Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft. Bernhard Domschcke
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Ein Vorfall rief in der ersten Zeit unserer Anwesenheit im "Libby" einige Aufregung hervor, nämlich die Drohung, zwei Captains zu hängen, weil General Burnside mit ein paar Rebellenspionen kurzen Prozess gemacht und dieselben aufgeknüpft hatte. Sobald die konföderierte Regierung dies erfuhr, ordnete sie an, dass aus der Mitte der Offiziere von Streight und Milroy zwei Captains durch das Los bestimmt und dann getötet werden sollten. Captain Sawyer von einem Kavallerieregiment aus New Jersey und Captain Flinn aus einem der Neuengland-Staaten traf das Los. [Anm. d. Hrsg.: Henry W. Sawyer war Captain von Kompanie K der 1st New Jersey Cavalry; John M. Flinn war Captain von Kompanie F der 51st Indiana Infantry.] Sofort wurden beide in die unterirdischen Zellen gebracht und Turner machte sich täglich das Vergnügen, ihnen anzukündigen, dass sie sich auf den Tod vorzubereiten hätten. Eine geraume Zeit schwebten beide zwischen Leben und Tod, bis ein glücklicher Zufall sie aus der schrecklichen Situation erlöste. Der Brigadier-General Lee nämlich (ein Sohn des berühmten Generals) und Captain Winder, Sohn des General Winder, welcher Oberbefehlshaber aller militärischen Gefängnisse war, fielen den Unsrigen als Gefangene in die Hände und sofort wurde der konföderierten Regierung Notiz gegeben, dass, wenn den Captains Sawyer und Flinn ein Leid geschehe, Lee und Winder gehängt werden würden. Dies wirkte. Sawyer und Flinn waren von ihrer Todesangst erlöst, aber der Letztere, ein junger Mann von etwa 30 Jahren, hatte sich während der kurzen Periode der schrecklichen Ungewissheit merklich verändert; seine Züge waren eingefallen, seine Gesichtsfarbe war bleich und sein Haar grau geworden. Er hatte in den Schlachten dem Tode mutig ins Auge gesehen, aber dass er auf so ruchlose Weise ermordet werden sollte, hatte ihn auf das Tiefste erschüttert.
Kapitel V
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Der Austausch – Die "königliche Familie" – Sendungen aus dem Norden – Die Rebellen als Diebe – Belle Island – General Neal Dow
So sehr sich jeder Einzelne bemühte, die ewig erscheinende Zeit der langen Sommertage durch irgendwelche Beschäftigung zu verkürzen, so konnten wir doch weder die Langeweile noch den Gedanken an einen Austausch bannen. Letzterer lag fast allen Gesprächen mehr oder weniger zugrunde; wer seiner persönlichen Freiheit beraubt ist, richtet unwillkürlich all sein Denken und Fühlen auf die traurige Lage, in welcher er sich befindet und wenn es ihm auch gelingt, das Gefühl des Schmerzes und die nagende Sorge für Augenblicke zu bannen, so verfinstern doch die schwarzen Schatten des Kummers und der Sorge bald wieder die kurzen Lichtmomente. Mit dem Raub der persönlichen Freiheit nimmt man dem Menschen die rechte Freude und die Freudigkeit des Geistes und bürdet ihm dafür eine Last auf, welche ihn leicht gänzlich erdrücken oder wenigstens seine Fähigkeiten auf lange Zeit lähmen kann. Nichts ist daher natürlicher als dass alle seine Gedanken sich auf den Wunsch konzentrieren, von dieser drückenden Last befreit zu werden und die Souveränität des eigenen Selbst wiederzugewinnen.
