Wolfsspuren. Wolf Stein
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Am Abend waren sich alle einig, dass es doch nun bald mal losgehen müsse. Wäre von Anfang an alles ohne Verzögerungen verlaufen, hätten wir jetzt schon fast in Kanada angelegt. Um 23:30 Uhr änderte das immer gegenwärtige, leichte Dröhnen an Bord plötzlich seine Intensität. Wir saßen gerade beim gemeinschaftlichen Kartenspiel auf Kammer, als sich die Sicht aus Holgers und Sylvias Fenster merklich änderte. Die strahlenden Lichter der Stadt zogen langsam vorbei. Nein! Waren wir wirklich dabei, abzulegen? Uns hielt nichts mehr auf unseren Stühlen. Alle stürmten raus auf das Oberdeck. Wir standen sprachlos im Wind. Gespannt beobachteten wir das Ablegemanöver. Zwei Lotsenboote gaben die Richtung vor. Ein kleiner Lichtkegel war alles, was von Genua übrig blieb. Der Nachthimmel präsentierte sich sternenklar. Die Luft roch nach Treibstoff. Die Maschine beschleunigte langsam aber sicher auf Reisegeschwindigkeit. Der Gegenwind ließ unsere Haare und Jacken flattern. Blickten wir direkt in Fahrtrichtung, mussten wir die Augen zukneifen. Es wurde richtiggehend frisch. Zufrieden zogen wir uns in unsere Kojen zurück und träumten von dem, was uns in den nächsten zwei Wochen wohl alles widerfahren würde. Das Schönste war jedoch, überhaupt endlich in See gestochen zu sein. Schiff ahoi!
So ging es durch das nördliche Mittelmeer geradewegs bis nach Fos sur mer in Frankreich. Bei den Franzosen ging alles blitzschnell. Am späten Vormittag eingelaufen, am Abend bereits wieder ausgelaufen - wieder mittels zweier hilfreicher Lotsen, wieder unter den neugierigen Augen von uns Passagieren.
Nachts leuchtete die Venus am Himmel. Neben ihr stand ein wunderschöner Sichelmond. Als Höhepunkt schossen unzählige Sternschnuppen am Firmament entlang.
In der Meerenge von Gibraltar verharrte ich am folgenden Tag stundenlang am Bug. Ich wartete auf Delphine. Die werden dort häufig gesichtet. Meine Geduld wurde mehr als belohnt. In kleinen und großen Gruppen kamen sie von Backbord und Steuerbord angeschwommen und sprangen in der vorwärtspeitschenden Bugwelle umher. Es schien den Delphinen ein wahres Vergnügen zu sein. Die Begegnung mit ihnen war es mir ebenso.
Bald darauf war kein Land mehr in Sicht. Überall nur Wasser. Ich machte mich mit den sechs Lehrlingen bekannt - alles Kerle. Bei einem Namen kam ich allerdings ins Stutzen.
»Und wie heißt Du?« fragte ich einen der Azubis, der mit einer Flasche Bier im Gang saß. Es war spät abends, weit nach Schichtende, also kein Problem mit dem Bier.
»Daniela«, lautete seine Antwort.
»Daniela? Oh bestimmt ein italienischer Name, oder?«
»Nee, wieso?« fragte er.
Ich antwortete, dass Daniela meiner Meinung nach als Männername nur in Italien vorkäme und in Deutschland nur Frauen so hießen.
»Äh, Moment«, sagte Daniela, »ich bin doch ne Frau!«
»Upps!«
Leicht irritiert musterte mein verdutzter Blick Danielas Erscheinung.
»Das hätte sie aber draufschreiben müssen«, dachte ich, versuchte nun aber schleunigst, nicht noch mit dem zweiten Fuß ins Fettnäpfchen zu treten.
»Na ja! Sag ich doch! Prost!«
Was Besseres fiel mir nicht ein. Ich hoffe, Daniela hat es mir nicht zu übel genommen. Dann fragte ich sie, wie das so sei als einziges Mädel unter all den Männern, obwohl es ja eigentlich gar nicht auffiel.
»Nicht immer leicht, soviel steht fest«, meinte sie.
Daniela feierte auf dieser Reise ihren Geburtstag. Sie lud alle zu einer Partysause ein. Und wie wurde da wohl gefeiert? Mit Bier, Sekt, Häppchen für den kleinen Hunger und natürlich ... mit Karaoke! Die philippinischen Kollegen drehten voll auf, sangen sich in Ekstase und machten den Abend unvergesslich.
