Tahiti. Gerstäcker Friedrich
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Manchmal wagte sich wohl, selbst dicht hinter oder über den Feinden, ein leichtsinniges Fischchen hinaus in's Freie, gerade als ob es das Ungeheuer verhöhnen wolle; ehe dieses aber nur im Stande war sich nach ihm umzuwenden, obgleich das oft rasch genug ging, war jenes schon wieder zwischen die zackigen Palissaden hineingeschlüpft, und erzählte nun wahrscheinlich den anderen da drinnen seine Heldenthaten.
So trieben sie hier draußen, in den Wundern dieser für René jedenfalls neuen, fast zauberhaften Welt, bis die Sonne groß und glühend in das Meer tauchte und Stern nach Stern am reinen Himmel auffunkelte, und Sadie erzählte dem ihr gegenübersitzenden Freund von dem stillen Frieden dieses Landes und dem glücklichen Leben, das die Bewohner desselben führen könnten - wären nicht oft böse Menschen da, die sie störten und kränkten, und Leidenschaften in ihnen weckten, die ihnen in früheren Zeiten fremd gewesen.
René hätte die Nacht hindurch diesen lieben weichen Tönen lauschen mögen, aber das junge Mädchen lenkte endlich, trotz seinen Bitten noch nicht heimzukehren, das Canoe zum Lande zurück, und jetzt zwar gerade der Wohnung des kleinen Mitonare zu, der sie schon am Ufer empfing und etwas ungeduldig erwartet zu haben schien. Er that auch an Sadie mehrere Fragen in ihrer Sprache, die das Blut in ihre Wangen trieben; aber sie antwortete ihm endlich lächelnd
/68/ darauf und verschwand wieder wie gestern mit einem freundlichen Kopfnicken gegen René.
Dem kleinen Mitonare schienen aber heut Abend eine Menge von Dingen im Kopf herum zu gehen. - Beim Abendbrod, das sie sehr frugal aus etwas Brodfrucht und Cocosmilch und einigen Bananen hielten, war er einsilbig und sah René immer, wenn er sich unbeobachtet glaubte, von der Seite an; nach dem Essen aber, und als gerade der Mond draußen über die das Haus umgebenden Palmen aufstieg, fasste er den jungen Mann bei dem Arm, führte ihn hinaus an den Strand unter einen stattlichen Tuituinußbaum und nahm ihn hier, durch ein wenig Aufregung im noch mehr gemißhandelten Englisch als gewöhnlich, in's Gebet. René mußte tüchtig aufpassen, daß er den Zusammenhang verstand, denn sich an einzelne Worte zu halten, hatte er lange aufgegeben, der Name Pu-de-ni-a aber, der mehrfach vorkam, ließ ihn wohl ahnen, was der kleine Mann eigentlich meinte, und er wollte ihm jetzt über das ganze Verhältniß zu dem Mädchen klaren und offenen Aufschluß geben; er hatte ja nichts, weshalb er sich zu schämen brauchte, hätte ihn eben der kleine Mitonare nur zu Worte kommen lassen. Sowie er aber nur den Mund aufthat, rief dieser ihm sein verhinderndes aita aita dazwischen, und redete dann nur noch lauter und heftiger, und er mußte ihn jetzt wohl schon gewähren lassen, bis er es von selber müde werden würde.
„Weißer Mann," sagte indessen der kleine Mitonare, aber wenigstens die Hälfte seiner Rede im Tahitischen oder doch solchen Worten, die recht gut tahitisch sein konnten - „weißer Mann kommt her und findet Brodfrucht und Fleisch und Bananen und Cocosnüsse, Yams und Kartoffeln, und Mitonare ist freundlich mit ihm; zeigt ihm Diplom und andere Sachen, und thut gar nicht als ob Fremder Ferani wäre und an keinen Gott glaubte - und weißer Mann hat Schutz hier vor den anderen weißen Männern. Tane taue Aitu sind freundlicher gegen ihn als Leute von seiner eigenen Farbe, und was thut Ferani? - geht hin und macht kleines Mädchen von Mitonare unglücklich - schwatzt ihr allerlei tolles Zeug /69/ vor - aber Pu-de-ni-a ist nicht wie viele andere Mädchen auf der Insel und auf Tahiti. - Ferani kann Mädchen genug bekommen - puh - so viel, aber nicht Pu-de-ni-a, Ferani geht nachher weg und Pu-de-ni-a sitzt - gutes Kind und weint und ist nicht mehr glücklich, und alte Mann Mitonare O-no-so-no weint, weil er Pu-de-ni-a weinen sieht, Ferani sollte sich schämen, und wenn Ferani auch kein Christ wäre, könnte er doch darum immer thun, was recht wäre. - Sie wären auch früher keine Christen, nein, schreckliche Heiden gewesen, die sich tätowirt und nach einer Trommel und nach dem Rauschen der Brandung getanzt, ja sogar ganzen kleinen, winzig kleinen Gott angebetet hätten, - aber darum konnten sie doch thun, was recht wäre - und thaten es auch, wenn sein Vater auch jetzt dafür in der Hölle säße.
