Im Licht Kafarnaums. Leo Gold

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sie sich mit ihren Tellern, auf denen Kostproben der verschiedenen Salate, des Fisch- und Lammgerichts sowie des Kartoffelgratins lagen, an dem Tisch, der vor der linken Wand des Saals stand. An diesem saß noch niemand.

      Das Paar, das sich Max und Stefan gegenübersetzte, war wie Maria und Mathilde ein Mutter-Tochter-Gespann, das um eine Generation nachhinten verschoben war.

      Die Mutter, Hannelore, wohnte in Dortmund und war jenseits der achtzig. Deren Tochter, Martina, war Mitte fünfzig und lebte in Berlin. Unvermittelt begannen sie das Gespräch. Es sei ihre letzte Reise, sagte Hannelore. Martina habe sie nochmal überredet. Eigentlich wolle sie nicht mehr verreisen. Aber Israel, da sei sie noch nie gewesen. Darum habe sie sich einen Ruck gegeben und sich entschlossen, mit ihrer Tochter Martina auf ihre letzte Reise zu gehen. Hannelore war ein Sonnenschein. Ehe Martina von sich erzählen konnte, was ihr ein Anliegen war, redete Hannelore über ihren Sohn Markus, dem älteren Bruder von Martina.

      Markus sei durch den Tod seines Vaters schmerzhaft bewusst geworden, dass die Zeit endlich sei. Denselben Fehler seines Vaters, zu oft die Pflicht dem Vergnügen vorzuziehen, habe er nicht begehen wollen. Deshalb habe er angefangen, die Welt zu bereisen. Das mache er inzwischen zehn Jahre lang. Er habe ein funktionierendes System entwickelt, wie er sich seine Reisen finanziere. Er arbeite als Briefträger für die Post, kaufe und verkaufe alte Musikinstru-mente und halte Vorträge über seine Reisen, hauptsächlich in Stadtbibliotheken. Auf diese Weise könne er mehr als sechs Monate pro Jahr die Welt sehen. Sein Lieblingsgebiet sei Südamerika, vor allem Kolumbien habe es ihm angetan, einer alten Liebe wegen, die zwar inzwischen einen Kolumbianer geheiratet habe, sich aber trotzdem immer die Zeit nehme, sei Markus vor Ort, sich auf einen Kaffee mit ihm zu treffen und über gemeinsame Erfahrungen zu plaudern.

      Je länger Hannelore von ihrem Sohn Markus erzählte, wurde Martina unruhiger. Es gab vermutlich ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Geschwistern, dachte Stefan. Um den Redefluss von Hannelore zu stoppen, fragte sie Max und Stefan, woher sie kämen, was sie beruflich machten und was sie veranlasste, die Reise nach Israel zu unternehmen. Während Max und Stefan antworteten, vergrößerte sich Martinas Lust, endlich auch von sich zu erzählen. Als Stefan berichtete, er habe, bevor er in einer Stiftung zu arbeiten begonnen habe, an einer Schule Deutschunterricht gegeben, war das Stichwort für sie gefallen, sagen zu können, wer sie sei, wo sie wohne, was sie gerade beschäftige etc. Das, was sie erzählte, bestätigte Stefans Eindruck, dass etwas bei ihr im Argen lag. Und da er in seiner missglückten Ehe gelernt hatte, dass die Probleme seines Gegenübers nicht seine Probleme waren, stieg er innerlich bereits aus der Unterhaltung aus und dachte an ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: „Viele Probleme lösen sich von selbst, wenn man nichts tut.“

      Mathilde ging es immer noch schlecht, so dass sie auf ihrem Zimmer geblieben war. Maria, die sich gern unterhielt, schien es zu genießen, während dieses Abendessens nicht Mutter, sondern einfach Frau sein zu können. Max fiel auf, dass sie – ohne Mathilde – weniger pädagogisch, weniger angespannt war. Jetzt förderte Maria das Gespräch ihrer Tischnachbarn. Sie konnte die Unterhaltung einer Gruppe gut moderieren. Spielerisch nahm sie unterschied-liche Positionen ein. Mal dominant, mal zurückhaltend, mal kaum hörbar, mal anschwellend sich einmischend, mal den einen verteidigend oder die andere motivierend. Es war schön, zuschauen zu dürfen, wie Maria aufblühte, als Mathilde krank im Ferienbungalow mit ihrer besten Freundin in Paderborn telefonierte.

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