Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß

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Das Verschwundene Tal - Dietmar Preuß

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ihren Stand trat. „Tengris zum Gruße, edle Dame, reicher Herr!“ Er hielt sich lange genug in diesem Land auf, und so beherrschte er das Batorianische gut, wenn auch mit einem Akzent.

      Während Medeme ihn verträumt ansah, wurde der Händler bei diesem Gruß plötzlich nervös, machte ein betroffenes Gesicht und sah sich nach allen Seiten um. Sein Blick blieb bei einer Gruppe von Männern hängen, die – bis auf einen Greifländer in Schwarz - in Burnusse, Kaftane und Pluderhosen aller Farben gekleidet waren. Ihre wilden Augen und grimmigen Gesichter versetzten nicht nur Aguilar in Schreckten, währends sie im Schatten der um den Bazar laufenden Arkaden standen und das Volk beobachteten. Wulfiard hielt sie für zwielichtiges Gesindel, wahrscheinlich Diebe und Räuber, und ihm wurde klar, warum der Markthändler nicht lauthals als „reich“ bezeichnet werden wollte. Es waren Ssadesti, erkennbar an den Natterzähnen, die sie am Gürtel oder in der Schärpe trugen, drei der gebogenen Dolche hatten sogar einen silbernen Griff.

      „Ich biete euch meine Dienste als Haimamud an. Ein Lied aus fernen Landen für ein Brot. Für eine Mahlzeit ein Gedicht auf die Schönheit Eurer Frau, verewigt auf Pergament“, sagte Wulfiard dennoch zu dem fettleibigen Markthändler.

      Die Augen Medemes begannen zu glänzen, denn ein fahrender Dichter hatte die herrlichsten Geschichten zu erzählen. Und dass er sie edle Dame genannt hatte, wiewohl er doch viele bezaubernde Frauen auf seinen Reisen getroffen haben musste, verfehlte seine Wirkung nicht. Sie richtete ihr golddurchwirktes Kopftuch, und wie zufällig rutschten ein paar Strähnen des dicken, schwarzglänzenden Haares hervor. Die mit Kajal verzierten Augen waren geeignet, die Lebenssäfte eines Mannes zum kochen zu bringen. Sie reckte sich und verschaffte den üppigen Rundungen unter dem hochgeschlossenen Kleid Geltung. Die Blicke des Wulfiards ruhten für einen Moment auf den prachtvollen Brüsten, die sich unter der Seide abzeichneten.

      „Nein!“, sagte Aguilar, der solch zweifelhafter Kunst wie Geschichten und Poesie keinen Wert beizumessen schien.

      „Aber, Aguilar, du gütiger und großzügiger Ehemann, willst du mir diesen Wunsch nicht erfüllen?“ Wulfiard war sehr zufrieden, dass die Schöne ein gutes Wort für ihn einlegte. Das war schon der halbe Weg zum Ziel, wie er aus Erfahrung wusste.

      „Der Nichtsnutz soll verschwinden, bei seinen rauen Göttern! Sein Magen knurrt so laut, dass er die anderen Kunden vertreibt. Kunden mit Geld, die nicht kommen, um zu betteln.“

      „Welche Kunden, liebster Aguilar?“ Medeme griff nach seiner Hand und streichelte sie. „Es ist kaum noch jemand auf den Strassen, mein Gatte, denn bald schlägt die Mittagsstunde und wir bauen ab“, sagte sie, wobei sie Wulfiard Blicke zuwarf, die ihn hoffen ließen.

      „Das liegt an diesen verfluchten Ssadesti“, flüsterte der dicke Händler. „Das Volk, das sich jetzt noch vor die Türe wagt, ist solch Gesindel wie dieser da!“

      Der Pfeffersack lässt sich nicht erweichen, erkannte Wulfiard. Aber wenn ich lange genug in der Nähe bleibe, ergibt sich bestimmt eine Gelegenheit. Außerdem könnte ich wirklich eine anständige Mahlzeit vertragen. Lass dir etwas einfallen, Geschichtenerzähler! „Ihr habt Recht, edler Herr und Meister des Handels. Was scheren euch Reim und Sang? Heute Abend werdet ihr in den Armen eurer jungen Frau liegen. Der Genuss, den sie euch bereiten wird, ist meiner belanglosen Kunst natürlich vorzuziehen. Handfeste Arbeit biete ich Euch also, den Stand will ich abbauen und die Waren auf den Wagen laden, während Ihr Euch im Schatten vom harten Geschäft erholt. Und nicht mehr verlange ich dafür, als etwas zu essen, ein halbes Brot oder ein Schälchen Reis. Ihr aber trinkt ein kaltes Minzwasser, schließt die Augen oder wagt euer Glück beim Spiel! Das Glück ist mit dem Tüchtigen, und dass ihr tüchtig seid, das sieht man sofort.“ Solche blumigen Ansprachen kamen Wulfiard nach über einem Jahre in den Ländern Scimmiens leicht von den Lippen. Wenn Vater oder die Brüder mich so hätten reden hören, sie hätten mich zu einem Goden gebracht, um mir ein Loch in den Kopf bohren zu lassen, damit die bösen Geister entweichen können! Ohne Wehmut dachte er an seine Sippe zurück. Ohne Wehmut? Nein, der Gedanke an die alte Mutter und die kleinste der Schwestern verursachte ein ärgerliches Brennen in der Brust.

