Zwei Städte. Charles Dickens
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Gellendes Lachen und fröhliches Plaudern — Stimmen von Frauen, Männern und Kindern durch einander — durchschallte die Straße, so lange dieser Weinscherz dauerte. Es war wenig Rohheit in dem Spiele und viel gute Laune. Es war etwas besonders Gemüthliches darin, eine sichtliche Neigung bei einem Jeden, sich zu einem Andern zu gesellen, was vorzüglich bei den Glücklichern oder Leichtblütigern zu lustigen Umarmungen, Händeschütteln und selbst Reihentänzen von einem Dutzend auf einmal führte. Als der Wein aufgetrunken war und die Stellen, wo er am reichlichsten geflossen hatte, von Fingern mit einem Gittermuster durchzogen waren, hörten diese Demonstrationen ebenso plötzlich auf, als sie angefangen hatten. Der Holzmacher, der seine Säge in dem Brennholz, das er sägte, hatte stecken lassen, setzte sie wieder in Bewegung; die Frau, die auf einer Hausthürstufe den Topf mit heißer Asche hatte stehen lassen, mit dem sie versucht hatte, ihre abgezehrten Hände oder Füße oder die ihres Kindes zu erwärmen, kehrte zu ihm zurück; Männer mit nackten Armen, verwirrten Locken und leichenfarbigen Gesichtern, die aus Kellern an das Wintertageslicht getreten waren, suchten wieder ihre unterirdischen Wohnungen auf und ein Düster verbreitete sich über die Umgebung, das ihr natürlicher zu sein schien, als Sonnenschein.
Der Wein war Rothwein gewesen und hatte das Pflaster der engen Straße in der Vorstadt St. Antoine in Paris, wo er vergossen worden, gefärbt. Er hatte viele Hände und viele Gesichter und viele bloße Füße und viele Holzschuhe gefärbt. Die Hand des Holzmachers ließ rothe Zeichen auf den Scheiten, die er zersägte, zurück; und die Stirn der Frau, die ihr Kind säugte, war gefärbt von dem alten Fetzen, den sie sich wieder um den Kopf gewickelt hatte. Die gierig an den Dauben des Fasses genagt hatten, hatten einen tigerhaften Blutmund; und ein so beschmierter langer Lustigmacher, dessen Kopf mehr außerhalb eines langen schmutzigen Sackes von einer Nachtmütze saß, als darin, malte mit seinem in die schmutzigen Weinhefen getauchten Finger an eine Wand — Blut.
Die Zeit war im Anzuge, wo auch dieser Wein auf dem Pflaster verspritzt werden und die Flecken desselben manchen Stein röthen sollten.
Und jetzt, wo das Düster sich wieder über St. Antoine sammelte, welches ein rasch vorübergehender Sonnenschein von seinem heiligen Gesicht verjagt hatte, wurde die Finsterniß gar schwer und Kälte, Schmutz, Krankheit, Unwissenheit und Mangel waren die Kammerherren, die den hohen Heiligen bedienten — lauter Edelleute von großer Macht, vornehmlich aber der letztgenannte. Musterstücke von einem Volke, das sich ein schreckliches Mahlen und wieder Mahlen in der Mühle hatte gefallen lassen, aber gewiß nicht in der märchenhaften Mühle, welche Alte wieder zu Jungen macht, standen vor Frost schüttelnd an jeder Ecke, gingen in jedem Thorweg aus und ein, sahen aus jedem Fenster heraus, flatterten in jedem Lumpenkleid, das der Wind in Bewegung setzte. Die Mühle, welche sie zu Schanden gemahlen hatte, war die Mühle, welche junge Leute alt mahlt; die Kinder hatten alte Gesichter und ernste Stimmen; und auf den Gesichtern der Erwachsenen und tief eingeprägt in jeder Falte des Alters war das Wort Hunger zu lesen. Es herrschte überall vor. Hunger ragte aus den hohen Häusern hervor in den jämmerlichen Kleidungsstücken, die auf Stangen und Stricken hingen; Hunger war in die Häuser selbst mit Stroh und Lumpen und Holz und Papier geflickt; Hunger wiederholte jedes Stückchen des Bettelrestes Brennholz, welches der Holzmacher zersägte. Hunger stierte hernieder von den rauchlosen Schornsteinen und sprang empor von der schmutzigen Straße, unter deren Kehricht sich kein Abfall von etwas Eßbarem befand. Hunger war die Firma des Bäckerladens, niedergeschrieben von jedem kleinen Laib seines kärglichen Vorraths von schlechtem Brod und in dem Wurstladen von jeder Zubereitung von Hundefleisch, das zum Verkauf angeboten ward. Der Hunger klapperte mit seinen dürren Knochen unter den Kastanien, die in dem Blechcylinder geröstet wurden; Hunger wurde in kleine Theilchen in jeden Dreierteller Suppe, in winzigen Kartoffelstückchen, geröstet von ein Paar widerwilligen Tropfen Oel, hinein geschnitten.
