Der Kaiser von Elba. Ole R. Börgdahl
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Sie schrieb irgendwelche Zahlen in eine Liste und ich beobachtete sie dabei einige Minuten. Sie war so auf ihre Schreibarbeit konzentriert, dass sie mich nicht gleich bemerkte. Daher hatte ich Gelegenheit ihr schönes Gesicht zu betrachten, das umrahmt von ihrem rotbraunen Haar Anmut und etwas Edles ausstrahlte, was mir zu beschreiben schwerfiel. Dann blickte sie auf und ich bildete mir ein, dass ihre blauen Augen zu strahlen begannen. Ihr Lächeln aber, nahm mir plötzlich jeden Mut. Ich wurde sogar verlegen und begann sie unbeabsichtigt anzustarren. Und ich hoffe nicht, dass es so aussah, als sei ich entrückt, obwohl ich mich genauso fühlte.
»Sie kommen spät«, sagte sie zu mir.
Ich zögerte kurz, fand dann aber wieder zu mir selbst. »Oh, haben sie auf mich gewartet?«
»Nein, nein, aber Philippe hat sie wohl überholt. Er war vor zehn Minuten hier und suchte sie. Er war sicher, sie seien vom Haus Richtung Orangerie gegangen, als er sie das letzte Mal gesehen hat.«
»Ach so, ja, das ist auch ganz richtig, dann bin ich aber doch zum Schloss hoch. Ich hatte Pflichten, Sie verstehen?«
»Selbstverständlich hat ein schwedischer Offizier Pflichten«, sagte Madame Durant und lächelte.
Ich war versucht, ihr von den Neuigkeiten zu berichten, davon, dass der Krieg ein Ende gefunden hatte und dass Napoléon Bonaparte, dass ihr Kaiser, zur Abdankung bereit sei. Ich unterließ es, da es mir nicht angebracht erschien. Sie hatte keinen Grund, sich darüber zu freuen, dass man ihre Nation besiegt und ihren Herrscher erniedrigt hatte.
»Was sind denn Ihre Pflichten, Madame Durant?«, fragte ich stattdessen.
Sie lächelte erneut. »Mir sind die Bücher anvertraut, obwohl ich gar nicht weiß, wie es hier jetzt weitergehen soll. Meine Vorgesetzten, wenn ich sie so nennen darf, haben diesen Ort nämlich auch verlassen. Das Schloss und die Gärten sind ohne Führung und ich denke, obwohl ihre Armee in Versailles jetzt für Recht und Ordnung sorgt, hat sie doch im Moment wohl wenig Interesse an unseren Blumen und Gehölzen. Leider ist nicht Winter, sondern ganz im Gegenteil eine sehr entscheidende Gartenzeit, so dass ich hier nichts ruhenlassen kann.«
»Das ist doch eine herrliche Pflicht, Blumen und Garten«, sagte ich euphorisch. »Sie müssen mir glauben, dass mich das sehr interessiert. Als ich vor wenigen Tagen erfuhr, dass es nach Versailles geht, habe ich mich schon darauf gefreut, den Park zu sehen. Und Ihre Führung gestern hat mir bewiesen, wie recht ich hatte.«
Dies war eine Lüge, die ich aber überhaupt nicht bereute, denn Madame Durant schenkte mir ein weiteres Lächeln, herzlicher als das vorherige.
»Sie müssen mir zeigen, was sie hier noch alles machen«, legte ich nach. »Meine Mutter hat uns Kinder schon früh zur Gartenarbeit erzogen, wofür ich ihr ewig dankbar bin.«
Meine zweite Lüge war noch ungeheuerlicher. Es war genau das Gegenteil. Mein älterer Bruder Elias und ich wurden zum Unkraut jäten gepresst. Meine Mutter bewirtschaftete einen recht großen Küchengarten. Wir hassten es, dort zu arbeiten, machten alles nur nachlässig, bis unsere Mutter es endlich mit uns aufgab.
Meine Lügen konnten jetzt und hier von Madame Durant nicht entlarvt werden. Ich sah neben einem Beet einen Spaten stecken und zog ihn aus dem Erdreich.
»Hätte ich mehr Zeit, würde ich mich liebend gerne hier austoben und ihnen selbstverständlich zur Hand gehen.«
Sie lachte. »Dafür gibt es im Park genügend Personal, aber wenn sie sich austoben müssen, wird es sicherlich Gelegenheit dazu geben. Meine Arbeit an diesem Ort sieht etwas anders aus.«
»Das müssen Sie mir unbedingt erklären«, sagte ich und trat endlich näher.
