Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich

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Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich

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„und wie soll ich's Euch je wieder zahlen?"

      „Papperlapapp, das ist meine Sorge,“ lachte der Alte, „der Schulze hätt's freilich gern gewußt, aber dem werd' ich's bei Gott nicht auf die Nase binden. Wenn ich‘s nur schaffe, Kind, wo's nachher herkommt, ist ganz gleichgültig; Du aber kriegst Deine Montirung und damit basta!" - und damit warf er den Buchenknüppel in die Ecke nach dem Ofen und schlenderte in seine eigene Stube hinüber.

      Zwei Stunden nachher verließ er das Dorf und wanderte in der Richtung nach der Stadt zu, kam auch die Nacht nicht zurück und selbst bis zum nächsten Mittag nicht. Erst gegen Abend hörte Valerie seine heisere Stimme, wie er draußen, an dem Haus vorbei, eins seiner alten Lieder sang, und sprang in die Thür. Aber er kam nicht herein, nur triumphirend hob er einen kleinen schmutzigen Lederbeutel in die Höhe und schwenkte dabei seinen Knotenstock um den Kopf. Er hatte jedenfalls das Geld, ging auch damit stracks auf des Schulzen Wohnung zu. Dort aber blieb er nicht lange, sondern kam jetzt, in bester Laune von der Welt, zum Gemeindehaus zurück, wo er vor allen Dingen der „Falleri" auftrug, einen Kessel mit Wasser auf's Feuer zu setzen, denn sie wollten heute hoch leben. Dabei holte er eine Flasche mit Branntwein und ein Packet mit Zucker aus der Tasche, was er aber vorsichtig hinter den Ofen versteckte und ein paar Stücken Holz davor stellte, und brachte sogar dann ein Stück Kuchen zum Vorschein, das er, wie er sagte, für die „Falleri" eingekauft, damit sie auch einmal wieder erführe, wie Kuchen schmecke.

      Der Mann war aber schon wieder etwas angetrunken, wie er das Haus betrat, und als er den Grog erst fertig hatte, zu dem die Frauen und Valerie natürlich eingeladen wurden, verbesserte sich sein Zustand nicht. Er wurde immer lauter, fing an zu singen und fiel endlich von seinem Stuhl herunter, wo er regungslos auf der Erde liegen blieb und einschlief.

      Valerie hätte ihn gern auf sein Bett geschafft, aber die beiden Frauen wollten nicht mit angreifen, weil er, wie sie meinten, /26/ zu schwer sei. Er könne überdies auch gleich da seinen Rausch ausschlafen, denn ob er auf den Steinen oder in einem Bett läge, sei ihm doch einerlei.

      Das kleine Mädchen holte ihm endlich sein Kopfkissen herüber und seine wollene Decke, die sie ihm, so gut es eben gehen wollte, unterschob, und ihn mit dem andern Ende zudeckte. Weiter konnte sie für ihn nichts thun und mußte ihn da die Nacht verbringen lassen.

      Es war ein alter, roher, widerlicher Mensch, aber der Einzige auf der weiten Gotteswelt, der ihr, seit sie ihre liebe Mutter verloren, Gutes gethan hatte, und wie dankbar fühlte sie sich ihm dafür!

      Wie der alte Bänkelsänger am nächsten Morgen aufwachte, sah er sich erst etwas erstaunt um, denn er schien nicht gleich zu wissen, wo er sich befand. Valerie stand am Herd und kochte ihre Morgensuppe. Er sah sie an und seine Decke und sein Kopfkissen, und sagte endlich:

      „Falleri - hast Du mir das hierher geschleppt?"

      „Ihr lagt da so schlecht und hart gestern Abend," sagte das Kind.

      Der Alte erwiderte nichts; er stand auf, raffte sein Bettzeug zusammen und wandte sich, um die Küche zu verlassen. Ehe er aber ging, sagte er, viel freundlicher als er noch je gesprochen:

      „Du bist ein gutes Kind, Falleri; ich dank' Dir auch vielmals," und damit schritt er in seine Stube hinüber. -

      Die Tage vor der Konfirmation Valeriens gingen jetzt rasch vorüber; sie bekam auch zur rechten Zeit ihren Anzug, den ihr des Schulzen Frau von dem Gelde des Bänkelsängers geschafft hatte, und sie bestand ihre Prüfung gerade nicht besser, aber auch nicht schlechter als die übrigen Kinder. Sie wußte alle die aufgegebenen Sprüche auswendig und antwortete auf die an sie gerichteten Fragen in der richtigen, vorgeschriebenen Form, ohne sich - wie die meisten übrigen Kinder auch - etwas Besonderes dabei zu denken. Die schöne Lehre des Christenthums war ja in so viele unverständliche oder schwülstige Phrasen eingehüllt, daß ein klarerer Kopf dazu gehörte, als ihn ein vierzehnjähriges Kind besaß, um den edlen Kern aus der wulstigen Schale heraus zu finden. Sie gab sich dazu auch keine Mühe und war nur froh, als sie das Ganze überstanden hatte.

