Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz

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Das Deutsch Haus - Helmut H. Schulz

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einen warmen sonnigen Tag ankündigend. Hartmann ließ die Kajüte offen, einmal weil das Schloss an der Schott klemmte, zum anderen, weil er nichts von Wert zurückzulassen hatte. Die Mütze festdrückend, fühlte er sich für einen Landgang fein genug und für einen Besuch in Luzies Schapp gerüstet. Klock neun öffnete die Rosenbusch den Kiosk, wenn es ihr Tag und wenn es sein Tag war. Ihre Stammkunden, vier oder fünf der ortsansässigen Suffköpfe, pflegten allerdings schon früher vor ihrer Tür herumzulungern, auf eine frühere Dröhnung hoffend. Mit ihren Fäusten bearbeiteten sie erfolglos das heruntergelassene Rollo hinter welchem sie Luzie rumoren hörten und schrieen ihre Not heraus; Deern, mook up… Erweichen ließ sich die Wirtin nie; sie war damit beschäftigt, ihre frühen Stammkunden mit Brötchen und Zeitungen zu versorgen. Oft genug hatte Hartmann, selbst ein guter Trinker, der maßhalten konnte, amüsiert die Ohnmacht dieser Säufer beobachtet und festgestellt, dass sich Abhängige in ruhige Mitmenschen verwandeln, sobald sie gekriegt haben, was sie brauchen. Tranken sie über ihr Quantum, dann kippten sie einfach um. Sie vertrugen kaum etwas und waren nicht zu retten. Irgendwie aber gehörten sie zum Hafenbetrieb. Für Hartmann sollte die alte Hure Luzie - Hure nach stolzer Selbstanzeige - und schließlich von der trinkenden und essenden Öffentlichkeit so akzeptiert, Eier auf glasig gebratenen Speck zu Bratkartoffeln und frischen Kaffee bereiten, was sie perfekt beherrschte. Einen Korn gab es gleich, Frühstück später nach einem Klönschnack. Hartmanns Hoffnungen auf ein Frühstück, mit Korn eröffnet und mit Kaffee abgeschlossen, wurde durch einen Mann gestört, den er zwar aufsuchen wollte, aber erst nach dem Essen.

      Meister Heinrich Prinz, Prinz Heinrich, wie er sich gern nennen hörte, ebenfalls ein Frühauf, betrat seine Werftpier, grüßte mit einem Morjenmorjen, tippte an die Mütze, deren Teller die gelblich graue Farbe getragener weißer Sachen angenommen hatte. Nur das Mützenschild, der Kranz aus gelbem Eichenlaub zum Flaggenabzeichen der Bergungsreederei hatte die Jahrzehnte überdauert. Ein fremdes Boot an seinem Bollwerk, das musste den Alten herausrufen. Sie kannten sich übrigens seit vielen Jahren und aus manchen Gelegenheiten, guten und weniger guten, waren aber nie auf den Duzfuß gekommen, was auf diesem, von Badegästen wenig besuchten Teil der Insel ungewöhnlich war. Wer mit dem förmlichen Sie vorlieb nehmen musste, der galt als Fremder, obschon die in vielen Schüben ansässig gewordenen Menschen einen großen Teil der Bevölkerung ausmachte; ostpreußische Flüchtlinge, Um- und Neusiedler, während der LPG-Zeit aus dem Binnenland heraufgekommene Facharbeiter, Landwirte und das Militär, als die See zur Grenze und zum Sperrgebiet geworden war.

      Beide Männer aber hatten nichts gegeneinander, sie hatten nur nichts miteinander. Vertrat der eine als selbständiger Handwerker das Prinzip des freien Marktes, so der andere den Staat. Aber das lag komplizierter; der Seemann genoss hier wie in allen seefahrenden Ländern ein hohes Ansehen, stand in dem Ruf einer gewissen unparteiischen Exklusivität, anders als die Polizei oder der Zoll. In der Tat war durch die in Dranske errichteten Wohnneubauten eine große Militärkolonie entstanden, was bis Wiek ausgestrahlt hatte. Aber die Wende stellte beide Männer wieder gleich; den Gerüchten nach sollte die Werft am Ende sein, Betrieb und Gelände verkauft oder versteigert werden. Von der Offiziersherrlichkeit war auch nicht mehr geblieben als eine Uniform mitsamt Sternen und Ärmelstreifen im Kleiderschrank; ausgemusterte Kapitäne haben nun mal keinen Marktwert.

      War der Alte auch im Ruhestand, so dachte und fühlte er heute kaum anders, als im Mai 1965 herum beim Einzug der 6. Torpedobootflotille, als die jungen Dachse mit ihren taufrischen Weibern und Gören in Wiek wie ein Schwarm Singvögel eingefallen waren und das Platt um ein lebhaft plapperndes Hochsächsisch bereichert hatten. Arbeit für viele, neben der angestammten Landwirtschaft und Fischerei, wie Meister Prinz anerkannte, zumal seine Werfttischlerei dem Militär Dienste leistete, Fensterrahmen und Türen baute. Ungeachtet der allgemein geltenden Etikette, kein Boot in Anwesenheit des Eigners mit Worten zu erwähnen oder gar herabzusetzen, fragte Meister Prinz nach einem prüfenden Blick auf Hartmanns Erwerb mit trockenem Spott: „Watt haben Sie sich denn da an Land gezogen, Kapt’än?“ Mit diesem nicht ganz korrekten Titel angesprochen, wollte Hartmann gerade zu einer Erklärung ansetzen, als ihm der Alte mit einer Erklärung zuvorkam. „Ich kenne das Boot von dem Jungen, hatte es schon mal hier, aber watt woll’n Sie denn mit sie? Hangars für eure Raketen draufmachen?“

