Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich страница 10
„Lassen Sie es gut sein, Herr Brenner," sagte das Kind, „es ist jetzt überstanden und die Leute haben ihr Schlimmstes gethan. - Ich gehe nun in die weite Welt, und Gott wird mich schützen."
„Bah," sagte der Alte verächtlich, „wer sich hier nicht selber schützt, kommt unter den Schlitten, so viel ist sicher. - Und Du willst jetzt fort, Falleri?"
„Ja, es wird schon spät," nickte das junge Mädchen, „und ich weiß sonst nicht wohin, wenn mich die Leute nicht mehr aufnehmen. Leben Sie wohl, Herr Brenner; ich komme gewiß wieder einmal nach Osterhagen, um meine selige Mutter - und Sie zu besuchen."
Damit reichte sie ihm die Hand und wanderte durch das Dorf wieder zurück den Weg nach der Stadt zu, in die stille Nacht hinein - aber sie kam doch zu spät. Als sie etwa um neun Uhr die ziemlich ferne Stadt erreichte und das Haus ihrer neuen Herrschaft betrat, weigerte sich diese, sie aufzunehmen, denn des Schulzen Frau hatte in derselben Viertelstunde, in der Valerie ihr Haus verlassen, einen Knecht mit einem Pferd nach der Stadt gesandt, der den Leuten erzählen mußte, weshalb sie ihr früheres Mädchen noch in dunkler Nacht „aus dem Dienst gejagt", und sie erklärten, daß sie keine Diebin in ihrer Familie haben möchten.
Valerie erwiderte kein Wort - still und schweigend kehrte sie sich ab, ging wieder vor die Stadt, suchte sich einen Platz hinter einer Hecke, rückte sich ihr Bündel unter den Kopf, kauerte sich in der frischen Nacht so viel als möglich zusammen, und war bald auf ihrem harten Lager sanft eingeschlafen. -
Aber sie schlief nicht lange. Eine Stunde mochte etwa vergangen sein, da rasselten schwere Wagen auf der dicht vorüberführenden Chaussee vorbei, und erstaunt richtete sie /38/ sich auf, denn sie hörte eine Menge von Menschenstimmen. Wie sie sich aber umsah, erkannte sie auch am Himmel einen hellen Feuerschein, der etwa in der Richtung nach Osterhagen am Horizont lag. War dort Feuer ausgebrochen? Lieber Gott, die armen Menschen! aber sie konnte ihnen doch nicht helfen - sie war selber hülflos genug, und auf ihr Kopfkissen zurücksinkend, schlief sie bald wieder sanft und süß.
3.
Feuer! Feuer!
Valerie hatte das Gemeinde-Haus etwa eine halbe Stunde verlassen, als die alte Frau Kunzen zu dem kranken Bänkelsänger hineintrat, um das Geschirr wieder abzuholen. Dieser lag auf seiner Matratze und stöhnte erbärmlich, und als ihn die Frau frug, wo's ihm fehle, sagte er: „Ueberall, überall, Kunzen, in allen Gliedern reißt's und zwickt's mich, und ich bin so matt, daß ich kaum den Löffel zum Mund bringen kann. Wenn ich nur erst einschlafe, nachher wird's vielleicht besser - stört mich nur jetzt nicht wieder, daß ich zur Ruhe komme."
„Nun, ich störe Euch gewiß nicht," brummte die Alte, ,,ich will selber froh sein, wenn ich Frieden habe,“ und die Thüre hinter sich zuwerfend und ohne es für nöthig zu halten, „gute Nacht" zu sagen, verließ sie die Kammer, stellte das schmutzige Geschirr in die Küche und ging dann ohne Weiteres selbst zu Bett.
Im Dorfe lag die Nacht auf den stillen Straßen; das Wetter war noch ziemlich warm, und vor einigen Thüren fanden noch plaudernde Gruppen; als aber die Sichel hinter die nächsten Hügel sank, traten jene auch in die erleuchteten Stuben. Der alte taube Nachtwächter schlich nur mürrisch den Hauptweg von Osterhagen hinab, tutete und rief seine /39/ Stunde, und drückte sich dann auf eine Holzbank, die unter der Linde vor dem Wirthshaus stand, um von da aus, wie er meinte, das Dorf im Auge zu behalten. Er hatte aber weit mehr Schlaf in den Augen als das Dorf, und wußte nicht einmal recht genau, wie lange er dort gesessen haben mochte, als ihm plötzlich eine Stimme in die Ohren schrie: „Feuer!" daß er erschreckt von seiner Bank emporfuhr.
„Herr Jeses, wo denn?" frug er unwillkürlich.
