Das Buch von der höchsten Wahrheit. Jan van Ruysbroeck
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Übung um mit Gott ohne Mittel vereint zu werden.
Wie sich nun ein innerlicher Mensch, der neben aller Qual doch Gesundheit genießst, mit Gott ohne Mittel eins fühlen soll, das will ich euch sagen. – Wenn sich ein solcher lebendiger Mensch mit seinem ganzen Sein und mit allen seinen Kräften aufrichtet, und sich an Gott anlehnt mit lebendiger werktätiger Minne, so fühlt er, dass sei¬ne Minne in ihrem Grunde, wo sie beginnt und endet, genießend und ohne Grund ist. Will er nun vorandringen mit seiner wirkenden Minne in die genießende Minne, so müssen alle Kräfte seiner Seele weichen, und müssen die durchdringende Wahrheit und Güte, die Gott selbst ist, tragen und über sich ergehen lassen. So wird die Luft durchdrungen von der Wärme und Helligkeit der Sonne, und so wird das Eisen durchdrungen von dem Feuer, so daß es mit dem Feuer Feuers Werke wirkt, indem es brennt und leuchtet wie das Feuer.
Und so sage ich auch von der Luft; denn wenn die Luft Verstand hätte, so spräche sie: ich erleuchte und belichte die ganze Welt. Ein jedes aber behält seine eigene Natur, denn das Feuer wird nicht zu Eisen, noch das Eisen zu Feuer aber die Einigung geschieht ohne Vermittlung, denn das Eisen ist im Feuer drin und das Feuer im Eisen.
So auch ist die Luft im Lichte der Sonne und das Sonnenlicht in der Luft. So ähnlicherweise ist Gott jederzeit in dem Wesen der Seele, und wenn die obersten Kräfte nach innen kehren mit wirkender Minne, so werden sie mit Gott vereinigt ohne Mittel, in einem einfachen Wissen aller Wahrheit und in einem wesentlichen Fühlen und Schmecken alles Guten. Dies einfache Fühlen und Wissen Gottes wird erreicht durch wesentliche Minne , und wird geübt und erhalten durch thätige Minne; darum fällt es den Kräften zu durch die sterbende Einkehr in die Minne es ist aber der Wesenheit wesentlich zugehörig und verbleibt immer in der Wesenheit.
Deshalb müssen wir immer wieder aufs neue in die Minne einkehren, wenn wir die Minne durch die Minne auffinden wollen. Und das lehrt uns Sankt Johannes, da er sagt: „Wer in der Minne wohnt, der wohnt in Gott, und Gott in ihm.“ Obgleich nun diese Einigung zwischen dem minnenden Geist und Gott eine unmittelbare ist, so ist dennoch ein großer Unterschied, denn die Kreatur wird nicht Gott, noch wird Gott Kreatur, ähnlich wie ich dies vorhin an dem Beispiel vom Eisen und von der Luft erläutert habe. Und wie sich so schon materielle Dinge, die Gott gemacht hat, ohne Mittel vereinigen können, um wieviel mehr kann sich Gott selbst vereinigen mit seinen Geminnten, so er es will, und so diese sich mittels seiner Gnade dazu schicken und bereit machen. Deshalb steht auch (wenn Gott einen solchen innerlichen Menschen mit Tugenden geschmückt, und über diese hinaus in das schauende Leben erhoben hat) bei seiner höchsten Einkehr nichts mehr als Mittleres zwischen ihm und Gott, als nur seine erleuchtete Vernunft und seine tätige Minne. Vermittelst dieser beiden aber hat er einen Zusammenhang mit Gott, und das ist das „Einswerden mit Gott“, wie Sankt Bernhard es nennt.
Aber über der Vernunft und über der tätigen Minne ist er in ein nacktes Schauen erhoben, und ist ohne Tätigkeit in wesentlicher Minne; und da ist er ein Geist und eine Minne mit Gott, wie ich vorhin sagte. In dieser wesentlichen Minne ist er durch die Einheit, die er wesentlich mit Gott hat, unendlich über seinen Verstand erhöht, und das ist ein den schauenden Menschen gemeinsames Leben.
In dieser Erhabenheit ist der Mensch dazu befähigt (falls Gott es ihm zeigen will), in einem Gesichte alle Kreaturen im Himmel und auf der Erde, mit ihrem Unterschieden sein durch Leben und Lohn zu erkennen. - Aber der Unendlichkeit Gottes der muss er weichen und muss ihr wesentlich und ohne Ende nachfolgen; denn diese vermag keine Kreatur zu begreifen noch zu erreichen, selbst die Seele unseres Herrn Jesu Christi nicht, die doch über allen Kreaturen die höchste Vereinigung erlangt hat.
Von inneren Wirkungen der Gnade Gottes.