      Die Anspielung auf eine frühere Tätigkeit überhörend, auch den falschen Artikel, da Schiffe nun mal weiblicher Art sind, sagte Hartmann, ihm selbst kaum bewusst im Befehlston: „So? Na, dann nehmen sie das Boot noch mal hoch; will alles durchsehen lassen.“

      Nach der Einleitung nicht in der Laune sich auf eine Unterhaltung einzulassen, fragte er, ob der Meister schon gefrühstückt habe; er, Hartmann, nämlich nicht. Damit war das Gespräch nicht zu Ende, der Alte teilte ihm mit, dass daraus nichts werden könne, weil er keine Leute mehr habe, seine Bootsbauer alle entlassen musste, flaue Zeiten, und ob es ihn morgen noch gäbe, wisse er auch nicht. Da komme ihm ein Auftrag doch recht, warf Hartmann ein. Aus Erfahrung im Umgang mit Handwerkern wusste er das Geplänkel einzuschätzen; dieses Theater gehörte zum Handel. Alles sei möglich, räumte der Alte ein, komme Zeit, komme Kamerad, nämlich der Kamerad Sohnemann. Um Weiterungen abzuschneiden, beendete Hartmann den Dialog mit einem förmlichen Auftrag. „Na, ja, seht mal zu, dass es noch in diesem Jahr wird.“

      „Passen Sie Achtung, Hartmann; allein schaff ich das nicht, aber Freitag kommt der Junge rüber von Holstein und wenn Sie mit zufassen, können wir am Sonnabend slippen. Watt hebt Se denn betolt? Mann, der Kauf kann Ihnen noch teuer zu stehen kommen.“ Er wechselte zu vertraulich besorgter Mitteilung. „Mein Junge baut Ihn’ Kümos, lütte Werft drüben, hatt jebaut, die sind auch am Ende. Also kommen Sie am Sonnabend rüber, nicht zu früh; sagen wir Klock elf; der Jong schläft all lang.“

      Nach diesem seine Planung umstoßenden Bescheid war Hartmann entlassen, der Alte verschwand in seinem Büro. Nach einem Blick zur Uhr beschloss Hartmann auf das Frühstück bei der Rosenbusch zu verzichten, den nächsten Bus nach Hause zu nehmen, ein paar Sachen einzupacken, und die beiden Nächte bis zum Sonnabend an Bord seines Bootes zu bleiben. Er stiefelte also die paar Schritte vom Hafen hinauf zur Bushaltestelle.

      DRITTES KAPITEL

      Die Sonne hatte sich durchgesetzt; an einem Himmel aus Königsblau zeigten sich Kumuluswolken, endlich auch die zu langen Ketten aufgereihte Wolken, Gebilde mit quellender Struktur eines Hochs, vom auflebenden Wind wie aus einem Trichter angetrieben, eine Flottenparade majestätischer Segler in Kiellinie. Gewohnt, dem Wetter volle Aufmerksamkeit zu schenken, betrachtete Hartmann diesen prächtigen Aufzug, der ihn an eine seiner Ausbildungsreisen in tropische Gewässer zurzeit des Passat erinnerte. Vielleicht stand es in seinen Sternen dorthin zurückzukehren; er schüttelte das Bild ab.

      Auf dem Marktplatz sammelten sich die Fahrgäste. Einheimischen, die ihn grüßten, ohne dass er sich ihrer erinnerte, nickte er zu. Mit Wiek verbanden ihn Erinnerungen an sein altes Leben; die Kirche, in der seine Kinder getauft worden waren, Kinder eines amtlichen Atheisten immerhin, der Markt, die Schule und der Kindergarten, die Neubauten in anderer Richtung zur Wittower Fähre, dazwischen viel ebenes Land unter einem blauen Glassturz, früher Nutzland, heute viel Brache; all dies war ihm vertraut. Die ausgedehnten Flächen der Insel ließen ihn an das allgegenwärtige Meer denken, auf dem er einen gut Teil seines Lebens verbracht hatte. In der Vorstellung aufgewachsen, dieser Teil der Welt gehöre ihm nicht nur symbolisch, sondern wirklich, hatte ihn der wirtschaftliche Niedergang unvorbereitet getroffen. Er verstand nicht, was in den Zentren des Landes DDR vor sich ging, Aufläufe, Demonstrationen genannt, bis es endlich offiziell geworden war, Reisefreiheit für alle, die weg wollten, der Dreh- und Angelpunkt, die Schlussphase des Staates einleitend. Die Folgen der neuen Passgesetze waren hier im Grenzbereich noch kaum spürbar gewesen; eine zeitlang ging alles seinen Gang, bei gespürter Unsicherheit und der Hoffnung, alles werde gut ausgehen oder wirklich besser werden. Ein Jahr später war das Aus für die Streitkräfte gekommen, der Große Zapfenstreich das endgültige Einholen der Staatsflagge, ein feierlicher Augenblick mit letztem Zeremoniell, mit tiefer Erschütterung, mit Tränen und die schmähliche

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