Fürstin des Nordens. Juryk Barelhaven
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„Elfen kann ich auch nicht leiden.“
„Gibt auch nicht mehr viele von ihnen.“ Er griff in seinen alten Soldatenmantel und holte Pfeife und Tabaksbeutel hervor. Er begann, sie umständlich zu stopfen. „Aber etwas Gutes haben sie ja.“
„So? Und was?“
„Schaut euch um.“ Francesco entzündete seine Pfeife und schmauchte große Kringel, bevor er fortfuhr. „Norfesta hat keine Banditen mehr.“
Beide beobachteten, wie weit vor ihnen ein Grizzly aus dem Unterholz brach und kurz in ihre Richtung schaute, bis er sich beeilte fortzukommen.
„Die Kleine ist ja nett und so“, gurgelte der Kutscher, indem er sprach und gleichzeitig sich den letzten Rest seines Alkohols einverleibte. Er hustete kurz, dann fuhr er fort: „Claudile soll kein echter Werwolf sein, sagt man sich. Hat nur Flausen im Kopf. Sucht ständig die Nähe von Menschen. Ist vielleicht ein Seitensprung, so sagt man. Hatte wohl ein rothaariger Bauer ein Treffen mit der Königin…“
„An deiner Stelle wäre ich vorsichtig“, mahnte Francesco und sah ihn übertrieben scharf an. „Claudile ist scharfsinnig. Sie hat Feuer. Aber sie ist definitiv die Tochter vom Großen Khan der Wölfe. Glaub nicht alles, was die Leute reden.“ Die beiden älteren Brüder, Zurric und Pjotr, waren als Barone tätig. Ihre Mutter Cesarel war als „Schattenprinzessin“ die Anführerin des Rudels und als konservative Adelige und als Diplomatin ständig im Gespräch bei Hofe. Solche Reden – ob von Mensch oder Wolf – bedeutete mehr als nur Ungemach.
„Gleich behauptest du noch, das Ding hätte Gefühle“, ächzte der Kutscher schwer und bedeutete den Pferden anzuhalten, als eine völlig verdreckte, nackte Frau aus den Büschen trat und Anstalten machte einzusteigen.
Nein, dachte Francesco bedrückt, Claudile hat ein ganz anderes Problem.
Einige Meilen weit verlief die Straße breit und eben in östlicher Richtung durch das Weite Tal. Sie führte schnurgerade durch den Wald am Rande der Hochwasserebene des nördlichen Flussufers entlang, wo die Bäume hoch und ungehindert wuchsen. Den Reisenden bot sich ein freier Blick auf den Gebirgsfluss, und nicht selten konnten sie die Tiere des Waldes sehen, die zum Flussufer kamen, um zu trinken.
Die Wildheit eines Wolfes zu zähmen bedeutet Geduld und Selbstdisziplin aufbringen zu müssen. Die menschliche Form halten können, bedeutete, Herr über das eigene Schicksal zu sein und galt bei den Aufgeklärten als höchste Form. Ein verwandelter Mensch verspürte immerzu dieses Jucken, dieses Zerren, den Trieb sich zu verwandeln. Es war, als hätte man eine schlecht verheilte Narbe auf dem Rücken, an der man nur schwer hinkam, um sich mal richtig zu kratzen. Doch all die Selbstbeherrschung nützte nichts, wenn der Vollmond zu sehen war. Dann war das Verlangen da und die Nacht verwandelte sich in Farben und Gerüche, die nur ein Wolf verstehen konnte.
Erschöpft aber sichtlich zufrieden hatte Claudile es sich in der Kutsche bequem gemacht, während um sie herum die Welt wieder ihre normale Fülle an Geräuschen und Gerüchen annahm. Tiere flohen vor ihr, selbst die Gefährlichen. Einmal hatte sie eine Bärenfamilie aufgestöbert, die ihr Territorium verteidigen wollten. Nun, ihre Felle hingen zuhause am Kamin. Werwölfe diskutierten nicht.
Sie schlief langsam ein und träumte von der Jagd.
