Der Kaiser von Elba. Ole R. Börgdahl
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Ich konnte das Schwertbajonett nicht einsetzen, ohne nicht auch den Jungen in Gefahr zu bringen. Ich hielt es daher zur Seite weg, sprang mit der Schulter voran auf die ungeschützte Flanke des Angreifers zu und traf ihn schwer auf seine Rippen. Er brüllte vor Schmerz, denn ich hatte ihm bestimmt zwei oder drei Knochen gebrochen. Kraftlos wollte der Mann jetzt mit der Pistole nach mir schlagen. Ich aber schob mich weiter zwischen ihn und dem Jungen und konnte endlich mit dem Schwertbajonett zustoßen. Ich rammte dem Angreifer den schweren Griff mitten ins Gesicht. Der Schlag traf Nase und Augenpartie, ein weiterer Knochen brach, Blut spritze und der Mann war endgültig außer Gefecht gesetzt, ja sogar auf der Stelle tot, da ich ihm den Schädel zertrümmert hatte.
Ich sah mich sofort nach dem Jungen um, der wie erstarrt mit dem Rücken zu mir hockte. Ich folgte seinem Blick. Erst jetzt kam mir noch einmal alles ins Bewusstsein, alles, was sich ereignet hatte, seitdem ich vor weniger als einer Minute ins Zimmer gestürmt war. Während die Frau und der Junge mit der Sichel bedroht wurden, hatte mich ein zweiter Mann von hinten gepackt und ein Dritter es geschafft, mir die Pistole aus dem Gürtel zu winden. Meine Gegenwehr löste den Schuss aus dieser Pistole und streckte den Mann nieder, der mich umklammert hielt. Und jetzt war es der dritte Angreifer, der ein scharfes Messer an die Kehle der Frau gesetzt hatte. In der rechten Hand umklammerte er sogar noch die verschossene Pistole, die er mir zuvor entwendet hatte und die er, obwohl sie nutzlos war, drohend auf mich richtete.
Ich erstarrte, als ich sah, wie sich die scharfe Klinge in der Hand des Angreifers gegen den ungeschützten Hals der Frau drückte und an der Schneide ein erster Blutstropfen hervortrat. Ich war entsetzt, aber mein Gegenüber musste darin meine Entschlossenheit vermutet haben. Sein Blick wanderte kurz über den Boden, zu seinen niedergestreckten Kameraden. Seine Messerhand zuckte, aber anstatt den tödlichen Schnitt auszuführen, nahm er die Klinge etwas zurück. Ein weiterer, diesmal hektischer Blick nach links zum Fenster und schon hatte er zum Sprung angesetzt, wollte fliehen, drehte sich mit der Schulter zur Scheibe und wollte hindurchstürzen.
Bei mir löste dieses Handeln jedoch einen Instinkt aus oder war es ein Reflex oder von beidem etwas oder etwas ganz Anderes? Ich ließ das Schwertbajonett aus meiner rechten Hand fallen und noch bevor es den Boden erreichte, zog ich mit der Linken meine zweite Pistole aus dem Gürtel. Zum Glück hatte ich die Waffe nicht schon eingesetzt und so war noch dieser eine Schuss frei. In Fortsetzung einer fließenden Bewegung ging ich in die Hocke, spannte mit der rechten Hand den Hahn, zielte in Richtung Fenster und drückte den Abzug durch. Als mein rechtes Knie den Fußboden berührte, verhüllte mir bereits der Pulverrauch die Sicht auf die Szene.
*
Eine halbe Stunde später wurde ein verängstigtes Dienstmädchen, das sich in einer Mansarde unter dem Dach versteckt hatte, nach zwei Gärtnern geschickt. Die Männer stellten keine Fragen, als sie mir dabei halfen, die fünf Leichen, die der nächtliche Überfall hervorgebracht hatte, in die Scheune umzulagern. Wir trennten dabei den unglücklichen Diener von den Körpern des Räuberpacks.
Als dies erledigt war, fing ich auch mein Pferd wieder ein und fand nahe am Haus einen offenen Unterstand, der für die Nacht reichen musste, denn in der Scheune konnte ich das Tier schlecht unterbringen, das schon unruhig wurde, als es den Tod nur witterte, was für ein Militärpferd keine empfehlende Eigenschaft war. In der Zwischenzeit hatte sich die Hausherrin mit dem Jungen, ihrem Sohn, ins obere Stockwerk zurückgezogen, wofür ich durchaus Verständnis zeigte. Ihren Namen und den genauen Ort, an dem ich mich befand, erfuhr ich zunächst nur über das Dienstmädchen. Und so hielt ich einen Moment inne und überdachte die Ereignisse dieses Tages.
