auge, das selten etwas Bestimmtes anzusehen schien, einer großen, mit vielen Ringen geschmückten Hand, einem gefaßten Gesicht, starken Zügen und großer Ruhe im Benehmen. Aus dem Aussehen der Madame Defarge war man geneigt zu prophezeien, daß sie sich sehr selten in den Rechnungen, die sie zu besorgen hatte, zu ihrem Schaden irrte. Da Madame Defarge empfindlich gegen Kälte war, war sie in Pelz eingewickelt und hatte einen großen bunten Shawl um den Kopf gewunden, der aber immer noch ihre großen Ohrringe sehen ließ. Ihr Strickzeug lag vor ihr, aber sie hatte es weggelegt, um sich mit einem Zahnstocher die Zähne zu stochern. So beschäftigt und den rechten Ellbogen in die linke Hand gestützt, sagte Madame Defarge Nichts, als ihr Eheherr eintrat, sondern ließ nur ein kaum hörbares Husten vernehmen. Dies und das kaum eine Linie breite Emporziehen ihrer scharfgezeichneten schwarzen Augenbrauen sagten ihrem Manne, daß er gut thun würde, sich im Laden unter den Gästen nach etwaigen neuen Gästen umzusehen, welche gekommen waren, während er draußen auf der Straße gestanden hatte.
Der Weinwirth ließ demgemäß seine Blicke umherschweifen, bis sie auf einem ältlichen Herrn und einer jungen Dame haften blieben, die in einer Ecke saßen. Auch noch andere Gesellschaft war da: zwei Kartenspieler, zwei Dominospieler, drei, die am Ladentisch standen und einen kleinen Rest Wein zögernd austranken. Als er hinter den Ladentisch trat, bemerkte er, daß der ältliche Herr mit einem Blick zu der jungen Dame sagte. „Das ist unser Mann.“
„Was zum Teufel wollt ihr in dieser Galeere!“ sagte Monsieur Defarge zu sich; „ich kenne euch nicht.“
Aber er stellte sich, als ob er die beiden Fremden nicht beachtete und ließ sich mit den drei Gästen, die am Ladentisch tranken, in ein Gespräch ein.
„Wie geht es, Jacques?“ sagte einer von den Dreien zu Monsieur Defarge. „Ist der verschüttete Wein alle aufgetrunken?“
„Bis auf den letzten Tropfen, Jacques“, antwortete Monsieur Defarge. Als die Beiden mit diesem Austausch der Taufnamen fertig waren, ließ Madame Defarge, die sich immer in den Zähnen stocherte, ein anderes kaum hörbares Husten vernehmen und zog ihre Augenbrauen um eine andere Linienbreite in die Höhe.
„Nur selten,“ sagte der Zweite von den Dreien zu Monsieur Defarge, „haben diese elenden Lastthiere Gelegenheit, den Geschmack von Wein, oder von etwas Anderem als schwarzem Brod und Tod kennen zu lernen. Nicht wahr, Jacques?“
„Freilich, Jacques,“ entgegnete Monsieur Defarge.
Bei diesem zweiten Austausch des Taufnamens ließ Madame Defarge, immer noch mit ruhigster Fassung ihren Zahnstocher gebrauchend, wieder einen kaum hörbaren Husten vernehmen und zog ihre Augenbrauen noch um eine Linie empor.
Der Letzte von den Dreien kam jetzt an die Reihe, zu sprechen, wie er das leere Glas hinsetzte und mit den Lippen schmatzte.
„Ach, um so schlimmer! Ewig haben diese armseligen Lastthiere einen bittern Geschmack im Maule und ein beschwerliches Leben müssen sie führen. Nicht wahr, Jacques?“
„Freilich, Jacques“, war die Antwort Monsieur Defarge’s.
Dieser dritte Austausch des Taufnamens war eben vollzogen, als Madame Defarge den Zahnstocher weglegte, die Augenbrauen noch weiter in die Höhe zog und sich kaum merklich auf ihrem Stuhl bewegte.
„Ja so! Richtig!“ brummte der Mann vor sich hin. „Meine Herren — meine Frau —“
Die drei Gäste zogen vor Madame Defarge die Hüte ab und machten einen Kratzfuß. Sie nahm die Huldigung durch ein Neigen des Kopfes an und warf einen raschen Blick auf sie. Dann sah sie sich wie zufällig einmal im Laden um und nahm mit großer Ruhe und Fassung ihr Strickzeug her und vertiefte sich ganz in dasselbe.
„Guten Tag, meine Herren!“ sagte ihr Mann, der sie mit seinem hellen Auge aufmerksam beobachtet hatte. „Das möblirte Zimmer für ledige Herren, das Sie zu sehen wünschten und nach dem Sie sich erkundigten, als ich hinausging, ist im fünften Stock. Der Thorweg zur Treppe ist in dem kleinen Hofe, dicht nebenan, links — er wies mit seiner Hand nach dieser Richtung — gleich bei dem Fenster meines Ladens. Aber ich besinne mich jetzt, Einer von Ihnen ist schon dort gewesen und kann den anderen Herren den Weg zeigen. Leben Sie wohl, meine Herren!“
Sie bezahlten ihren Wein und verließen den Laden. Die Augen Monsieur Defarge’s beobachteten seine Frau beim Stricken, als der ältliche Herr aus seiner Ecke hervorkam und ihn um ein paar Worte bat.
„Sehr gern“, sagte Monsieur Defarge und trat ohne Weiteres mit ihm an die Thür.
Ihre Unterredung war sehr kurz, aber sehr entschieden. Fast bei dem ersten Worte fuhr Monsieur Defarge auf und zeigte die tiefste Aufmerksamkeit. Es hatte noch keine Minute gedauert, so nickte er und ging hinaus. Der Herr winkte dann der jungen Dame und auch sie ging hinaus. Madame Defarge strickte mit hurtigen Fingern und unbeweglichen Augenbrauen und sah Nichts.
Als Mr. Jarvis Lorry und Miß Manette in dieser Weise die Weinschenke verlassen hatten, gesellten sie sich Monsieur Defarge in dem Thorweg bei, nach welchem er soeben erst die anderen Gäste gewiesen hatte. Es war der Ausgang eines stinkenden, kleinen, finstern Hofes und der allgemeine Zugang zu einer großen Häusermasse, in der eine Unzahl Leute wohnte. In dem dämmerdunkeln, mit Ziegeln gepflasterten Eingang zu der dämmerdunkeln, mit Ziegeln gepflasterten Treppe ließ sich Monsieur Defarge auf ein Knie vor dem Kinde seines alten Herrn nieder und drückte ihre Hand an seine Lippen. Es war ein sanftes Beginnen, aber durchaus nicht sanft gethan; binnen wenigen Secunden war eine sehr merkwürdige Umwandlung mit ihm vorgegangen. Es war keine Gutmüthigkeit oder Offenheit mehr in seinem Gesicht zu sehen, sondern er war ein heimlicher, zorniger, gefährlicher Mann geworden.