Die Kinder vom Hühnerberg. Eberhard Schiel

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Die Kinder vom Hühnerberg - Eberhard Schiel

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Gelände. Unterwegs erschallt der kräftige Ruf: “Milllich. Frische Milllich!” Eine Angebotstour durch die Fährhofstraße. Das war so schön. Das vergisst man nie.

      Da fällt mir gerade ein: Irgendwann wurde eine Viehzählung angeordnet. Die Landwirte und Ackerbürger der Umgebung wurden beauftragt, ihre Nutztiere beim Viehhändler Jantzen registrieren zu lassen. War das ein Schauspiel! Nie wieder habe ich so viele Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe in einer endlosen Schlange gesehen. Die Wagen standen dicht gedrängt bis zum Ende der Fährhofstraße, Ecke Frankendamm. Alle Tiere warteten geduldig, wie die Menschen beim Bäcker. Ich konnte sie in aller Beschaulichkeit betrachten. Eine Bio-Stunde als Freilicht-Veranstaltung. Das ist nicht jedem Städter gegeben. Sehr gut. Über den tieferen Sinn der Aktion machte ich mir keine Gedanken. Jedenfalls dauerte es den lieben langen Tag, bis alle Viecher erfasst wurden. Dann verstummte das Gequieke, Gewieher und Gemuhe. Es zog wieder Ruhe auf dem Hühnerberg ein. Ruhe und Frieden für uns, nicht für den Viehhändler Jantzen. Das hing nun wiederum mit einer bestimmten Rose zusammen, von der man sagte, sie sei eine hauseigene Züchtung der DDR, die nur aus lauter Dornen bestünde. Sie tue weh. Jantzen hatte so viel Angst sich an ihr zu verletzen, dass er es vorzog, bei Nacht und Nebel in den Westen zu flüchten. Sein Vieh ließ er zurück. Und ich blieb mit meinen weißen Mäusen allein.

      Ach, das wisst ihr ja noch gar nicht. Ja, ich startete noch einen Versuch Kleintierzüchter zu werden. Die Anregung dazu kam offenbar von einem Mäusezirkus. Wir werden ihn uns am Frankenwall angesehen haben, wo stets im Juni der große Johannismarkt die Kinder in ihren Bann zog. Was gab es dort nicht alles zu bestaunen! Von der Ecke der Wasserstrasse über die ganze Länge des Frankenwalls bis hin zum Amtsgebäude der Deutschen Reichsbahn, wo meine Schwester residierte. Ich sehe opulente Bilder vor mir: die Riesenschaukel, auf der die Röcke der Mädchen lustig in den Himmel wehten; die verrückten Spiegel, vor denen man mal ganz klein, dann wieder unheimlich dick aussah. Da war noch der Zauberkünstler Don Rößler aus Hamburg mit der schwebenden Jungfrau und dem stärksten Mann der Welt. Seine Zauberbude stand auf dem Neuen Markt. Dort sah ich ihn, wie er auf dem Laufsteg kleine Kunststücke zeigte, die mich beeindruckten, meinen Bruder aber veranlassten in die Vorstellung zu gehen, um hinter die physikalischen Gesetze zu gelangen, die da wirkten und ausgenutzt wurden. Wölfi kam nach eingehender Beobachtung nach Hause und sagte:” Den Rößler habe ich aber blamiert. Der arbeitet ja mit ganz billigen Tricks, damit kann er in Hamburg bleiben, ich soll aber nichts verraten. Hier hast du einige Freikarten für seine Künste!” Ich beobachtete Don Rößler, diesen alten, geschminkten Veteranen der Magie, darauf hin auch, und fand ihn nicht schlecht, doch viel lieber ging ich noch in die Liliputaner-Schau. An der Weinberg-Bastion wartete das Panoptikum mit Bildern vom Untergang der “Titanic” auf die Besucher. Gleich daneben kreischten die größeren Kinder während der Fahrt mit der Gespenster-Bahn, ein starker Kerl haute auf den „Lukas“, ein Losverkäufer, stets mit dicker Zigarre im Mundwinkel, umkreiste seine Kunden, in Zipollenhagen dudelte ein Orgel-Spieler alte Seemannsweisen, und ein einziges Mal duhrfte ich mit Muttis Erlaubnis auf einem Pony reiten. Am Sichersten fühlte ich mich aber in der “Krinoline”, in der ich stets auf der Feuerwehr saß. Später, so etwa mit 14 oder 15 Jahren, sind wir auf den Rummel gegangen, um Westmusik zu hören, Ralf Bendix, Fats Domino und Bill Haley, aber als Kind hat mir die “Krinoline” am besten gefallen. Sie war schön bunt. Ohne Motorgeräusch. Noch von Hand betrieben. Falls mir inzwischen nicht schon das Kleingeld ausgegangen war, kaufte ich noch ein Los bei “Karo-Ass”. Hauptgewinn ein Fahrrad, zweiter Preis ein Riesen-Teddybär. Kam meine Mutter mit, gab es zum Schluss ein Eis bei “Leckermäulchen”. Einmal besuchten wir gemeinsam den Mäusezirkus, zu dem Mutti mich aus gutem Grund mitnahm. Ich sollte beobachten, wie artig sich die Mäuse verhielten. Sie wären so gut erzogen, würden auf Zuruf gehorchen. “Vielleicht wünscht du dir welche zum Geburtstag”, fragte die Mutti scheinheilig. Zu meinem Ehrentag turnten tatsächlich weiße Mäuse in einem Käfig herum. Drollig waren die kleinen Sportfreunde schon, aber der Geruch. Sie rochen nach Toilette, nach Urin, recht unangenehm. Man benötigte dringend Holzwolle. Peter kannte den Tischler Marx, der bei Müller Mahnkes Mühle seine Werkstatt hatte. Von dort bezog ich den Fußboden-Belag für meine Mäuse. Es dauerte nicht lange und ich verlor die Lust an meinen anrüchigen Vorbildern. Viel ließ sich ohnehin nicht mit ihnen anfangen. Meine Freunde machten aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl. Sie brachten eben nicht das, was die Zirkusmäuse alles konnten. War ja auch nicht weiter schlimm. Ich schaffte sie einfach ab.

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