„Seht Ihr's denn nicht, Ihr alte Schlafmütze!" schrie der junge Bursche wieder, der es zuerst entdeckt und den Platz genau kannte, wo er den Nachtwächter antreffen würde; - „jetzt macht Lärm, ehe es zu spät wird," und selber die Straße hinablaufend, stieß er den gellenden Schreckensruf in die stille Nacht hinein: „Feuer! Feuer!"
Da wurde es lebendig: aus allen Häusern stürzten Menschen vor - noch auf der Straße zogen sie sich mit den rasch aufgegriffenen Kleidern an, und nach der Schreckensstätte eilten sie, um den Brand wo möglich noch im Entstehen zu ersticken - aber dazu war er schon zu weit vorgerückt. Es brannte in des Schulzen Scheune, das dort aufgeschichtete Stroh hatte die Gluth erfaßt, und ehe nicht Spritzen herbeikamen, war an Löschen nicht zu denken.
Die alte Dorfspritze wurde natürlich augenblicklich aus ihrem Schuppen herausgezogen und rasselte, von der Löschmannschaft gefolgt, der Brandstelle zu. Aber lieber Gott, es war seit undenklichen Zeiten kein Feuer in Osterhagen ausgebrochen, und die Bevölkerung des Ortes dadurch so sicher geworden, daß sich Niemand um die Spritze und was dazu gehörte gekümmert hatte. Jetzt fehlte es dafür an allen Ecken und Enden, und ehe sich die Bauern, die völlig den Kopf verloren, mit ihren Eimern zu einer Kette bis zum nächsten Wasser gestellt hatten, loderten die Flammen schon so hoch empor, um jedes Versuches zu spotten, von dieser Spritze bewältigt zu werden.
Und Niemand war außerdem da, der das Ganze geleitet hätte, denn der Schulze, als Oberhaupt, kümmerte sich gar nicht um die Löschanstalten und suchte nur von seinem Eigenthum zu retten, was zu retten war, während seine Frau, mit /40/ aufgelösten Haaren und ganz außer sich, im Haus herumstürzte und nur immer schrie:
„Das hat das nichtsnutzige Geschöpf, das hat die Falleri gethan, das hat die Falleri gethan!" -- und selbst bei der Arbeit draußen pflanzte sich der Schrei fort.
Nun waren allerdings Einige unter den Leuten, die, so lange nur noch des Schulzen Haus brannte, meinten: „Ursache genug hätte sie dazu gehabt" - wie aber die Flamme immer höher wuchs, die nächsten Häuser faßte und das ganze Dorf bedrohte, da brachen sich laute Verwünschungen über die junge Brandstifterin Bahn, und ein Glück für sie, daß man ihrer in dem Augenblick nicht an Ort und Stelle habhaft werden konnte: das vor Angst halb wahnsinnige Bauernvolk hätte sie zerrissen.
Jetzt endlich rasselte auch vom nächsten Dorf eine Hülfsspritze herbei - ein Haus hatten die Leute, weil es das Feuer am leichtesten fortpflanzen konnte, niedergerissen; der Wind erhob sich dabei etwas und trieb die Gluth auf die erste Brandstätte zurück, und als nun auch zuletzt die Stadtspritzen mit ihrer gut organisirten Rettungsmannschaft auf dem Platz erschienen, gelang es, etwas nach Mitternacht, des Feuers so weit Herr zu werden, daß man wenigstens dessen weitere Verbreitung verhindern konnte.
Als der erste Feuerlärm laut wurde, war die Frau Kunze in Todesangst zu dem alten Brenner in's Zimmer gelaufen; der aber fluchte, daß sie ihn geweckt hätte. Was könne er dabei thun? er wäre doch nicht im Stande, selbst nur aufzustehen, viel weniger an einer Spritze zu arbeiten; sie solle ihn zufrieden lassen und nur wiederkommen, wenn ihre eigene Bude anfinge zu brennen.
Als der Morgen graute, war des Schulzen Haus und Hof mit noch fünf Nachbarhäusern und sieben Scheunen eine wüste, rauchende Brandstätte, auch manches Stück Vieh dabei umgekommen, das störrisch den Stall nicht hatte verlassen wollen. Ja selbst zwei Menschen wurden vermißt, zwei junge Burschen aus dem Ort, die wahrscheinlich durch stürzendes Gebälk erschlagen wurden, und deren schauerlich verbrannte Ueberreste man später unter den Trümmern fand. /41/ Die Aufregung in Osterhagen war aber furchtbar, und kaum wußte man sich des Brandes Herr und die Gefahr beseitigt, als auch schon reitende Boten, was ihre Pferde laufen konnten, nach der Stadt mußten, um dort die Verhaftung der vermutheten Brandstifterin zu bewirken.
In dem von der Schulzin bezeichneten Hause fand man sie, wie nur die erste Anzeige bei der Polizei gemacht war, allerdings nicht, und die Leute dankten Gott, daß sie das Mädchen