Tahiti. Gerstäcker Friedrich
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„Ich spreche nach mehreren Beispielen, die ich selber kenne, junger Mann, und die innige Liebe auch, die ich für Prudentia fühle, macht mich besorgt, ihr ein solches Schicksal ersparen zu wollen. Prudentia ist, wie ich Ihnen schon gesagt habe, und wie Sie auch selber nach einem Zusammensein mit ihr von mehreren Wochen gewiß finden mußten, keins der gewöhnlichen sinnlichen Mädchen dieser Inseln, die sich /85/ dem Ersten Besten, ohne Arges dabei zu denken, hingeben, und gar nichts Anderes erwarten, als daß er sie, sobald er ihrer müde ist, wieder verläßt. Ich fürchte im Gegentheil, Sie haben Prudentia's Herz schon zu sehr gewonnen; jetzt wäre aber doch noch vielleicht eine Trennung möglich. - Sie würden Beide an diese Zeit wie an einen schönen Traum zurückdenken, von dem es das Herz nur eine kurze Zeit schmerzt - daß es eben nichts weiter als ein Traum war; aber Sie können Beide auch dadurch vielleicht einen verfehlten Lebensziele entweichen, das dann später nicht mehr zu ändern wäre und leider für Beide auch verderblich werden müßte.
„Ich bin fest überzeugt, daß Sie in diesem Augenblick Prudentia mit aller Leidenschaft einer innigen, vielleicht gar ersten Neigung lieben - aber wird der alte Hang eines unsteten Lebens, das in dem Herzen nur erst eingewurzelt, gar zu so leicht verderblich werden kann, diesem Herzen in dem Stillleben unserer Inseln Ruhe und Frieden lassen? - Unsere Palmen sind grün und herrlich - aber so wie sie dort stehen, stehen sie das ganze Jahr - kein gilbendes, fallendes Blatt, keine Schneedecke, keine auskeimenden wachsenden Knospen geben ihnen im nächsten Frühjahr immer wieder denselben Reiz. - Unsere Bäume sind mit Früchten bedeckt - aber die Blüthenzeit fehlt uns - wir brauchen die Frucht nie zu erwarten - zu erhoffen - sie hängt voll und reif am Baume, während heimlich, von uns kaum bemerkt, andere indessen nachblühen und nachwachsen, die fehlenden immer wieder zu ersetzen und die Plätze der niederfallenden auszufüllen. Wir kennen auch hier nicht die Sorgen und Mühen des Lebens - das Salz jedes gesellschaftlichen Verkehrs, durch das eine erworbene Existenz erst ihren ganzen uns beglückenden Reiz gewinnt - wir stehen Morgens auf und essen und trinken und legen uns Abends wieder schlafen. Nachrichten von der äußern Welt dringen nur selten zu uns, und wie sie kommen, wäre es fast bester, sie blieben ganz aus, denn anstatt zu befriedigen lassen sie, selbst in dem Herzen der Aeltesten von uns, eine Leere zurück, die wir vergebens auszufüllen suchen. /86/
„Wollen Sie nun mit Ihrem jungen thatkräftigen Herzen in dieses felsenumgürtete Thal, aus dem es keine Rückkehr für Sie giebt, hinabspringen? - schauen Sie um sich her, junger Freund - noch stehen Sie oben - noch liegt die ganze übrige Welt ausgebreitet vor Ihren Blicken - haben Sie nichts, nichts mehr darin, was auch nur den geringsten Anhaltepunkt an Ihr Herz hätte? - bedenken Sie, bei einem sinkenden Schiff kann das kleinste, unbedeutendste vergessene Tau das Boot, auf dem sich der Schiffbrüchige sonst vielleicht sicher den Wellen anvertrauen könnte, rettungslos mit in den Abgrund ziehen."
