Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz

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Das Deutsch Haus - Helmut H. Schulz

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klar geworden sein, diese Gelegenheit der Bewährung, der schöpferischen kinetischen Entfaltung oder einfach der Macht.

      Manchmal setzte das Boot drüben hart auf, das Heck hob sich und versank wieder, aber der Kutter machte immer noch Fahrt, wenn das Heck wieder einsetzte und die Schraube drehte. Sie kämpften beide, das Schnellboot und der Kutter unterdessen bei sechs, vielleicht sieben oder mehr Windstärken und Schneetreiben; der eine um sein Leben, der andere um den Sieg. Hartmann, entschlossen, dem Katz-und-Maus-Spiel ein Ende zu machen, ließ den stampfenden und rollenden Kutter überholen und legte sich dwars, um ihm den Kurs abzuschneiden. Sie waren jetzt nahe genug, um das Boot genauer zu identifizieren; es handelte sich um ein Fischereifahrzeug mit den typischen Deckaufbauten achtern bei einem hohen Vorsteven und seitlichem Fanggeschirr, für das Befahren von Küstengewässern und zum Fischen gebaut und auf allen europäischen Meeren ähnlich.

      „Ein polnischer Fischer“, wiederholte der Wachhabende, auf die Flagge weisend, die im Sturm steif wie ein Brett auswehte. Kurz danach hatte Hartmann den Feuerbefehl gegeben. Das Geräusch übertönte kaum den Lärm des Sturmes. Dann geschah etwas Merkwürdiges, in dieser Situation Komisches; der Steuermann trat drüben aus dem Ruderhaus, ballte die Faust und schrie etwas, das der Wind verwehte, fuhr aber weiter. Der Umschlag vom Denken zum Handeln kam in einem bestimmten Moment aus Verblüffung, Ärger und Wut wegen der Dreistigkeit dieses Flüchtlings über Hartmann. Der nächste mit Schnee vermischte Regenschauer ging auf die in geringem Abstand fahrenden Boote nieder, der Kutter auf seinem Lavierkurs, das Schnellboot längs, manchmal eine Kabellänge voraus, dann wieder zurückfallend. Sie hätten sich von Bord zu Bord unterhalten können, ohne den heulenden Sturm. Und dreißig Jahre später rief Hartmann das Gefühl wieder auf, das ihn zum Krieger gemacht hatte, als er bebend vor Zorn und Hilflosigkeit nach einer im Rahmen seiner Möglichkeiten liegenden Antwort auf das blödsinnige Verhalten des Kutterführers suchte, der wissen musste, dass er keinesfalls entkommen und einfach versenkt werden konnte. Bei einem versuchten Grenzdurchbruch zu Lande hätte er, Hartmann, exakt und scharf schießen lassen oder selbst geschossen. Das Mittel, diesen Gegner aufzuhalten, war ihm im Sekundentakt gekommen; der Rammstoß, ungeachtet der Wirkung auf das eigene Boot. Die Befehle, nach dem Sprung in die Innere Brücke, gab er rasch, bestimmt und folgerichtig. Der Anlauf begann unter voller Kraft; der mittschiffs durch einen harten Stoß getroffene Kutter legte sich mit zersplitterten Planken langsam auf die Seite. Der Schiffsführer war aus dem Steuerhaus geschleudert worden, während das Schnellboot volle Kraft rückwärts lief, um von dem Gerammten freizukommen. Drüben trieb er im Wasser und schnell ab, hilflos mit den Armen rudernd; sein Kutter wurde auf der Steuerbordseite liegend von den Wellen überrollt. Die Jagd war zu Ende.

      Mit Bootshaken zogen sie den schon leblosen Mann heran und verholten ihn an Bord. Die Aktion war geglückt und Hartmann erinnerte sich wieder der Ruhe, die über ihn gekommen war, ob der Befriedigung über diesen Ausgang. Der Wachführer, den er nach vorn geschickt hatte, meldete einige, dem Augenschein nach unbedeutende Schäden am eigenen Bug. War auch die Schwere des Rammens nicht voraus zu berechnen gewesen, so war das Manöver im Großen und Ganzen gut ausgegangen, das eigene Boot manövrierfähig geblieben, das fremde gestoppt und der Grenzverletzer gestellt, somit der Auftrag erfüllt. Dass diese Geschichte ein Nachspiel haben würde, war ihm, Hartmann, allerdings klar gewesen; alles würde auf die Bewertung seiner Handlungen durch die Führung ankommen. Nun, in diesem Augenblick mochten die positiven Empfindungen überwogen haben, gleich, was danach kommen würde. Er musste sich dann wohl dem nächstliegenden zugewendet haben, der Rettung des Bootsführers; ihn zu töten oder schwer zu verletzten, hatte nie in seiner Absicht gelegen. Der kräftige junge Kerl, den sie aus dem Wasser gefischt hatten, war unter den Händen der Helfer in der Messe rasch wieder zu sich gekommen; er würde das kalte Bad unbeschadet überstehen, wie der Stellvertreter meldete. Zeit und Ort des Ereignisses, die Schilderung der Umstände dieser Aktion schriftlich festzuhalten, die Landbasis zu informieren, Befehle abzuwarten, der Mannschaft zu danken; dies war noch zu leisten und auf Heimatkurs nach Saßnitz zu gehen oder wohin der Chef das Boot geführt haben wollte. Übrigens entsann sich Hartmann seiner Verwunderung damals, dass dieses Holzschiff ein Fahrzeug wie das seine aus bestem Schiffsstahl beim Rammen überhaupt zu beschädigen vermocht hatte; aus einem zu spät bestoppten Anlauf hätte leicht ein Überlaufen des Kutters werden können mit erheblich größeren Schäden an den eigenen empfindlichen Schrauben. Dass im letzten Seekrieg Rammstöße häufiger waren, wusste er aus dem theoretischen Unterricht, hatte aber nie damit gerechnet, ein solches Manöver einmal ausführen zu müssen.