Ich hatte mich am 3. April des Jahres 1814 preußischen Truppen angeschlossen und war von Paris kommend in die Stadt Versailles eingeritten. Die Schlacht um die französische Hauptstadt war bereits am 31. März von der Koalition entschieden worden, dies jedoch ohne den l'Empereur Napoléon Bonaparte im Felde besiegt zu haben. Und so gab es Gerüchte, Napoléon würde zu einem Befreiungsschlag aufmarschieren, um noch die Wende zu erreichen. Dies war dem Kaiser der Franzosen durchaus zuzutrauen und so gingen die Preußen in die Offensive. In Versailles jedoch, trafen sie auf eine verlassene Garnison und hatten selbst das Problem, die eigenen, zahlreichen Truppen in dem eher kleinen Ort unterzubringen. Und so streifte ich an diesem Abend durch den Park von Versailles, selbst auf der Suche nach einem nächtlichen Logis.
Im Verlaufe dieser Suche kam es dazu, dass ich zum Retter von Madame Durant und ihres Sohnes wurde, dessen am Rande des Versailler Parks gelegenes Herrenhaus das Ziel einer mörderischen Räuberbande geworden war. Die Schurken hatten sich in der Residenz des Parkverwalters reiche Beute versprochen, was sich für sie aber nicht ergab. Und so kam ich noch gerade rechtzeitig, um eine Entführung oder gar eine Ermordung zu verhindern.
Das Dienstmädchen holte mich schließlich wieder aus meinen Gedanken zurück. Auf Wunsch von Madame Durant, wie sie ausdrücklich betonte, war bereits etwas für mich vorbereitet. Ich bekam in der Küche eine warme Mahlzeit und mir wurden meine Wunden versorgt, die ich bei dem Kampf davongetragen hatte. Hierbei handelte es sich um eine harmlose Schnittwunde am Arm und um ein paar Pulververbrennungen im Gesicht, die allerdings sehr schmerzhaft waren. Das Dienstmädchen hatte mit derartigen Verletzungen offenbar ihre Erfahrungen und bestrich die Verbrennungen mit einer dicken Salbe und legte auch noch Verbände darüber an. Auf diese Weise gestärkt und versorgt wartete im Erdgeschoss die Hausbibliothek auf mich, wo mir eine Bettstatt auf einem breiten Sofa hergerichtet war.
Am nächsten Morgen stand ich schon früh auf, um mich der Angelegenheit weiter anzunehmen. Noch vor dem Frühstück und noch bevor ich der Hausherrin meine Aufwartung machen konnte, suchte ich einen der preußischen Kommandeure auf, die jetzt in Versailles etwas zu sagen hatten. Ich erfuhr, dass in den Tagen der Auflösung das Chaos in Versailles ausgebrochen war. Es gab unter den Franzosen keine Zuständigkeiten mehr, die Polizei war mehrheitlich ins Feld gezogen, um die Hauptstadt zu verteidigen, was bekanntermaßen nicht gelungen war. Die Besatzer hatten jetzt das Heft in die Hand zu nehmen, solange, bis wieder Ordnung herrschte.
Ich kehrte also mit einem preußischen Trupp zum Herrenhaus zurück und uns wurden die Leichen der Räuber abgenommen und der Vorfall in den Akten verzeichnet, die tatsächlich auch in dieser Übergangszeit existierten. Die Leiche des unglücklichen Dieners, dessen Ermordung ich unmittelbar mit angesehen hatte, war längst von seinen Angehörigen abtransportiert worden. Im Herrenhaus selbst war geputzt worden, um die Spuren des Überfalls zu tilgen. Und in dem Raum, in dem der Hauptkampf stattgefunden hatte, waren alle Fenster aufgerissen, das eine notdürftig geflickt, wobei es immer noch stark nach Lauge roch.
Als ich mich dort schließlich niedersetzte, kam das Dienstmädchen mit einem Tablett herein, knickste und gab mir die Ankündigung, dass die Herrin nun ebenfalls gleich erscheinen wolle. Dann deckte sie ein kleines Tischchen ein, stellte zwei Tassen, Teller, Gabeln, Teelöffel darauf und schließlich eine Platte mit Gebäck sowie eine kleine Kanne, die einen herrlichen Duft nach frischem Kaffee verströmte. Das Mädchen zog sich zurück und ich war versucht, etwas Gebäck zu nehmen. Ich beherrschte mich, lehnte mich in meinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander.
So musste ich noch gut zehn Minuten warten, als es schließlich an der Tür klopfte, die sich gleich darauf öffnete. Ich richtete mich erst in meinem Stuhl auf, erhob mich dann aber sofort, als die Hausherrin eintrat. Sie schob den Jungen vor sich her, der eine tiefe Verbeugung machte. Ich erwiderte die Verbeugung und zog sofort einen Sessel an das gedeckte Tischchen.
»Nein, bitte nicht diesen!« Madame Durant seufzte. »Entschuldigen