Seht diese ewige Minne, die in Gott lebt, und mit welcher dieser unmittelbar vereinigt ist, teilt ihr Licht und ihre Gnade allen Kräften der Seele mit, und wird dadurch zur Ursache aller Tugend. Denn die Gnade Gottes berührt die obersten Kräfte, und daraus entspringt die Liebe und die Erkenntnis der Wahrheit, Liebe zu aller Gerechtigkeit, Übung gemäß dem Rate Gottes in Bescheidenheit, bildlose Freiheit, die Überwindung aller Dinge ohne Anstrengung, und das Entgeisten in der Einheit vermittelst der Minne. So lange der Mensch in dieser Übung verbleibt, ist er fähig zu schauen und die Einigung unmittelbar zu fühlen; er fühlt die Berührung Gottes in sich, die eine Erneuerung der Gnade lind all seiner Tugenden ist. Ihr müßt nämlich wissen, daß die Gnade Gottes auch bis in die niederen Kräfte eindringt und des Menschen Herz berührt; daraus entsteht denn eine herzliche Liebe und fühlbare Freude an Gott; Liebe und Lust dringt durch Herz und Sinn, durch Fleisch und Blut und die ganze leibliche Natur, und verursacht einen Druck und eine Ungeduld am Leibe, dass der Mensch sich oft nicht zu helfen weiß; ihm wird zu Mute wie einem Trunkenen, der nicht mehr Herr über sich ist. Daher kommt denn mancher seltsame Zustand, in welchem Menschen von weichem Herzen sich nicht wohl beherrschen können.
Manchmal erheben sie ihr Haupt und schauen mit offenen Augen in den Himmel vor ungeduldigem Verlangen; jetzt lustig, jetzt Tränen, jetzt singen und schreien, bald wohl, bald wehe, oft beides zusammen; springen, laufen, in die Hände klatschen, knien, sich verbeugen; und viele derartige Erscheinungen stellen sich da ein. So lange der Mensch dabei bleibt, und sich mit offenem Herzen aufrichtet zu dem Reichtum Gottes, der in seinem Geiste lebt, dann fühlt er neuen Antrieb von Gott und neue Ungeduld der Liebe, und dann wiederholen sich alle diese Dinge.
Darum muss der Mensch vermittelst dieser sinnlichen Gefühle bisweilen durchgehen in ein geistiges Gefühl, das vernunftgemäß ist, und vermittelst dieses geistigen Gefühles weitergehen in ein göttliches Gefühl, das über der Vernunft steht, - und dann weiter vermittelst dieses göttlichen Gefühles sich selbst entsinken in ein unbe¬wegliches, seliges Fühlen. Dieses Fühlen ist unsere überwesentliche Seligkeit im Genießen Gottes und all seiner Geminnten; und diese Seligkeit ist die dunkle Stille, die allzeit leer steht; sie ist Gott wesentlich und der Kreatur überwesentlich. Und da kann man wahrnehmen, dass die Personen weichen, und verwehen in der wesentlichen Minne, d. i. in der genießenden Einheit, und dennoch immer bestehen bleiben nach persönlicher Art, in den Werken der Freiheit.
Vom Wohlgefallen der göttlichen Personen, und vom Wohlgefallen zwischen Gott und den guten Menschen.
Und so könnt ihr ersehen, dass die göttliche Natur ewig wirkt nach persönlicher Weise, und dass sie ewig tatlos besteht und weise los nach der Einheitlichkeit ihres Wesens. Wen darum Gott mit ewiger persönlicher Minne erwählt und ergriffen hat, den hat er wesentlich schon genießend besessen mit wesentlicher Minne der Einheit. Denn die göttlichen Personen umfangen sich gegenseitig in ewigem Wohlgefallen, in unergründlicher tätiger Minne in der Einheit. Und das erneuert sich fortwährend im lebendigen Leben der Dreifaltigkeit, denn da findet ein fortwährendes Neugebären in neuem Erkennen statt, neues Wohlgefallen und neu es Aushauchen in neuer Umarmung, mit neuer Flut von ewiger Minne.
In diesem Wohlgefallen sind alle auserkorenen Engel und Menschen eingeschlossen, vom ersten bis zum letzten.· Ohne dieses Wohlgefallen hätten Himmel und Erde, Leben, Wesen, Werk und Erhaltung aller Kreaturen nur allein den Hang zur Abkehr von Gott in der Sünde:
Das kommt von der eigenwilligen blinden Bosheit der Kreatur. Aus dem Behagen Gottes strömt Gnade und Glorie und alle Gaben auf den Himmel und auf die Erde und auf jedes Geschöpf besonders, gemäß seinem Bedürfnis und seiner Empfänglichkeit; denn Gottes Gnade ist für alle Menschen bereit und erwartet die Umkehr eines jeden Sünders; und wenn dieser, infolge des Antriebes der Gnade,