Den Spaten hielt ich dabei noch in der Hand, legte ihn aber gleich ins Gras, als Madame Durant einen zweiten Stuhl aufklappte, der an dem Tisch lehnte, an dem sie vor ihren Listen saß. Ich überwand meine Verlegenheit jetzt vollständig und schon saß ich neben ihr, so dicht, wie bei unseren bisherigen Gesprächen es noch nie der Fall war. Den wunderbaren Duft, den ihr Haar verströmte, hatte ich zuvor schon wahrgenommen. In diesem Moment jedoch traf er mich so angenehm und intensiv, dass ich erneut weiche Knie bekam und meine Verlegenheit zurückkehrte.
Sie deutete auf das Blatt Papier, an dem sie schrieb, und wollte mir die Bedeutung der Zahlen erklären. Ich hörte aber nur auf ihre Stimme und blickte seitlich auf ihren Mund und die sich bewegenden Lippen. Ich hatte Angst, mich zu vergessen und sie genau dort zu küssen. Ich musste mir schnell etwas überlegen, um nicht doch noch das Unverzeihliche zu tun.
»Das ist sehr interessant, aber können Sie mir nicht zuvor hier alles zeigen. Ich möchte unbedingt sehen, was es in der Orangerie an Pflanzen und Bäumen gibt.«
Zusätzlich rettete ich mich, in dem ich sofort aufsprang und beinahe den Klappstuhl umgerissen hätte.
Sie sah mich zunächst verwundert an, nickte dann aber. »Gut, ich sitze selbst schon viel zulange hier, machen wir also eine Begehung.«
In der folgenden Stunde hörte ich ihr kaum zu, oder nein, ich lauschte ihrer Stimme, ich mochte den Klang ihrer Stimme. Sie bemühte sich in meiner Gegenwart immer besonders deutlich und etwas langsamer zu sprechen, als sie es tat, wenn mit sie Philippe sprach oder Anweisungen an das Dienstmädchen gab. Ich bildete mir schon ein, dass mein Französisch gut war, und ich versuchte auch schneller zu sprechen, meine Worte besser zu betonen, aber es gelang mir vielleicht nicht so recht. Es kam sogar zwei-, dreimal vor, dass sie mich sehr charmant korrigierte, was mir jedes Mal einen Stich versetzte, weil ich so gerne bei ihr Unterricht genommen hätte.
Ich folgte ihr also durch diesen alten Gärtnertempel, wie sie ihn selbst bezeichnete, und suchte nach Gelegenheiten, ihr Fragen zu stellen. Natürlich wollte ich mehr über sie erfahren. Und das Dringendste, wo war ihr Mann, wo war Philippes Vater, war Bellevie überhaupt verheiratet. In der vergangenen Nacht war ich schwer eingeschlafen, hatte gegrübelt, hatte mir eine Vita für Bellevie erdacht, die meiner Sehnsucht förderlicher war. So stellte ich mir vor, dass sie nicht Philippes Mutter, sondern Tante war, dass sie den Jungen in den Kriegswirren bei sich aufgenommen hatte. Sie war die unverheiratete Tante. Mit diesen Gedanken, mit dieser Wunschvorstellung war ich eingeschlafen und am Morgen war ich davon überzeugt, von Bellevie und mir geträumt zu haben.
Ich blieb feige, während mir die Orangerie ausführlich gezeigt wurde, ich aber nichts davon mitbekam. Eine Sache merkte ich mir dann aber doch, weil Bellevie die Existenz eines Mannes andeutete, ohne direkt von ihm zu sprechen. Es gab jemanden, für den sie arbeitete, wobei sie keine Untergebene war. Vielleicht hatte ich es auch falsch verstanden. Jedenfalls begriff ich, dass der große Park nach und nach umgestaltet werden sollte und dass Bellevie die Auswahl der Anpflanzungen plante. Daher auch ihre Listen. Sie sprach sogar von der Rodung des Jagdwaldes, der dem Park angeschlossen war.
Dann war die Führung beendet und ich hätte mich so gerne wieder neben Bellevie an den Schreibtisch gesetzt. Es hätte sich nicht gehört und ich hatte auch keinen Grund dazu, außer meiner Verliebtheit, die sich noch einmal steigerte. Bellevie erinnerte schließlich daran, dass Philippe mich gesucht hatte. Ich konnte mir schon denken warum und erzählte ihr von Ponto, aber sie kannte die Geschichte bereits. Und so verabschiedete ich mich von ihr und war überglücklich, dass sie in Aussicht stellte, am späten Nachmittag gemeinsam einen Imbiss einzunehmen. Sie wollte bis dahin zurück im Herrenhaus sein.
*
Ich hatte natürlich mit Befehlen von Major Kungsholm gerechnet und so verließ ich nach drei schönen aber auch leidvollen Tagen die Stadt Versailles Richtung