Morgenrosa. Christian Friedrich Schultze

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Morgenrosa - Christian Friedrich Schultze Trilogie

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Bürger des antifaschistischen deutschen Staates waren mit den existenzielleren Sorgen ihres täglichen Versorgungskleinkrieges und des Kampfes um die Erfüllung des gerade beschlossenen neuen Fünfjahresplans der Staats- und Parteiführung beschäftigt. Dass in China Hu Yaobang neuer Staatsführer wurde und in Amsterdam und in Bonn Hunderttausende gegen den NATO-Doppelbeschluss demonstriert hatten, interessierte sie weniger. Und dass im April Matthias Domaschk, ein Jenaer evangelischer Dissident, festgenommen wurde und kurz darauf unter mysteriösen Umständen im Stasigefängnis verstarb, oder dass der MfS-Hauptmann Werner Teske wegen seiner Vorbereitungen zum Seitenwechsel hingerichtet wurde, erfuhren die DDR-Bürger erst 1990.

      Vorläufig schrieb man das Jahr 1982 – nach christlich berichtigter gregorianischer Zeitrechnung. Nach islamischem Kalender war es das Jahr 1402 und nach jüdischer Zeitenzählung das Jahr 5742. Der Maya-Kalender interessierte zu dieser Zeit in der DDR niemanden, denn größere Ereignisse warfen ihre Schatten voraus.

      Am 13. November 1983 jährte sich der Geburtstag des mitteldeutschen Reformators Martin Luther aus Eisleben zum fünfhundertsten Male. Die DDR-Führung, durchaus geschichtsbewußt und kulturell beflissen, musste diesem Datum von Weltbedeutung Tribut zollen. Man war gezwungen, irgendwie mit Luther umzugehen, obwohl man bislang nur Thomas Müntzer richtig hatte gelten lassen. Aber auch die Parteiführung war deutsch und es war gut, nicht nur Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu den deutschen Revolutionären zählen zu können. Mit Goethe, Schiller, Lessing und Herder war es ja auch irgendwie gegangen.

      Und so beobachtete nicht nur Martin Wauer, der seinen Vornamen vermutlich wegen seines Vaters Vorliebe für den frommen Reformator bekommen hatte, eine merkwürdige Annäherung zwischen der SED und der Evangelischen Kirche Ostdeutschlands im Rahmen der Vorbereitungen des Lutherjahres 1983.

      Zahlreiche Lutherstätten in kirchlichem oder staatlichem Besitz wurden mit erheblichem Kostenaufwand, der für die DDR-Führung nicht einfach aus dem Handgelenk zu schütteln war, restauriert. Mehrere Ausstellungen wurden vorbereitet und ein reger Reiseverkehr zwischen Ost und West setzte wegen der Vorbereitungen für dieses Ereignis ein. Koordination zwischen Staat und Kirche war dringlich, sollte das Ereignis auch ein staatspolitischer Erfolg werden. Bücher wurden gedruckt, Symposien veranstaltet. Sogar das Fernsehen strahlte Sendungen über Luther aus, darunter einen Fünfteiler mit Ulrich Thein in der Hauptrolle, der großen Eindruck auf das gesamtdeutsche Fernsehvolk machte. Was ging in den Köpfen und dem Geiste der Menschen, ausgelöst durch diese Luthermania, wirklich vor?

      Die evangelische Kirche war natürlich bestrebt, die Deutungshoheit über Martin Luthers Leben und Werk zu bewahren. Es war zwar nicht das erste Mal, dass man es nicht nur ihr überließ zu interpretieren, welchen geistigen Strom der Thüringer in Bewegung gebracht hatte und vielleicht wieder bringen konnte. Auch die Nazis hatten Luther heroisiert und ihn wegen seiner antijüdischen Schriften in jener Zeit geradezu usurpiert. Aber hatte wirklich nur die Kirche das Recht zu sagen, wer Luther war oder gewesen sein könnte?

      Luther war Fundamentalist gewesen. Mit den Pervertierungen der Lehren des Augustinus und noch viel mehr der Bergpredigt durch die katholische Kirche konnte sich der Augustinermönch nach seiner Romreise nicht mehr abfinden. Und heute? Sollten er, Wauer, und viele seiner Genossen, weiter die Pervertierung Marx´scher Revolutionsgedanken durch Lenin und vor allem durch Stalin hinnehmen? War es Luther mit seinen Gedanken von der Freiheit eines Christenmenschen oder die Erfindung des Buchdrucks, oder beides, die letztlich die Aufklärung in Europa in Gang gebracht hatten?