      Der dicke Händler schaute zum Himmel, schaute seine Frau und dannn den freundlich lächelnden Wulfiard an. Tatsächlich war es ein überaus heißer und trockener Tag gewesen, und er war auf den Beinen, seit die Tengristochter aufgegangen war. Die meisten Leute, die den Bazar soeben noch zu einem quirligen Platz gemacht hatten, waren in die Schatten der Tavernen und Schlaftempel geflüchtet. Nur noch ein paar schmutzige Kinder zeigten Interesse für die Stände und Waren. Dazu hatte ibn Golg noch den Heimweg auf dem schaukelnden Ochsenkarren vor sich! Noch einmal musterte er Wulfiard aus zusammengekniffenen Äuglein und versuchte gar nicht erst, sein Misstrauen zu verbergen. „Und sobald ich weg bin, raubst du mir Wagen und Ware.“

      Wulfiard machte ein einfältiges Gesicht. Auf seinen Reisen hatte er festgestellt, dass den Simpeln und Dummen nichts Böses zugetraut wurde. Dabei hatte er zuhause – nein, das ist nicht mehr mein Zuhause - die Erfahrung gemacht, dass die Dummen lediglich die Schlechtigkeit ihres Tuns nicht erkannten. „Euer tugendhaftes Weib mag nur laut rufen, falls ich dergleichen tue. Es sind genug anderer ehrbare Kaufleute da, die ihr beistehen und Euch Bescheid geben werden. Lasst mich die Arbeit machen, für eine Mahlzeit, Herr!“ Während er vom Essen redete, wurde der Hunger Wulfiards immer bohrender, und auch der Durst.

      Aguilar ibn Golg dachte darüber nach, konnte aber nichts finden, was sein Misstrauen rechtfertigte. “Medeme, sieh nach, was wir auf dem Wagen zu essen haben. Gib dem Halunken kein Rauschgras, das ist viel zu gut für ihn, und erst recht keine vergorene Milch.“ Er wandte sich an Wulfiard. „Sag uns noch, wie du über den Unsteten Pfad gekommen bist.“

      Wulfiard hatte sich auf seiner Wanderung bereits daran gewöhnt, dass jedem Fremden, der vom nördlichen Kontinent kam, diese Frage gestellt wurde. „Hinter mir stürzten Schmuggler ins Meer, aber für mich war der Pfad breit und sicher.“

      Wie alle, die ihm diese Frage gestellt hatten, nahm auch Aguilar ibn Golg die Antwort als Zeichen dafür, dass er nichts Übles im Schilde führte, und fasste einen Entschlus. „Ich habe noch etwas in der Teestube zu besprechen. Zur Mittagsstunde baust du den Stand ab. Hör zu, Fremder, wenn du nach zwei Stunden den Karren nicht beladen hast, gibt es nichts zu essen! Verstanden, Medeme?“

      Medeme, ganz gehorsames Weib, senkte den Kopf und sagte mit dem richtigen Maß Unterwürfigkeit: „Ja, Herr, ich werde deine Rückkehr herbeisehnen.“

      Der Pfeffersack meinte wohl, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, dachte Wulfiard. Hat sich zwei Stunden schweißtreibender Arbeit unter der heißen Tengristochter erspart, so dass er am Abend noch genügend Kraft für sein Weib haben wird. Wulfiards Mundwinkel umspielte ein wissendes Lächeln, als der dicke Händler ihm den Rücken zukehrte und mit würdevollen Schritten zur Teestube ging, die sich zwei Gassen weiter befand.

      Der Kupferschmied zur Linken und die Händler gegenüber sprachen selbst darüber, ihre Stände abzubrechen. Dass der dicke Aguilar einen armen Tropf bezahlte, in der Hitze für ihn zu schuften, war ihnen wohl nicht neu. Medeme hatte sich züchtig in den Wagen zurückgezogen. Doch zwischen den roten Stoffbahnen, die vor dem Einstieg hingen und in einem Bogen über die Ladefläche gespannt waren, warf sie ihm einen wollüstigen Blick zu. „Wie heißt du, Helfer meines Mannes?“

      „Mein Name ist Wulfiard von Gandra. Das ist weit im Norden der Greiflande, in Runland. Und ich muss zugeben, dass ich sehr hungrig bin. Ich würde gerne etwas essen, bevor ich mit meiner, ähm, Arbeit beginne.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare.

      Medeme gefiel offenbar dieses Spiel, und sie wollte es noch ein wenig hinauszögern, bis es ernst wurde. „Haben die Frauen im Norden auch solch goldenes Haar wie du, Wulfiard? Da werden dir die Frauen unseres Landes bestimmt nicht gefallen.“ Sie verschwand hinter

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