Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß

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Das Verschwundene Tal - Dietmar Preuß

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als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er zuckte zusammen, drehte sich um und war verwundert, dass niemand zu sehen war. Erst als er nach unten schaute, entdeckte er einen schmächtigen Mann, der den roten Burnus und das Wappen der Stadtwache an seinem blauen Turban trug. Eine spitze Nase, vorstehende Zähne und ein dünner, zu den Seiten abstehender Schnurrbart zierten sein Gesicht. Dazu sprach er mit einer hohen, pfeifenden Stimme. „Wie ist dein Namen und was machst du in dieser Stadt, Fremder?“

      Wulfiard musste sich ein Grinsen verkneifen, denn jetzt legte das Männlein ihm eine Hand auf den Arm, als könne er ihn mit seinen schwächlichen Kräften festhalten. Aber er hütete sich zu lachen, denn er ahnte, dass der kleingewachsene Scimmier auf Schmähungen übel reagieren würde.

      „Raus damit, sonst lasse ich dich aus der Stadt werfen. Du sprichst mit Mussad Baba, dem Kommandanten der hochlobzu­preisenden Stadtwache von Fayum!“

      „Mein Name ist Wulfiard von Gandra. Ich bin hier, um die Schönheit des Landes zu besingen und Gedichte über den Mut seiner Männer zu schreiben.“

      Der Blick des Kommandanten blieb misstrauisch.

      „Soeben arbeite ich für den Händler Aguilar, um mir eine Mahlzeit zu verdienen.“

      „Ein hungerleidender Haimamud aus dem Norden also! Ich werde dich im Auge behalten, merke dir das! Wenn du vorhast, dich unbeliebt zu machen, wird dir das Ärger einbringen!“

      In diesem Moment schob Medeme die Wagenplane beiseite. „Ich habe Hirse gekocht, Fremder, und einen Rest Lammfleisch hineingeschnitten. Komm und iss, bevor es kalt wird.“

      Der Blick Mussad Babas wechselte von Wulfiard zu der Markthändlerin. „Geh nur und iss deine Hirse, Fremder aus Gandra. Aber lass es dabei bleiben, wir haben hier ein Auge auf unsere Frauen!“

      Endlich konnte sich Wulfiard Medeme und seinem Essen widmen.

      Dann wollen wir doch mal sehen. Sein Magen knurrte vernehmlich, denn er hatte seit drei Tagen kein warmes Essen mehr gehabt. Den Reizen der schwarzhaarigen Medeme würde er sich erst mit vollem Bauch zuwenden. Er stieg die zwei Tritte hoch in den Wagen, der unter der Stoffplane reichlich Platz für zwei sitzende Leute bot. Medeme hatte einen bunten Webteppich ausgebreitet und einen dampfenden Topf und einen Teller aus Steingut darauf gestellt. Sie selbst saß im Schneidersitz am Ende des Teppichs und hatte den Schleier abgelegt, sodass das schwarze Haar ihr Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen umfloss. Wulfiard wunderte sich wieder einmal, wie schön die Frauen dieses Landes in ihrer Jugend waren und wie schnell ihre Schönheit in der Hitze verdorrte. Aber diese Blume würde er vorher pflücken!

      „Erzähl mir eine Geschichte von deinen Reisen, Haimamud!“

      Wulfiard setzte sich, griff mit bloßen Händen, wie es hier Sitte war, in den Topf, formte aus der dick eingekochten Hirse und dem geschnetzelten Lamm ein Bällchen und schob es sich in den Mund. Der Reis war gewürzt mit Safran und Kräutern und schmeckte köstlich. Eine Weile kaute er stumm vor sich hin, bis der schlimmste Hunger gestillt war. Medeme betrachtete ihn dabei, und immer wieder blieb ihr Blick auf seinem goldblonden Haar hängen. „Welcher glückliche Ort darf sich deine Heimat nennen, schöne Medeme?“, fragte er schmatzend.

      „Mein Mann hat sein Kontor in Barisch, das sind zwei Stunden Fahrt mit dem Ochsenkarren nach Osten.“

      Wulfiard hatte diesen kleinen Flecken, in dem es nicht einmal ein Gasthaus gab, vor ein paar Tagen durchquert. Er erinnerte sich, dass er danach durch ein überraschend kühles Wäldchen aus Zedern und hier seltenen Weiden gekommen war. „Jetzt weiß ich auch endlich, woher ich dich kenne“, sagte er.

      „Ich glaube nicht, dass wir einander je begegnet sind.“ Me­deme sah ihn verwundert an.