      Daß sie dabei als Letzte der Konfirmandinnen stand und, als es vorbei war, auch von Niemandem - wie doch alle die übrigen Kinder - eingeladen wurde, verstand sich von selbst und that ihr nicht besonders weh. Sie war ja die Gemeinde-Waise und daran gewöhnt, zurückgesetzt zu werden. Eins nur gab ihr einen Stich in ihr junges Herz, und auch weniger der Worte und Bedeutung als der Art wegen, mit der es zu ihr gesagt wurde. Gerade nämlich, als sie aus der Kirche trat, wo die übrigen Kinder von ihren auf sie stolzen Eltern empfangen wurden, trat der Schulze auf sie zu und sagte, einen Glückwunsch weiter nicht für nöthig haltend:

      „Na, Falleri, heute hast Du noch frei, morgen früh aber nimmst Du Deine Sachen und ziehst zu Baumstetters hinüber, die Dich vorläufig in Dienst nehmen wollen. Bist Du erst einmal ein Vierteljahr dort, dann kannst Du Deinen Miethcontract mit ihnen selber machen, denn Du wirst jetzt alt genug dazu," und ehe die Konfirmandin ihm etwas darauf erwidern konnte, drehte er sich ab, um seine eigene Tochter aufzusuchen und zu begrüßen.

      4.

      Im Dienst.

      Am nächsten Morgen zog Valerie an, wie man es dort in der Gegend nannte, d. h. sie nahm ihr dürftiges Bündel unter den Arm und meldete sich bei ihrer neuen Dienstherrschaft.

      Vorher verabschiedete sie sich von den Bewohnern des Gemeindehauses, mit denen sie so lange Leid und Armuth getheilt, und viel Freundlichkeit ließ sie da nicht zurück. Die /28/ neu hinzugekommene Frau mit den beiden Kindern, obgleich sie die Kleinen oft und oft gepflegt, hatte sich nie um sie bekümmert, und eigentlich nur mit ihr gesprochen, wenn sie etwas von ihr verlangte; sie reichte ihr auch jetzt nur die Hand und sagte gleichgültig „Adjes". Die Alte aber kauerte in ihrer Ecke und schien viel mehr beleidigt als betrübt über den Abschied des jungen Mädchens, das sie halb und halb sogar der Undankbarkeit beschuldigte.

      „Na ja," knurrte sie, „jetzt hat man sich die Jahre über mit der Krabbe gequält und sie ein bischen vorwärts gebracht, und nun sie Einem 'was nützen könnte und größer und stärker geworden ist, läuft sie Einem davon - aber wo findet man jetzt noch Dankbarkeit!"

      „Aber Frau Kunzen," sagte Valerie betrübt, „kann ich denn etwas dazu? ist es mein freier Wille? Der Schulze hat mich ja vermiethet, und ich darf gar nicht mehr in dem Haus bleiben - wenn ich selbst wollte."

      „So mach', daß Du fortkommst," brummte die alte Schullehrers-Wittwe, „wir können auch ohne Dich fertig werden."

      Das war der Abschied, den sie von der Frau erhielt, für die sie Jahre lang gearbeitet hatte und der sie gefällig gewesen war, wo sie ihr etwas an den Augen absehen konnte.

      Traurig schlich sich Valerie nach der Kammer des alten Bänkelsängers; sie fürchtete fast, daß er sie ebenfalls ohne ein freundliches Wort entlassen würde. Darin hatte sie sich aber gewaltig geirrt. Der alte Bursche war roh und wüst genug, aber doch nicht ohne Gemüth, und sonderbarer Weise hatte er einmal zu dem Kind eine besondere Vorliebe gefaßt, die vielleicht auch nur darin wurzelte, daß sie das einzige lebende Wesen war, das er protegiren konnte.

      Der Alte war mit einer wunderlichen Arbeit beschäftigt. Er hatte sich ein Stück weißes Wachstuch mit aus der Stadt gebracht sowie ein paar Pinsel und ordinäre Farben, saß jetzt vor dem aufgehangenen und in Felder abgetheilten Tuch und malte eine seiner alten Mordgeschichten aus. Die rothe Farbe spielte dabei eine große Rolle - die Männer trugen sämmtlich rothe Hosen und die Frauen rothe Tücher und blaue Kleider, und Blut floß schon auf der dritten Ab¬/29/theilung, auf der eine ganze Familie abgeschlachtet wurde, in Strömen.

      Valerie öffnete schüchtern die Thür, der alte Bänkelsänger sah sie aber kaum, als er auf die Füße

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