      Während Hartmann seine Aufzeichnungen für den Rapport überprüfte, die Ohrmuscheln des Kopfhörers angeklemmt, erschien sein Politstellvertreter und erklärte stotternd, dass sich laut Aussage des Festgenommenen noch zwei weitere Personen an Bord befunden hatten, seine Frau und die Tochter, ein Kind, beide von ihnen unbemerkt, im Ruderhaus kauernd. Hartmann erinnerte sich nur zu gut dieses Augenblicks der Unheilbotschaft; sie starrten beide auf das inzwischen kieloben treibende, von den Brechern überrollte Boot, dessen Schicksal besiegelt war. Seit der Bergung und Wiederbelebung des Kutterführers, seit sie das treibende Kutterwrack, auf Befehle wartend, in langsamer Fahrt umkreist hatten, mochte eine Stunde vergangen sein, eine für Schiffbrüchige im eiskalten Ostseewasser absolut tödliche Zeit. Zwar hatte er zwei Männer, Freiwillige, zum Tauchgang hinübergeschickt; sie kehrten bald an Bord zurück; die Suche nach den Toten wurde aufgegeben. Endlich konnte er, Hartmann, das Unternehmen mit dem Befehl zur Heimfahrt abbrechen; bei Schneetreiben und Sturm herrschte in dem auf Heimatkurs liegenden Boot, den Kutter im Schlepp, eine bedrückende Stille. Die junge Mannschaft stand unter dem Eindruck des Geschehens. Der Tod fuhr mit diesem, ihrem so energischen wie glücklosen Kommandanten. Nach außen gelassen und gleichmütig taten die Stabsmatrosen ihren Dienst, vermieden aber laute und private Gespräche. Als die Backschafter in der Mannschaftsmesse auftischten, kauten und schluckten die Männer, was man ihnen vorsetzte wie an einer Henkersmahlzeit. Hartmann sah vorwurfsvolle und verschlossene Gesichter, als er die Messe betrat, um ein paar Worte zu sprechen. Bei den Offizieren auf der Brücke war die Stimmung anders, aber kaum besser, keiner sprach, wie naheliegend, über den Vorfall. Um etwas zu tun, hatte sich Hartmann den Gefangenen vorgenommen und ihn zum Sprechen gebracht. Der Mann saß in trockenen Sachen vor ihm und schluckte heißen Tee, während er berichtete. Seine Geschichte fügte sich zu diesem Bild zusammen.

      Er wollte in Eberswalde eine gut gehende Reparaturwerkstatt betrieben, einen Einmannbetrieb, und Fahrzeuge für Behinderte umgebaut und damit gut verdient haben. Einen materiellen Grund abzuhauen, hatte er nicht, wie ja übrigens die Mehrzahl der Flüchtlinge aus gesicherten Verhältnissen heraus die Flucht in den Westen antraten, in guten Verhältnissen gelebt hatten. Von der polnischen Küstenwache unbemerkt oder nicht aufgehalten, war er in See gegangen, mit dem von ihm im Tausch gegen ein Auto und einer Zuzahlung erworbenen Fischkutter. Polen wollte er aus geschäftlichen Gründen öfter besucht haben, was ihm auch erlaubt worden war, trotz der angespannten staatlichen Beziehungen zum sozialistischen Brudervolk. Die Jahreszeit erschien ihm wegen der häufigen Schlechtwetterphasen günstig für eine Flucht, aber seine Frau hatte er doch erst an Bord zur Flucht überredet. Sie hatte geglaubt, auf einer kurzen Probefahrt zu sein. Die Frage des Gefangenen, ob er seine Frau sprechen könne, ließ Hartmann unbeantwortet. Aufgrund seines früheren Dienstes bei der Marine hatte sich der Gerettete für befähigt genug gehalten, ein Boot siebzig oder einiges mehr an Seemeilen auch bei Schlechtwetter mit Frau und Tochter nach Bornholm zu bringen.

      Er markierte Stumpfsinn, als ihm Hartmann Schuld am Tode der Frau und seines Kindes vorhielt; brabbelte etwas von Weihnachten in Spanien und von einer Tankstelle, die er sich einrichten wolle. Den Gefangenen Handfesseln anzulegen, wie ihm Hartmann befahl, war der Stellvertreter zögernd nachgekommen; Hartmann mochte es, nach dem, was vorgefallen war, gereizt haben, herauszukriegen, wie weit er gehen konnte, bis ihm widersprochen wurde. Er hatte vielleicht der berüchtigte Master next God sein wollen, für eine kurze Zeit. Über seinen Befehl dachte er heute wie damals; Fesselung war bei einem so unternehmenden Mann zu ihrer aller Sicherheit vernünftig gewesen und hatte natürlich nur solange gedauert, bis sie den Mann abgeliefert hatten.

      Auch die Rückfahrt verlief schlecht; die schwache Schlepptrosse brach und sie mussten das Kutterwrack aufgeben; es sank sehr schnell.

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