Das ungefähr war der Sinn von des kleinen Mitonare Rede, die wohl über eine Stunde dauerte. Wenn aber auch René im Anfang manchmal gern über die oft wunderlich genug klingenden Worte des Eifernden gelacht hätte, sah er doch aus dem Ganzen, wie lieb der kleine Mann das Mädchen selber haben mußte, wie viel er von ihr halte, und daß Bcsorgniß um sie ihn so ängstlich und eifrig gemacht. Er faßte endlich seine Hand, die ihm der Mitonare im Anfang aber gar nicht lassen wollte, und sagte ihm nun Alles, wie es ihm auf dem Herzen lag.
Er liebte Sadie und wollte sie heirathen, und hier auf der Insel bei ihnen bleiben und Yams und Kartoffeln bauen, und Cocospalmen pflanzen - er wollte nie, nie wieder fort von ihnen gehen und weder ihn noch Prudemia verlassen. Er erzählte ihm aber dann auch, wie er das heute Morgen Sadie selber gesagt, und welches Versprechen sie ihm dafür abgenommen, und daß er sich fest darauf verlassen könne, er würde es halten und Sadie, bis der alte Missionär zurück- komme, als seine Schwester ansehen, der kein Leid geschehen solle so lange er es hindern könne.
Der kleine alte Mann war freundlicher und freundlicher geworden, je nachdem er mehr und mehr begriff, was der Fremde mit seinen Worten meine und was er beabsichtigte.
Als er aber erst verstand, welches Versprechen er dem Mädchen /70/ gegeben hatte, und wie er versicherte, es treu halten zu wollen, da überkam die Freude jedes andere Gefühl, er fiel dem jungen Mann um den Hals und rieb sogar - sehr zu dessen Erstaunen, der gar nicht wußte, was er aus solcher Ceremonie machen sollte - Nasen mit ihm, die größte, innigste Freundschaftsversicherung, die er ihm überhaupt geben konnte.
Der kleine Bursche war jetzt ganz wie ausgelassen. - Er erklärte -René - dessen Namen er ebenfalls behalten hatte und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit richtig aussprach - für den besten Wi-wi, der je einen Götzen angebetet habe, und meinte, wenn er bei ihnen auf der Insel bliebe, dann wolle er und der andere Mitonare und Pu-de-ni-a doch einmal sehen, ob sie nicht aus diesem Wi-wi auch einen Christen machen könnten, wenn das auch vielleicht schwieriger halten würde, als einen verheiratheten Mann aus ihm zu machen. Er wußte in der That gar nicht, was er vor lauter Lust und Vergnügen angeben sollte, und es fehlte nicht viel, so hätte er wirklich ein paar Mal bald zu tanzen angefangen, nur daß er sich noch immer zur rechten Zeit dabei erwischte. - Das hätte sich doch im Leben nicht für einen Mitonare geschickt.
So vergingen René die nächsten drei Wochen in einem Glück, von dem er früher nicht geglaubt hätte, daß es eine Menschenbrust im Stande wäre zu fassen; aber nicht allein Sadie und der Mitonare gewannen ihn in dieser Zeit weit lieber, je näher sie mit ihm bekannt wurden, nein, auch die Eingeborenen der Insel, denn das leichte, fröhliche Temperament des jungen Franzosen sagte auch ihren Neigungen gerade zu. Sie sahen ihn gern, und der alte König, außer dem hochklingenden Titel eine sehr unschuldige Persönlichkeit, die jedoch trotzdem viel Einfluß auf die übrigen ausübte, wurde sein bester Freund. Allerdings hatte ihm René mehrmals Geldgeschenke gemacht, was ihm des Mannes Herz zuerst öffnete; als er aber später mit Sadie hinüberkam und der alte Mann erfuhr, in welchem Verhältniß die Beiden standen, und daß René sogar beabsichtige einer seiner Unterthanen zu werden, da versicherte er ihm denn auch, daß er ihn, falls sein Schiff wirklich wieder zurückkommen solle, nicht mehr /71/ ausliefern werde, und daß der weiße Mann Capitain - wie Raiteo als Dolmetscher übersetzte - schon sehen solle, wie sie ihm eine Nase drehen wollten. Er dachte nämlich keineswegs daran, den einmal erhaltenen und in der That schon theils benutzten, theils vertheilten Fanglohn wieder heraus zu geben.
Am komischsten betrug sich Raiteo; - trotzdem daß er früher sich die größte Mühe gegeben hatte, des Flüchtlings habhaft zu werden, ja sich damals sogar nicht scheute, Verrath zu gebrauchen, um seinen Zweck zu erreichen und den ausgesetzten Lohn zu verdienen, so that dieser doch jetzt, als wenn er gleich von dem ersten Augenblick an des jungen Mannes Hauptfreund und Beschützer gewesen wäre. Er erklärte ihn auch bald für seinen