      „Du hast Recht, aber ich habe von dir erzählen hören.“

      „Wer hat von mir gesprochen, und was?“ Medemes Neugier war geweckt.

      Das war die Gelegenheit, seine Kunst spielen zu lassen. Gleich war sie gefügig wie eine Houri aus Markisch. „Ich war vor einigen Tagen östlich von Fayum unterwegs und durchquerte ein verwunschenes, dichtes Wäldchen. Traurige Weiden hingen über klaren Tümpeln, in denen sich das Licht der abendlichen Sonne brach.“

      „Dieses Wäldchen liegt nahe bei Barisch. Du musst ganz nah an meinem Heim vorbei gekommen sein“, flüsterte sie.

      Er rückte ein Stück näher an sie heran und nahm ihre Hand. „Wäre ich nicht in Eile gewesen, ich hätte diesen gesegneten Ort aufgesucht“, sagte er und blickte ihr tief in die Augen.

      Seine Worte wirkten, sie lechzte nach mehr, ihre Augen schimmerten. Jetzt würde sie alles glauben, was er ihr erzählte, und das gedachte er hemmungslos auszunutzen. „An diesem Abend in dem Zauberwäldchen überkam mich eine seltsame Müdigkeit. Ich legte mich unter eine der Weiden, nachdem ich mich entkleidet und in einem der Tümpel erfrischt hatte. Wie Tengris mich geschaffen hat, ruhte ich auf den weichen Mooskissen.“

      Medeme errötete, aber sie schien sich dieses Bild nicht ungern vorzustellen.

      „Ich schlief ein, bis ich von traurigem Gesang geweckt wurde. Ohne mich zu bewegen öffnete ich die Augen, und sah, wie eine wunderschöne Dryade dem Wasser entstieg, sich darin betrachtete und wieder und wieder seufzte. Mit sanfter Stimme sprach ich sie an und fragte, warum sie so traurig sei. Sie erschrak, aber sie erkannte mich als arglosen Jünger der Musen und begann zu erzählen von einer Prinzessin, die ihren Geliebten vor langer Zeit heimlich in dem kühlen Weidengrund getroffen hatte.“

      Medeme verfolgte atemlos die Geschichte. Sie hatte eine Hand in den Schoß gelegt, die andere hatte das Kleid über ihren Brüsten geöffnet, wie um sich Luft zu verschaffen.

      Wulfiard streichelte die wohlgeformte Pracht mit Blicken. „Eine große, unschuldige Liebe sei es gewesen, die von den Geistern der Weiden gut geheißen worden sei. Aber eines Tages ermordete ein Räuber den Geliebten hinterrücks. Als sie den ausgeraubten Leichnam fand, wählte die Prinzessin das Jenseits, in dem sie ihren Geliebten wiederzusehen hoffte. Die Bäume haben geweint, als die beiden Liebenden im Tode vereint dalagen, und aus den Tränen entstanden die klaren Wasser unter den Weiden. Die guten Geister des Waldes erlaubten der Prinzessin und ihrem Geliebten, als Dryaden ewig dort zu leben und zu lieben.“

      Medeme war bei dieser Geschichte dahingeschmolzen, eine Hand hatte sie unter dem Kleid auf ihr Herz gelegt. „Wie schön …“

      Wulfiard rutschte im rötlichen Licht, das durch die Wagenplane sickerte, zu ihr hinüber und streichelte ihre bebenden Schultern. „Ich fragte die Dryade, ob ich sie wiedersehen dürfe, aber dass musste sie mir verweigern. Wenn ich ihre Schönheit nicht wieder schauen könne, so sagte ich, müsse ich sterben. Da empfahl mir die Dryade, ich solle nach Barisch gehen, denn dort lebe die tugendhafte Frau eines Händlers, die ebenso schön wie sie sei.“

      Medeme war betroffen, dass eine Dryade, die einst eine Prinzessin gewesen war, ihre Schönheit kannte und rühmte. Sie stöhnte auf, als Wulfiards Hand unter ihr Kleid glitt und die weiche Haut und die festen Brüste zu liebkosen begann, und ließ sich auf dem Teppich in seinen Armen treiben.

      So ist das Leben, dachte Wulfiard. Gerade noch hungrig und allein, jetzt satt und in den Armen eine willige Frau …

      ***

      Als Aguilar ibn Golg zu seinem Stand und dem Ochsenkarren zurückkehrte, verdorrte der Shishar in der Sonne, die vergorene Stutenmilch in den Tonkrügen roch bereits übel, das Eis in der Dose mit den Normolcheiern war nur

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