Fürstin des Nordens. Juryk Barelhaven
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Читать онлайн книгу Fürstin des Nordens - Juryk Barelhaven страница 6
„Angenehm.“
Er wies auf die Burgtore, die sich langsam der anrollenden Kutsche näherten. „Ihr seid ein Werwolf, oder?“ In seinem Blick lag eher Neugier als Furcht. Das empfand sie als beruhigend. „Ganz recht.“
„Die Leute haben Angst. Vor euch. Wir haben… Erfahrungen gemacht. Mehr sage ich nicht dazu.“
Sie nickte zur Bestätigung.
„Wir sind dazu angehalten, euch durch die Stadt zu führen und euch alles zu zeigen. Aber bestimmt wollt Ihr euch vorher frisch machen.“
„Danke, Axel. Ich komme darauf zurück.“ Etwas verlegen strich sie sich über die Kleidung.
Er salutierte knapp und wandte sich ab.
Sie schnupperte nochmal, schloss die Augen und spielte mit den Dufttönen. Unter dem Seifengeruch verbarg sich etwas anderes. Als es ihr einfiel, errötete sie leicht und ging fort.
Die Burg war in keinem guten Zustand. Claudile wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah moosbefallene Steine, roch fauliges Stroh und witterte Wasserschaden am Dach. Zum ersten Mal bedachte sie den Ort um sich mit Argwohn, als wäre ihr jetzt erst aufgefallen, dass Blagrhiken wirklich hoch im Norden lag.
Mit einem Tuch bekleidet stieg Francesco aus. „Das ist also Euer neues Zuhause“, stellte er ungerührt fest. „Was denkt Ihr?“
„Der Ort stinkt vor Furcht. Alte Klamotten, alte Gewohnheiten und viel Hunger.“ Sie nickte ernst und starrte auf den Boden. Die frische Luft im Hof konnte nicht verbergen, dass der Ort krankte. Es lag Misstrauen in der Luft- sprichwörtlich.
Er nickte knapp. Die Nase eines Werwolfes lag selten falsch. „Es gibt viel zu erledigen.“
„Meinst du… oh, ich verstehe.“
„Ja, genau. Ich werde mich mit dem Haushalter auseinandersetzen.“
Beide starrten zur großen Tür, die knarrend aufging.
„Der Hohe Herr ist nicht zugegen.“ Auf dem Hof eilte eine kleine Gestalt auf sie zu, die mit einer dicken Brille und einem Stock sich den Weg ebnete. Ein alter, sehr alter Mann mit Halbglatze und schlotterweißem Haar, dessen dünne Gelenke vor Arthritis quietschten. „Oh, Ihr seid es! Welche Freude, euch hier anzutreffen.“ Er blickte verwirrt zu Francesco, aber vermied es direkte Fragen zu stellen. „Ihr müsst Lady Claudile sein, die ehrwürdige Tochter des großen Khans, unserem Herrn und Meister.“ Er holte Luft. „Fürstin Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont. Ich heiße Fritz. Euer Haushalter.“
„Danke, Fritz“, sagte Claudile. „Du kennst dich gut aus.“ Claudile nahm den trockenen Grabesgeruch von Büchern wahr.
„Warum gehen wir nicht rein“, fragte Fritz leise und bedeutete ihm zu folgen. „Der Herr ist seit Tagen verschwunden. Ich befürchte das Schlimmste, Herrin. Jedoch wollen wir bei einem Plausch mit Gewürzkuchen, Fleischpastete und Wein von etwas anderem reden.“ Kurz darauf erreichten sie einen Saal, dessen Dunkelheit und Stille einen starken Kontrast zum Licht und Lärm auf dem Hof bildeten. Als sich ihre Augen an das Halbdunkle gewöhnt hatten, bemerkte sie Flaggen und alte Ölgemälde an den hohen Wänden. Es gab einige Fenster, aber die Spinnenweben und toten Fliegen davor ließen nur matte Gräue in den großen Raum hinein. „Die Burg wurde vor sechzig Jahren von Baron Ferou Hronghard der Dritte, gebaut, der nach seinem Tode den Bürgern sein Vermögen überließ. Der Ort Blaqrhiken ist der nördlichste und entfernteste Ort in Norfesta. Er ist bekannt für sein Sägewerk und seine Pasteten.“ Er humpelte langsam zu einem Tisch und hob ein Tuch von einem Tablett. „Wir haben leider keine Köche, so dass ich vor zwei Tagen diese herrlichen Pasteten vom Bäcker holte. Sind leider kalt.“
„Jeder köstliche Bissen ist wie eine warme Umarmung, aber das Besondere an dem Ort sind die Menschen, für die Nachbarschaft noch echte Werte besitzen.“ Claudile zwinkerte Francesco zu, der ihr begütigend zunickte.