Je mehr sich die Straße dem östlichen Rand des Tales näherte, desto weiter entfernte sich sie sich vom Fluss, wurde immer schmaler, ging erst in einen Karrenweg über, dann in einen Feldweg und endete schließlich in einem Trampelpfad, der so überwuchert war, dass der Kutscher gelegentlich davon abkam.
Zur Mittagszeit erreichten sie Blagrhiken, das in einem Hochtal unweit einer Weggabelung lag. Die meisten Hütten waren nichts anderes als Bretterbuden, manchmal erblickten sie auch kleine Zelte dazwischen, nur über Stöcke gespannte Planen. Im Gegensatz dazu überragte eine große Burg aus festem Gestein alle anderen Gebäude. Zwei aus Kragsteinen gesäumte Türme ragten, wie zum Gruß erhobene Arme, neben der heruntergelassenen Zugbrücke auf. Sonnenschein fing sich in den an den Fahnenstangen aufgezogenen Bannern und glitzerte auf der silbernen Oberfläche des Burggrabens. Als sie näherkamen, meinte Francesco, es müsste ihnen eine Schar von Rittern zur Begrüßung entgegenkommen.
Doch es kamen keine Ritter. Es gab keine Begrüßung. Je näher sie dem Dorf und der Burg kamen, umso mehr wich seine Freude und Erleichterung einem Gefühl des Unbehagens der unheilvollen Ahnung. Unter den Kiefern sangen keine Vögel. Kein Tier regte sich in den Feldern und Wäldern.
Ein ärmliches Dorf mit rauen Gestalten, die misstrauisch alles und jeden beäugten. An diesem Ort, der grau und wenig einladend schien, lächelte niemand und erklang keine Musik. Eine Gruppe von Männern saß an einem schwelenden Feuer und tranken mürrisch vor sich hin. Drei Waschfrauen grummelten leise, als sie die Kutsche ankommen sahen und tuschelten aufgeregt. Zwei Kinder sahen neugierig rüber und klaubten einige Steine vom Boden auf.
Francesco erinnerte sich gerade rechtzeitig an seine Pflichten und kletterte umständlich nach hinten, um nach ihr zu sehen. „Wir sind bald da. Jetzt wird sich angezogen!“
„Das Kleid ist… gerissen. Ich kann nichts dafür.“ Die Stimme klang fast weinerlich hinter zugezogenen Gardinen.
„Das muss doch anders gehen. Warte mal“, ächzte jemand im Innern. „Das muss dorthin, und hier stecken wir etwas fest…“
„Das tut weh! Sieh nur, es fällt von alleine ab! Es sollte halten, aber das tut es nicht.“
„Das ist doch Mist!“
„Ich kann nichts dafür!“
Der Kutscher hielt den Wagen an und klopfte aufs Dach. „Ähm, wir sind da“, erklärte er überflüssigerweise. Als Mann von Welt ignorierte er die fragenden Blicke der Bürger und starrte unverwandt auf die schiefe Mauer der Burg.
Eine Weile passierte garnichts. Einige Neugierige versuchten einen Blick ins Innere zu erhaschen.
Dann ging endlich die Tür auf.
Die Menge holte erwartungsvoll Luft.
Claudile spazierte im Soldatenrock, Männerhose und einem blauen Hemd und die Haare lässig über die Schulter gelegt auf die Straße und sah sich um. Zum Glück vermied es Francesco auszusteigen. Es wäre nicht gut ausgegangen.
„Hallo, liebe Bürger“, sagte sie und reichte dem ersten Mann die Hand. „Ich bin Claudile.“
Der Kutscher drehte den Kopf herum. „Ja, so geht es natürlich auch.“
Die Menge war im ersten Moment so verblüfft, dass niemand reagieren konnte. Alte wie Junge, Männer wie Frauen hatten sich eingefunden und blickten abwechselnd zur Kutsche und zur…Frau in Männerkleidern. Es waren verhärmte Gesichter, gealtert vom Last der Entbehrungen und der Arbeit, die ihr Leben bestimmte. Sie verstanden die Botschaft