Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich
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«Jesus, ist das ein Wetter, Gottlieb!» sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing. «Komm nur herein, daß Du ‘was Trockenes auf den Leib bekommst. Wo hast Du denn den Jungen? – Ist er nicht bei Dir?» setzte sie, fast ängstlich, hinzu.
«Er ist draußen bei Lehmanns hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht», sagte der Mann, «wird wohl gleich kommen – wie geht’s, Frau? – Wie geht’s, Mutter? – Ha, das regnet einmal heute, was vom Himmel herunter will, was nur daraus werden soll, wenn das Wetter so fortbleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß – Guß auf Guß, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespült – wenn diesmal das Korn mißrät, weiß ich nicht, wo der arme Mann das Brot hernehmen soll.»
«Klag’ nicht, Gottlieb», sagte aber die Frau freundlich, «es geht noch vielen schlechter wie uns, und was sollen da die g a n z armen Leute sagen? Lieber Gott, es ist viel Not in der Welt, und wer heutzutage eben sein Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versündigen.»
Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte, der alten fröstelnden Mutter wegen, und groß den darin heiß gehaltenen Kaffee – sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens so – in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne. Zugleich deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brot stellte, um die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen.
Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt sich ein großes Stück Brot ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.
Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet, es war irgendetwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein möchte, hatte doch auch seine ,verdrießlichen Stunden’, und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn – der Hans – war nicht mit nach Hause gekommen, konnte dem – heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie ins Herz – und sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.
«Gottlieb – um aller Heiligen willen, wo ist der Hans? – Es ist – es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehen?»
«Der Hans?» sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf. «Was fällt Dir denn ein? Was soll denn dem Hans zugestoßen sein? Ich habe Dir ja gesagt, daß er bei Lehmanns etwas abzugeben hat und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.»
«Ich weiß nicht», sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Zentnerlast von der Seele gewälzt wurde, «aber Du bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlug’s mir wie ein Schreck in die Glieder über den Hans. Ist etwas vorgefallen, Gottlieb?»
Gottlieb schüttelte langsam den Kopf und sagte:
«Nicht daß ich wüßte – nichts Besonderes wenigstens, oder nichts anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt – Geld zahlen!»
«War es denn so viel?» sagte die Frau leise und schüchtern.
Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich erwiderte er seufzend:
«Das Schwein ist drauf gegangen, und vier Taler siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Prozessgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar nichts mehr zu tun hatte, stehen geblieben. Ich muß sie bis zum 1. Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfändung.»
«Nun, lieber Gott», sagte die Frau tröstend, «wenn das das Schlimmste ist, läßt sich’s noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten und leben doch; warum sollen wir nicht ebenso gut ohne eins leben können als die.»
«Ja,» sagte der Mann, leise und still vor sich hinbrütend, «verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während woanders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitztum vergrößern und für ihre Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Müh’ und Plack das ganze Jahr lang.»
«Aber kannst Du’s ändern?» sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und, mit der Faust die Stirn stützend, vor sich niederstarrte, schüchtern fort : «Arbeitest Du nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? Gönnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgendeine nötige Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?»
«Nein», sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah, «nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir k ö n n e n nicht m e h r arbeiten, nicht m e h r verdienen, wie wir jetzt tun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen, wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen können wie jetzt? – Schon jetzt können wir uns nicht mehr in der teuren Zeit oben halten – das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort müssen, unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse aber sind gewachsen – wie soll das enden?»
«Aber Gottlieb», sagte die Frau freundlich, «wie kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? Haben Dir die paar Taler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig und hast immer vertrauensvoll in die Zukunft gesehen. Wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch den Sinn gefahren?»
Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die beiden miteinander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen und dem Gespräch aufmerksam zugehört, dabei schüttelte sie fortwährend mit dem Kopf und sagte endlich mir ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:
«Jawohl, jawohl – das Geld wird rar und das Brot teuer, und mehr Mäuler kommen – mehr Mäuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich tot, schlagt mich tot, daß ich wegkomme aus dem Weg und Euch Platz mache – schlagt mich tot.»
«Mutter», bat die Frau in Todesangst, daß sie dem Manne mit solcher Rede wehe tun würde, denn e r gerade hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt und alles getan, was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen, «wie dürft Ihr nur so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?»
«Wir haben noch genug für uns alle, Mutter», sagte aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe tun mochte, «nur für spätere Zeit ist mir bange; Sie aber wären die Letzte, die darunter leiden sollte. Wir werden alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit in unserer Jugend getan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren, für ihre Eltern zu sorgen – wenn sie nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.»
Die Alte war wieder still geworden, sah noch