Fritz nickte beeindruckt. „Gut gesagt, Herrin. Ihr versteht es mit Worten umzugehen.“ Er blinzelte glücklich und zeigte auf mehrere Schriftrollen auf dem Tisch. „Wenn Ihr es wünscht, kann ich euch die Geschichte der Heraldik der Burg Blaqrhiken erzählen. Sie ist lang und kurzweilig.“
„Ein anderes Mal“, bemerkte Francesco kühl. „Sagt, wo sind die Angestellten? Warum brennt kein Feuer im Kamin? Das Schloss ist in einem schlechten Zustand, Mann. Warum sieht es hier aus, als würde hier niemand leben?“
Fritz kam näher und besah sich den Sprecher aus nächster Nähe an. „Wer seid Ihr, dass ihr nackt und bloß mit mir sprecht? Hat Eure Herrin ein Herz für bemitleidenswerte Geschöpfe?“
„Er ist Francesco de Palma, mein Lehrer und Vertrauter“, half Claudile aus. „Ich wollte diese Frage auch stellen. Was ist hier passiert?“
„Wohl kein Geld mehr“, grunzte böse Francesco. „Der Narr hat alles ausgegeben.“
Fritz Gesicht verzog sich, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Nein, mein Herr. Wir haben Geld, aber… der Hohe Herr … war eigen. Die Kammern sind voll, aber es wurde nicht gehandelt. Keine Löhne gezahlt. Ich wünschte, er wäre hier. Nach dem schrecklichen Mordfall und dieser einen Sache“, stieß er mühsam hervor. Plötzlich hielt er inne. „Das ist alles so schrecklich. Das arme Mädchen.“
„Ich versteh kein Wort.“
Die Gestalt und die Dunkelheit wichen zurück. „Bitte, grollt mir nicht, Herrin. Ich bin nur der Haushalter. Als alle gingen, bliebe ich hier. Was sollte ich sonst tun? Ich bin Haushalter seit vielen Jahren und habe viele Kommen und Gehen sehen. Doch niemand war wie Baron Lyren.“ Er wackelte zu einem Gemälde und deutete mit dem Stock auf eine bedrohlich wirkende Person, die mit straffen Muskeln und freiem Oberkörper mit einem Bären kämpfte. Schwarzes Haar bedeckte sein rundes Gesicht, das hart und teilnahmslos zusah wie der Bär unter ihm sein Leben aushauchte. Diese Art der Selbstdarstellung war unter Werwölfen üblich. Sie sollte ihre Dominanz bezeugen. „Das ist Mattes Lyren, Baron von Blaqrhiken, der 745 ein ganzes Heer aus dem Süden mit seinen Pranken vertrieb. Der Schwarze Wind, wurde er genannt! Beachtet das Blut an seinen Stiefeln. Er watete vierzehn Wochen durch das Blut seiner Feinde und schützte die Grenzen. Er ist ein Held. Gewiss kennt Eure Ladyschaft die Geschichte. Kämpfte er doch mit Miquel Alemont Seite an Seite gegen die Neue Republik. Dieser verflixte Süden! Ich spucke auf sie. Sie sollen verfaulen.“ Langsam hielt er inne, als wäre ihm ein neuer Gedanke gekommen. „Woher kommt Ihr, sagtet ihr?“
„Süden“, zischte Francesco.
Inzwischen hatten sich Claudiles Augen an das flackernde Licht gewöhnt. Bücher füllten den Raum. Sie standen nicht in Regalen aufgereiht, sondern bildeten hohe Stapel. Neben dem Kamin stand ein alter Sessel. Sie kam langsam näher und nahm den Geruch wahr: ein herber Geruch von Erde und Moschus, Kiefernharz und einer Spur Traurigkeit. Sie schnupperte erneut. Nun, das war bedenklich.
„Hatte er Kummer“, fragte sie leise. Sie nahm ein zerfleddertes Buch hoch. Jemand hatte es in der Mitte durchgerissen. Das wäre nicht nötig gewesen, dachte Claudile. Und dann dachte sie, dass es auch nicht nötig gewesen wäre, die Burg verkommen zu lassen. Die Menschen schlecht zu behandeln. Menschen heilten zwar, im Gegensatz zu Büchern, aber sie vergaßen nicht.
„Das… ähm, es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, Herrin“, antwortete Fritz pflichtbewusst und wackelte zu einem weiteren Tablett, von dem er ein Tuch