Die Tage auf dem Atlantischen Ozean vergingen schneller als gedacht. Wir verbrachten die Zeit mit Sport, Tischtennis, Lesen, Essen, Schlafen, Sauna, Erzählen, DVD-Abenden, Meeresbeobachtungen, diversen Schiffsführungen und im Pool. Dessen Wellengang passte sich dem Schwanken des Schiffes an. Herrschte raue See, entwickelten sich im Pool kräftige Wellen. Beschweren konnten wir uns jedoch nicht. Neptun meinte es gut mit uns. Dank des guten Wetters wurde niemand seekrank. Nur hin und wieder schaukelte es etwas kräftiger. Je nach Schlagseite gestaltete sich das Treppensteigen mal leichter, mal schwerer. Anfangs hatten wir Passagiere uns noch einen Sturm gewünscht, zumindest einen klitzekleinen, nur um es mal miterlebt zu haben. Doch als die Matrosen uns Bilder und Videos des letzten Märztaifuns im Atlantik zeigten, waren wir überzeugt, auch ohne Sturm leben zu können. Die Wellen, die wir zu sehen bekamen, schlugen mit solcher Wucht gegen das Schiff, dass die Gischt weit über die obersten Container spritzte. Auf Deck standen jeweils vier davon übereinander! Außerdem schaukelte der 202-Meter-Frachter wie eine Nussschale auf und ab. Die Mannschaft verbrachte zwei Tage festgeschnallt in den Kojen. Das gewaltige Ausmaß des Wetterextrems bezeugten massive Schäden in der Bugreling - beindicker Stahl, verbogen wie Maschendraht. Unglaublich, welche Kraft aufgepeitschtes Wasser entwickeln kann. Von einem Sturm hatten wir damit genug gesehen, noch dazu als wir erfuhren, dass wir uns auf dem ungefähren Kurs der Titanic befanden. Beruhigend für mich war, dass sich das Rettungsboot direkt neben meiner Kabine befand.
Nicht satt sehen konnten wir uns an der untergehenden Sonne. Fast jeden Abend erlosch der rote Feuerball allmählich im Meer, um am Tag darauf wie neu entzündet wieder aus ihm emporzusteigen. Nur ein paar vernebelte Tage trübten die ansonsten perfekte Wetterbilanz.
Jeden Morgen tickten die Uhren anders auf der Canada Senator. Das lag daran, dass ab Mitte der Reise jede Nacht die Zeit um eine Stunde zurückgestellt wurde. So konnten wir uns langsam und problemlos an den Zeitunterschied zwischen Zentraleuropa und Ostkanada gewöhnen. Obgleich Tag für Tag eine Stunde hinzukam, die Zeit verging viel zu schnell. Und obwohl der Küchenchef bereits damit begonnen hatte, den wöchentlichen Menüplan wieder von vorn zu kochen, was einigen Vollzeitmatrosen aus der Mannschaft schon zum Hals raushing, gab es von Langeweile keine Spur. Unsere fünfköpfige Reisegruppe erlangte Zutritt zu den heiligen Hallen des Maschinenraumes - unter persönlicher Führung des 1. Ingenieurs. Was für eine Ehre! Die graue Eminenz, wie wir ihn nannten, hatte sich tagelang betteln lassen. Ein ganz schöner Sturkopf. Einer, der alles konnte und alles wusste. Kein einfacher Mensch. Aber seine Führung war gut. Mit Hörschutz bewaffnet schlichen beziehungsweise hetzten wir durch die Gänge hinter ihm her. Überall ratterte und dampfte es. Wenn die graue Eminenz uns etwas ins Ohr schrie, verstanden wir meistens nur die Hälfte. Allein der Motor des Eisenriesens war knappe 14 Meter hoch, wie ein Haus. Die Antriebsschraube brachte es auf 8 Meter im Durchmesser. Angeblich gibt es nur noch vier Maschinen dieser Bauart weltweit. Im Kontrollraum sah es aus wie in der Schaltzentrale eines Atombunkers zu Zeiten des Kalten Krieges.
»Ich erzeuge hier so viel Energie, dass ich locker eine ganze Großstadt versorgen könnte«, sagte der Herr der Maschinen. »Satte 45 Minuten braucht das Schiff, um volle Fahrt aufzunehmen. Und 40 Minuten, um zum völligen Stillstand zu kommen.«
Das hieß übersetzt: Alle anderen sollten lieber ausweichen und sich nicht mit der Canada Senator und deren 1. Ingenieur anlegen.
Ein ganz anderes Kaliber als die graue Eminenz war der Schiffsmechaniker Bernd. Auch ein waschechter Seemann, den wir nur den Seebären nannten - kräftig, mit Vollbart und immer eine spannende Geschichte aus vergangenen Zeiten auf Lager. Wie die, als er die Besatzung eines im Sturm untergegangenen Holzfrachters retten musste. Damals wäre er fast draufgegangen. Die langen Baumstämme rissen sich unter Wasser durch den natürlichen Auftrieb nach und nach los und schossen wie riesige Pfeile aus den Wellen.
»Hätte uns irgendeiner dieser Stämme getroffen, wäre Ruhe im Karton gewesen«, sagte Bernd mit weit geöffneten Augen.
Wir