Fälschung. Ole R. Börgdahl
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»Ich denke, das ist uns allen klar«, sagte Simon. »Mich interessiert nur, ob Sie gerade dieses Werk, diesen Gauguin vorher schon einmal gesehen haben, vielleicht sogar wissen, wo er ausgestellt war oder die Vorbesitzer kennen.«
Claudius Brahm schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.« Er zögerte kurz. »Überrascht Sie das, überrascht es Sie, dass ich dabei noch ganz ruhig bleibe und nicht auch noch euphorisch nach einem Wunder schreie und Ihnen um den Hals falle, weil ich mir einen noch unbekannten Gauguin ansehen durfte, ihn anfassen durfte. Ich hoffe, dass Sie das nicht von mir erwarten?«
»Wie sicher sind Sie sich denn, dass das Bild ein echter Gauguin ist?«, warf Heinz Kühler ein.
»Kein Kommentar, zu diesem Zeitpunkt«, antwortete Claudius Brahm mit einem Zwinkern. »Echt oder nicht echt, das ist immer eine Frage, die nur von vielen verschiedenen Fakultäten gemeinsam beantwortet werden kann. Ich bin hier gewissermaßen nur der Stilexperte.«
»Wir wollen Sie hier nicht jubeln sehen und Ihnen auch keine voreiligen Schlüsse abringen«, sagte Simon. »Es ist nur so, je nachdem, was Sie uns über dieses Bild sagen, müssen wir noch nach einem Herkunftsnachweis recherchieren. Da wäre es mir natürlich lieber, wenn Sie uns gleich mitteilen könnten, wo wir da zu suchen haben.«
»Sie sind ziemlich nackt, was diesen Gauguin angeht?«, sagte Claudius Brahm mit einem spöttischen Unterton. »Eines ist Ihnen doch wohl klar. Wenn ich jetzt bestätige, dass es ein Original ist, so braucht das keinen Wert zu haben. Sobald im Labor festgestellt wird, dass der Künstler seine Farben bei Aldi gekauft hat und die Leinwand eine nylonverstärkte Bespannung hat, erübrigt sich mein Gutachten. Ich würde allerdings bei dem, was ich bisher gesehen habe, den Hut vor unserem Künstler ziehen, wenn es wirklich eine Fälschung sein sollte. Aber um Ihre Frage zu beantworten, ich kenne das Werk nicht. Ich habe auch noch nie über exakt dieses Motiv gelesen oder etwas Ähnliches gesehen.«
»Aber das will nichts heißen, wollen Sie mir sagen«, meinte Simon.
»Wissen Sie, wie viele Bilder Gauguin gemalt hat oder van Gogh«, erklärte Claudius Brahm. »Ich glaube, das weiß keiner so genau. Es gibt zwar Künstler, die noch zu ihren Lebzeiten anerkannt waren und auch gut verkauft haben und bei denen man ziemlich genau weiß, was sie alles produziert haben. Für Gauguin trifft das sicherlich nicht zu. Unser Bild hier stammt von 1902. Da hat er nicht gerade in paradiesischen Verhältnissen im sogenannten Paradies auf einer kleinen Insel im Pazifik gelebt oder besser gesagt dahinvegetiert. Wer weiß, wem er dieses Bild geschenkt hat oder wenn er Glück hatte, verkaufen konnte. Für uns ist Gauguin heute ein bekannter Künstler, aber noch in den zwanziger Jahren war er das bei Weitem nicht. Welchen Weg hat dieses Bild hinter sich? Vor dem Ersten Weltkrieg hing es vielleicht in irgendeinem Wohnzimmer. Danach hat es nicht mehr gefallen oder das Format passte nicht zur Breite der Sitzgruppe, man wollte ein größeres Bild, vielleicht mit einem Hirsch darauf.« Claudius Brahm lachte kurz über seine eigene Bemerkung. »Es kann natürlich auch bei einem Umzug verloren gegangen sein«, fuhr er fort. »Mit viel Fantasie lässt sich noch mehr zu diesem Thema finden. Wenn es dann später einmal wiederentdeckt wurde, hat bestimmt zunächst niemand ernsthaft damit gerechnet, dass das Bild ein echter Gauguin sein könnte. Vielleicht eine schöne Reproduktion, die man behält oder verschenkt oder, um Gottes willen, auf dem Flohmarkt verkauft. Ich glaube kaum, dass ein Privatmann gleich einen Sachverständigen beauftragt und in einem Labor Analysen durchführen lässt. Sie sehen also, es kann durchaus passieren, dass nicht jeder Gauguin zwangsläufig in einem Museum oder in einer bekannten Privatsammlung landen muss. Wie gesagt, mein Urteil steht noch nicht abschließend fest, aber so ein Schicksal kann unserem Bild hier natürlich auch widerfahren sein, denkbar ist es.«
Simon nickte. »Also das Jahr, mit dem das Bild datiert ist, kann demnach authentisch sein?«
»Wenn Gauguin im Jahre 1902 das Pariser Nachtleben gemalt hätte, dann wäre das schon sehr ungewöhnlich, ich sage nicht unmöglich«, erklärte Claudius Brahm. »Das Motiv und die Jahreszahl scheinen authentisch. Die Strandszene passt zu der Pazifikinsel, von der ich gesprochen habe.«
»Welche Insel?«, fragte Heinz Kühler. »Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, ich weiß nur, dass er nicht auf Tahiti gestorben ist.«
»Marquesas, Hiva Oa«, sagte Claudius Brahm trocken. »Gauguin wurde auf Hiva Oa, auf dem katholischen Friedhof des Ortes Atuona beerdigt.« Er senkte kurz den Kopf. »Asche über mein Haupt, ich bin allerdings noch nie dort gewesen, das kann ich mir bei meinem Gehalt nicht leisten.«
Claudius Brahm sah Heinz Kühler an, der ihm zustimmte. Simon dachte kurz an Florence Uzar. Die Freundin von Colette kam von den Marquesas und vielleicht würde Simon mit Colette und Marc das nächste Weihnachtsfest dort verbringen. Er hatte hinter diese Planungen zwar bisher noch immer ein großes Fragezeichen gesetzt, doch jetzt schien es ihm wieder sehr interessant zu sein.