      Fest stand: Martin Luther hatte den Deutschen eine einheitliche Schriftsprache geschenkt und schon das allein machte ihn zu einem Giganten der Menschheit, weil es ohne ihn weder Lessings „Nathan der Weise“ noch Schillers „Don Carlos“ oder Goethes „Faust“ gegeben hätte. Wauer staunte, welche geistige Bewegung in die ostdeutsche Gesellschaft durch das bevorstehende Lutherjahr gekommen war. Auch unter den Kollegen und unter den Genossen im Parteilehrjahr nahmen die Diskussionen dazu kein Ende.

      4.

      Eine veritable Unruhe hatte sich in ihm breit gemacht, bevor er wirklich begann, die Tasten des Telefons niederzudrücken. Nachdem er den Brief an Lothar zum Postkasten gebracht, seine Einkäufe getätigt, den Kühlschrank eingeräumt und seine Wohnung aufgeräumt hatte, schenkte er sich von dem aus der Kaufhalle mitgebrachten Wodka mindestens fünfzig Gramm in ein Saftglas ein und mixte daraus durch Zugabe von Vitacola den inzwischen republikweit beliebten Softdrink mit besonderer Wirkung. Er stellte das Telefon auf den Couchtisch und versuchte, eine bequeme Haltung auf seinem kleinen schwarzen Ledersofa zu finden. Er wollte entspannt klingen, wenn er mit ihr sprach. Er hatte nicht einmal vergessen, einen Zettel und einen Kugelschreiber parat zu legen, falls es etwas zum Aufschreiben gab.

      Er ärgerte sich darüber, dass er nicht gelassen bleiben konnte. Was hing denn ab von diesem Kontakt? Würde sein künftiges Leben besser oder schlechter verlaufen, je nachdem, wie das Telefonat ausging? Von dem zweiten Glas, das er mittlerweile zurecht gemacht hatte, trank er nur einen Schluck, denn er wollte keinesfalls, dass sie bemerkte, dass er versucht hatte, sein Gemüt zu beruhigen und seine Zunge mit Alkohol etwas zu lösen. Mein Gott – er war jetzt siebenunddreißig Jahre alt, hatte einige Affären und eine Ehe hinter sich und seinen Vater begraben; er war doch kein Pennäler mehr!...

      Wauer wählte ihre Nummer.

      „Ja bitte!“, meldete sie sich, nachdem vier Einwähltöne verklungen waren, er kurz aufgelegt und dann noch einmal gewählt hatte. Das war von Anfang an ihr Erkennungszeichen gewesen.

      „Ich bin´s, ich bin wieder hier in Berlin.“

      „Ja klar,“ erwiderte sie, „ich hab´s gemerkt und damit gerechnet, dass du dich meldest.“

      „Wie geht es dir? Geht es dir gut?“ Er stotterte leicht und bemerkte, dass er gerade etwas tautologisch gesprochen hatte.

      „Es geht mir gut, den Umständen entsprechend. Was ist mit Dir?“

      „Es geht mir auch gut. Das heißt, im Prinzip. Ich denke, es geht mir gut.“

      „Das heißt also, dass nicht alles OK ist, oder?“

      „Na ja, im Grunde ist alles OK. Können wir uns sehen?“ Und nachdem eine kurze Pause entstanden war, fügte er „bitte“ hinzu.

      “Bist du sicher, dass du mich sehen willst?“, fragte sie zurück.

      „Du hattest angeordnet, dass ich Ruhe geben soll, bis du dich meldest. Du hast dich aber nicht gemeldet!“

      „Ja, reg dich nicht auf. Das war schließlich auch ein Scheißweihnachten voriges Jahr. Es ging mir danach nicht besonders. Aber jetzt geht es mir vielleicht besser. Also gut. Wo wollen wir uns treffen?“

      „Na, am einfachsten ist es ja wohl bei mir. Es gibt da keine Veränderungen seit dem Jahreswechsel. Du musst nur kommen.“

      Sie überlegte einen Moment. Dann sagte sie: „OK, ich komme morgen Abend rüber, da können wir Verschiedenes feiern. Mach bisschen Salat. Ich bringe dir was zu trinken mit. Hauptsache, du hast ein paar Flaschen Bier da, was anderes brauchst du nicht zu kaufen.“

      Er zögerte ebenfalls ein wenig und hoffte, dass sie es nicht gemerkt hatte. Wieso sagte sie, dass sie ihm etwas zu trinken mitbrächte? „OK“, sagte er, „bleibst du da?“

      „Wieso willst du das wissen? Das weiß ich doch heute noch nicht! Hängt doch wohl nicht alleine von mir ab“, antwortete sie spitz.

      5.

      Sie

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