Seine Heimath war in allen Dingen für ihn geeignet. Eine enge, krumme Straße, voll ekelhaften Schmutz und Gestank, von der andere enge krumme Straßen ausliefen, alle bevölkert von Lumpen und Nachtmützen, und alle nach Lumpen und Nachtmützen riechend, und alle sichtbaren Dinge von einem unheimlich brütenden Aussehen, das Unheil ahnen ließ. In der abgehetzten Miene des Volkes lauerte noch ein Raubthiergedanke auf die Möglichkeit, sich gegen den Verfolger zu stellen. Obgleich die Leute gedrückt und gedemüthigt waren, fehlte es doch auch nicht an feurigen Augen unter ihnen; noch an zusammengepreßten Lippen, weiß von dem, was sie niederdrückten; oder an Stirnen, mit langen Runzeln, ähnlich den Galgenstricken, von denen sie träumten, als Dulder oder als Rächer. Die Schilder (und es gab deren fast so viele, als Läden waren) lauter schauerliche Bilder der Noth. Der Fleischer malte nur die magersten Knochenenden; der Bäcker die gröbsten, allerwinzigsten Brode. Die rohgemalten Zecher in den Weinläden raisonnirten über ihr knappes Maaß dünnen Weins oder Biers, und flüsterten unheimlich vertraulich mit einander. Nichts war in gutem und blühendem Zustande dargestellt, als Werkzeuge und Waffen; die Messer und Beile des Messerschmieds waren scharf und funkelnd, die Hämmer des Schmieds waren schwer und die Vorräthe des Büchsenmachers mörderisch. Die lahmmachenden Steine des Pflasters mit ihren vielen kleinen Pfützen von Schlamm und Wasser duldeten keine Bürgersteige, sondern gingen bis unmittelbar an die Hausthüren. Um das wieder gut zu machen, lief die Gosse die Mitte der Straße herab, wenn sie überhaupt lief, was aber nur nach schwerem Regen geschah, und dann lief sie mit vielen launenhaften und unberechenbaren Stößen in die Häuser. Quer über die Straße hingen in weiten Zwischenräumen schwerfällige Laternen an einem Strick und einem Flaschenzuge; Nachts, wenn der Laternenwärter diese heruntergelassen und angezündet und wieder hinaufgewunden hatte, wackelte eine Reihe düster brennender Dochte in schwächlicher, Schwindel erregender Weise hoch oben, als ob sie auf dem Meere wären. Und sie waren auch wirklich auf dem Meere und das Schiff und seine Mannschaft war von einem schweren Sturme bedroht.
Denn die Zeit war im Anzuge, wo die abgezehrten Vogelscheuchen dieser Region dem Laternenmann in ihrem Nichtsthun und ihrem Hunger so lange zugesehen hatten, daß sie auf den Gedanken kamen, seine Methode zu verbessern und an diesen Stricken und Flaschenzügen Menschenkinder hinaufzuwinden, um ein grelles Licht auf die Finsterniß ihres Zustandes zu werfen. Aber gekommen war die Zeit noch nicht, und jeder Wind, der über Frankreich wehte, setzte vergebens die Lumpen der Vogelscheuchen in Bewegung, denn die Vögel, gar schön von Gesang und Gefieder, ließen sich nicht warnen.
Der Weinschank lag an einer Ecke und war seinem äußeren Ansehen und seinen Gästen nach besser als die meisten andern, und der Herr des Weinschanks stand in gelber Weste und grünen Beinkleidern vor seiner Thür und sah dem Kämpfen um den verschütteten Wein zu. „S’ist nicht meine Sache,“ sagte er zuletzt mit einem Achselzucken. „Die Leute vom Markt haben’s verschüttet. Sie mögen ein anderes Faß bringen.“
Jetzt fielen seine Augen zufällig auf den langen Lustigmacher, der seinen Spaß an die Wand schrieb und er rief ihm über die Straße zu: „Heda, Gaspard, was machst Du da?“
Der Bursche wies mit prahlerischer Bedeutsamkeit,