Claudius Brahm räusperte sich. »Gut, Gauguin hat also Elemente aus seiner Umgebung verwendet. Das kleine Mädchen kann allerdings eine Bauerntochter aus der Bretagne sein. Vielleicht taucht sie in irgendeinem anderen seiner Bilder auf, aber dann eben nicht mit diesem Sonnenhut, sondern vielleicht mit einer dieser typischen Hauben und sie trägt ein grobes Arbeitsgewand und nicht dieses eher luftige Kleidchen. So etwas kann man sicherlich nachprüfen und ich werde auch Stichproben machen, vielleicht finden wir dadurch ja sogar schon heraus, wer diese Julie ist.«
»Und was sagen Sie überhaupt zu dem Titel des Bildes?«, fragte Heinz Kühler. »Julie des Bois. Das passt doch eigentlich nicht zu dem, was das Bild zeigt.«
»Auch das hat nichts zu sagen«, warf Claudius Brahm ein. »Es bestärkt mich sogar noch in der These, dass die Kleine eine bretonische Bauerntochter ist. Vielleicht hatten ihre Eltern einen Hof am Waldrand oder in der Nähe eines Waldes oder direkt im Wald. Gauguin hat die Person mit in die Südsee genommen, in seinem Gedächtnis versteht sich. Das Aussehen und ihren Namen hat er beibehalten, den Rest hat er seiner neuen Umgebung entsprechend gemalt. So einfach ist das manchmal. Bevor ich mit meinem Gutachten abschließe, werde ich genau diesen Punkt noch einmal überprüfen. Sicherlich werde ich Ihnen nicht sagen können, wer das Mädchen exakt war, aber ich denke, wenn wir einen Bezug zu einem anderen Werk Gauguins herstellen können, das bereits anerkannt ist, dann haben Sie auch für dieses Bild einen recht guten Herkunftsnachweis. Zum Thema Herkunftsnachweis überlege ich auch gerade, dass es natürlich ein Glückstreffer wäre, wenn es eine Fotografie gäbe, auf der Gauguin mit diesem Werk hier zu sehen ist. Von der ersten Südseereise hat er seine Bilder mit nach Frankreich gebracht. Er hatte sich im Winter 1894 wieder ein Atelier in Paris genommen. Es gibt eine Fotografie, die ihn im Vordergrund, im Profil zeigt. Im Hintergrund ist leicht verschwommen das Gemälde Die Schmollende oder Te Faaturuma zu sehen. So etwas ist selbstverständlich ein super Herkunftsnachweis.«
»Wenn so etwas auftaucht, dann ist das natürlich optimal«, sagte Simon. Er überlegte. »Natürlich wäre es mir lieber, wenn gleich das ganze Bild irgendwo bekannt ist. All das, was Sie eben ausgeführt haben, kann selbstverständlich auch ein geschickter Fälscher wissen und es verwenden, um die Täuschung zu perfektionieren, selbst mit Fotografien lässt sich heute einiges machen.«
Claudius Brahm zuckte mit den Schultern. »Ich kann Ihnen nur eine Sachverständigenmeinung liefern. Ich sagte ja bereits, dass es stark auf die Ergebnisse der Laboranalysen ankommt. Wenn auch nur der kleinste Zweifel besteht, dass zum Beispiel in den Farben etwas drin ist, was da nicht hineingehört, würde ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig sein, egal wie mein Stilgutachten ausfällt, wobei mein Gutachten dann natürlich auch ein entsprechendes Fazit beinhalten wird.« Claudius Brahm überlegte. »Natürlich kann auch mit den Materialanalysen nicht