Nachdem wir die Monate August und September vergeblich auf die Erfüllung unseres Wunsches gewartet hatten, erklärten wir uns die Verzögerung dadurch, dass unsere Regierung nicht vor Schluss des Herbstfeldzuges austauschen wolle, um nicht den Feind durch die Zurücksendung einer großen Anzahl von wohlgepflegten und deshalb zum Dienst tauglichen Gefangenen zu verstärken. Mit dem Eintritt des Winters hofften wir sicher, aus der Falle zu entkommen, in welche wir geraten waren. Ein Punkt war es indes, welcher uns schon damals sehr kränkte, nämlich die sogenannten "Spezial-Auswechslungen". Wenn es mit der Ehre unserer Regierung nicht vereinbar war, auf die Austausch-Vorschläge der Rebellen einzugehen, oder wenn unser Verbleib in der Gefangenschaft eine politische Notwendigkeit war, so fehlte es unsererseits nicht an Aufopferungsbereitschaft und an dem patriotischen Willen, für die Interessen unserer Regierung zu darben und zu leiden. Als wir in die Armee eintraten, wussten wir, dass wir kein Wohlleben zu erwarten hatten; wir waren darauf gefasst, für unsere Sache leiden zu müssen oder zu fallen, aber wir erwarteten Gerechtigkeit, wo immer es nötig war, sie zu üben. Jene Spezial-Auswechslungen aber waren Akte der Ungerechtigkeit. Wenn wir zum Nutzen unserer Sache die Leiden einer langen Haft ertragen sollten, so war es notwendig, dass keine Ausnahmen, keine Unterschiede hinsichtlich der Person gemacht wurden. Geschah dies dennoch, so war es das Kränkendste, was uns widerfahren konnte. Obschon ein schwacher Trost, so war es immerhin ein solcher, wenn wir ein Unglück gemeinsam mit anderen zu ertragen hatten; wenn aber einzelne bevorzugt und andere zurückgesetzt wurden, so erhöhte dies die Leiden der letzteren und rief jenen Tadel hervor, welchen jede ungerechte Handlung hervorruft. Ungerechtigkeiten, welche ein Individuum begeht, sind schon tadelnswert genug, aber wenn eine Regierung, welche ein ganzes Volk repräsentiert, ungerecht handelt, so ist dies noch anstößiger, denn man erwartet von einer Regierung reifliche Überlegung, während man einem Individuum eine Unbesonnenheit leichter nachsehen kann.
Der Erste, welcher die zweifelhafte Ehre hatte, in dieser Weise bevorzugt zu werden, war Brigadier-General Graham, der bei Gettysburg leicht verwundet und in einer Ambulanz nach Richmond transportiert worden war. Er war einige Wochen im Libby-Hospital, erhielt, wie wir hörten, alle möglichen Vergünstigungen und wurde dann ausgetauscht, ohne nur das Geringste von den Leiden eines Gefangenen erfahren zu haben. Bald folgten ihm andere durch diesen Kanal der Spezial-Auswechslung, bis es an der Tagesordnung war, einen Bevorzugten aus unserer Mitte scheiden zu sehen. Abgesehen davon, dass diese Methode ungerecht war, so wirkte sie in verschiedener Beziehung geradezu demoralisierend. Es gab nicht wenige unter uns, welche vor den Rebellenoffizieren katzbuckelten, um ihre Spezial-Auswechslung zu erwirken, während andere bei ihren einflussreichen Verwandten und Freunden im Norden alle Hebel in Bewegung setzten, um unsere Regierung zu ihrer Spezial-Auswechslung zu veranlassen. Indem ein solches System eingeführt wurde, vergaßen viele allen Anstand und ihre eigene Würde; es war oft ekelerregend, die Offiziere vor den Rebellen scharwenzeln und sich dadurch selbst erniedrigen zu sehen. Und es blieb nicht allein bei dieser demütigenden Unterwürfigkeit; es standen manche in Verdacht, den Rebellen schmutzige Dienste zu leisten, um jener Bevorzugung teilhaftig und auf die Liste der Empfohlenen gesetzt zu werden. Wenn unser Austausch-Büro irgendjemanden zu befreien wünschte, so wurde einfach Notiz davon gegeben und mit dem nächsten oder übernächsten Boote ging der Betreffende nach Norden ab. Hatten die Konföderierten den Wunsch, einen der Ihrigen loszueisen oder einem der Unsrigen, der sich um jene verdient gemacht hatte, die Freiheit zu geben, so bedurfte es auch nur einer Depesche. Es schien in dieser Beziehung die beste Harmonie zwischen den Austausch-Beauftragten Meredith und Ould zu herrschen, obschon sich dieselben gelegentlich grobe Briefe schrieben, welche in den Rebellenzeitungen abgedruckt wurden. General Meredith zeichnete sich besonders durch eine gewisse Klobigkeit des Ausdrucks aus, während der Rebellen-Beauftragte Ould sich bemühte, diplomatischer zu verfahren. Die Korrespondenz zwischen beiden wurde immer gereizter, bis endlich die Unterhandlungen gänzlich abgebrochen wurden; aber die Spezial-Auswechslung der Günstlinge dauerte trotzdem fort und wurde