Der alte Mann schwieg, und eine Thräne zitterte in seinem Auge; ernst und forschend schaute er dabei den jungen Mann an, und es war, als ob er seine innersten Gefühle ergründen wollte, ehe sie auf die Lippen kämen - ja wahrer, als sie der Mund vielleicht auszusprechen vermöchte. René begegnete aber, zwar gerührt, doch fest entschlossen, dem Blick und erwiderte endlich mit fester Stimme:
„Sie verstehen es, alter Herr, Einem Herz und Seele mit Ihren Worten zu fassen, aber ich springe getrost hinab in das Thal, denn da oben blüht für mich kein Glück, keine Freude mehr. Die Meinen sind todt oder schlimmer als so - ich stehe eine Waise in der Welt, weder Bruder noch Schwester leben, die Ansprüche auf meine Nähe machen dürften; Alles, was mein Herz sonst hätte binden können, ist für mich verloren, und stießen Sie mich jetzt wieder kalt und erbarmungslos in die Welt zurück, ich müßte rettungslos untergehen - und wäre recht elend. Auch Sadie hängt mit inniger Liebe an mir, und ihr Herz ist nicht geschaffen, einmal zu lieben und so leicht wieder vergessen zu können - wollten Sie auch aus ihrem Herzen die erste Neigung reißen? - Sie haben Sadie zu lieb dazu, wenn ich selber Ihnen auch gleichgültig sein müßte. Aber - ich kann mich auch irren," brach er dann plötzlich ab - „ich täusche mich vielleicht selber in Sadie's Herzen, und ihre Neigung wäre eines Rückschrittes fähig. - Sprechen Sie selbst mit ihr, werther Herr - fragen Sie das Mädchen selber, und halten Sie unsere Vereinigung für gefahrbringend für sie, und /87/ glaubt Sadie, daß sie mir jetzt noch ohne großen Schmerz entsagen könne - dann, beim ewigen Gott, will ich nicht in den Frieden dieses Thales getreten sein, Thränen und Kummer zu säen, dann sollen Sie finden, daß ich auch im Stande bin zu entsagen, und wenn mir des Herz darüber bräche. Kein Wort des Unmuths - keine Klage soll über meine Lippen kommen, das erste beste Canoe mich zu einer andern Insel - aus ihrer Nähe führen."
Er war aufgesprungen, und seine Mütze ergreifend wollte er das Zimmer verlassen, der alte Missionär streckte ihm aber die Hand entgegen und sagte mit herzlichem, bewegtem Tone:
„Das ist recht brav und ehrlich von Ihnen gehandelt, junger Mann und ich gebe ihnen mein Wort, ich habe auch, seit dem ersten Augenblick, wo ich Sie sah, noch nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß Sie Alles so auch fühlten, wie Sie es dem Mädchen versprochen. Ich kenne übrigens Prudentia oder, wenn Sie denn lieber wollen, Sadie viel zu gut um bei ihr langer Rede zu bedürfen. In wenigen Minuten haben Sie meine Antwort, treten Sie indessen hier in das nächste Haus - aber glauben Sie nicht, junger Freund, daß ich Ihnen das Wort reden werde," setzte er ernster hinzu, „Sie müssen es meinem Gewissen überlassen mit Sadie zu handeln, wie ich es vor dem verantworten kann."
„Handeln Sie, als wenn Sie ihr Vater wären," sagte René herzlich - „ich will Sadie's Glück, nicht das meine," und er verließ mit schnellen Schritten das Zimmer.
Auf des alten Mannes Ruf betrat das Mädchen schüchtern und mit niedergeschlagenen Blicken das Gemach. - Sie schaute nicht auf, aber sie fühlte, daß René nicht mehr im Zimmer sei, und ihr Herz klopfte fast hörbar in der Brust. - Ihr Vater hatte ihn abgewiesen, und der schöne Traum ihres Glücks war in Nacht und Thränen zerflossen.
„Prudentia," sagte der alte Mann und zog das zitternde Mädchen sanft zu sich - „ich habe den jungen Fremden fortgeschickt von hier. - Er hat Dich jetzt wohl lieb, aber wenn er eine Zeit lang von seiner Heimath entfernt ist, sehnt er sich wieder nach ihr zurück und läßt mein armes Mädchen /88/ hier allein, und dann wärst Du wohl recht, recht unglücklich geworden und elend. Jetzt ist der Eindruck, den er auf Dein Herz gemacht, noch flüchtig, noch leicht wieder zu verwischen - Du wirst einen oder zwei Tage weinen, ihn nachher vergessen, und nicht wahr, mein Kind, ich habe darin recht und gut gehandelt - ich wollte ja nur Dein Wohl."
„Ich will Alles thun, was Du mir sagst, mein Vater," flüsterte das Mädchen, dicht an seine Brust geschmiegt, so leise, daß er kaum ihre Worte verstehen konnte.
„Das ist mein gutes Kind," sagte der Greis, aber die Stimme zitterte ihm; er fühlte nur zu gut, was in dem Herzen des armen Mädchens vorging, und wie die