Bachmanns Boot. Helmut H. Schulz

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Bachmanns Boot - Helmut H. Schulz

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      Helmut H. Schulz

      Bachmanns Boot

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       Impressum neobooks

      1

      Die zwei raschen beinahe tödlichen Schläge hatten Bachmanns Willen gelähmt, nicht aber seine Einbildungskraft; die beiden Infarkte änderten nichts am Zustand seines Gehirns oder wo sonst jene Kraft saß, die ihm Bilder eines Ichs bei voller physischer Gesundheit vorgaukelte. Von den sieben Glückseligkeiten war ihm die letzte und beständigste, die Arbeit, für lange Zeit oder für dauernd versagt.

      Er war fertig, es gab nichts mehr für ihn, das der Mühe wert gewesen. Seine fünfundfünfzig Jahre lagen weit hinter ihm, wie die Schatten eines anderen Lebens.

      Ihn irritierte auch das Verhalten seiner Frau. Ihre Blicke verrieten ihm, was sie von ihm hielt.

      Er hatte nichts gegen seine F:rau. In den Jahren des Zusammenlebens waren sie dahingekommen, sich immer besser zu vertragen. Alles war so gut gelaufen, wie es überhaupt nur laufen konnte, Liebe zu Anfang, Ehe, dann Leere, Verdruss, Missverständnisse, bis beide nun endlich begriffen hatten, dass ihnen nichts übrig blieb als so weiter zu machen. Jedenfalls konnte Bachmann in letzter Zeit sich an keinen tiefergehenden Streit erinnern. Umso mehr traf ihn die Strenge, mit der sie ihn an die ärztlichen Verordnungen hielt; seine Frau erschien ihm boshaft und rachsüchtig. Auf Schritt und Tritt verfolgte sie ihn unter dem Vorwand, er vernachlässige absichtlich die ärztlichen Vorschriften.

      Nachts lag er wach und dachte über sich nach. Kalt prüfte er, ob es sich noch lohnte weiterzumachen. Ihm war bewusst, dass er sich nur fallenzulassen brauchte, um dem Tod ein paar Schritte entgegenzugehen. Die Frage also, ob der Kampf noch lohnte, musste er zu lösen suchen. Das Wort Kampf traf es. Manchmal peinigten ihn minutenlang Herzanfälle. Alle Kraft musste er aufbieten, um den Griff an Kehle und Brust zu lockern, Atmung, Körperhaltung und Willen musste er wie ein Stratege seine Waffen gegen den Tod gebrauchen. Es ging nicht um diesen Kampf. Den würde er noch lange bestehen können; es ging um die Gründe zum Leben. Zu dieser Erkenntnis hatte ihn seine Erkrankung immerhin geführt. In einer solchen Nähe zum Tod lebte er seit Monaten. Den letzten Schlag stündlich erwarten zu müssen, das Ganze noch verbleibende Leben darauf einzurichten, das schien ihm sinnlos und lächerlich.

      Er hielt sich für klug und auch für zäh, dennoch kam er zu keiner Antwort auf die Frage, ob es sich für ihn noch lohnte weiterzuleben, in seinem großen Haus mit Garten, abgeschirmt und behütet. Er musste einfach die Probe machen. Aber wie?

      Eines Nachmittags suchte ihn ein Traum heim, ein Gesicht. Er sah ein Schiff auf einem stillen Wasser. Geräuschlos aber ohne Segel glitt es dahin. Und er spürte die Bewegung des Schiffes unter sich. Von hier kam ein Anstoß, meinte er. Er würde sehen, was sich aus dem Traum machen ließ.

      Wie gewohnt ging er nach einem Plan vor. Dieses Boot zu bauen, wäre auch bei voller Gesundheit weit über seine Fähigkeiten gegangen. Er musste also eins kaufen und seinem Traum gemäß umgestalten. Ihm war das Zufällige seines Traumes jedoch bewusst. Deshalb behielt er ihn für sich. Mit Worten würde er nichts erklären können. Er stand auf sich allein. Das hatte er begriffen. Für die anderen war er nur ein Schwerkranker. Es stimmte, er war fertig, aber sie halfen ihm nicht auf den Weg zurück. Natürlich wollten sie ihm nicht schaden. Sie verfügten nur nicht über diese wichtigen Erfahrungen, die er in den letzten Monaten gemacht hatte. Im Grunde rechneten sie ihn zu den Toten.

      Mit einer guten Rente hätte er sich fallen lassen, ein Trottel werden können, der über vergangene Großtaten schwatzte oder in Selbstanklagen verfiel. Das lag ihm nicht, er verachtete solche Leute. In seinen besseren Tagen war er ein Mann gewesen, er wollte es bleiben oder zum Teufel gehen.

      Seine Überlegungen führten jetzt schon weiter. War es ihm einmal gelungen sich herauszuarbeiten, musste er die Einsamkeit überwinden, zuerst die zu seiner Frau, dann die zu den anderen. Er rechnete jedoch auch damit, dass er kaputtging.

      Rasch entschlossen kaufte er ein Boot auf eine Zeitungsanzeige, das in Länge und Breite etwa seinem Traum entsprach. Es kam ja nicht darauf an. Nach dem Kauf suchte er auf der Karte nach einem Ort in Nähe seines Wohnsitzes - Schönerlinde. Der Name des Ortes gefiel ihm. Er dachte nicht lange darüber nach weshalb, sondern er fuhr hin, um einen Liegeplatz für sein Boot zu suchen. Das Dorf an einem Fließ in märkischer Landschaft sagte ihm zu. Der große See nicht weit, Wiesen, Felder, Wald, alles auf einem sonst platten Gelände angeordnet, eine kleine Erhebung für die der Ausdruck Berg nicht passte. Was ihm noch gefiel, war dies: Man sah dem Dorf und dem Land an, wieviel Generationen sich darum bemüht hatten.

      Suchend ging er herum und fand ein Schild mit der Aufschrift Bootsbauer. Das brachte ihn auf den Einfall nachzufragen, ob er sein Boot hier allein und nach seinen Vorstellungen umbauen durfte. Er trat in die Werkstatt und grüßte. Zwei ältere Männer, die an einem Bootsgerippe arbeiteten, grüßten zurück. Ein dritter stand an der Werkbank und bearbeitete mit der Stichsäge ein Brett. Alle hatten Mützen auf. Es roch nach Leim und es roch wunderbar nach Holz.

      Der Meister, der mit der Stichsäge, hörte sich die Bitte an, anscheinend wusste er nicht, was er dazu sagen sollte, und so erklärte der Kranke noch einmal, was er vorhatte.

      "Ich möchte mein Boot selbst ausbauen", sagte er, um Klarheit bemüht. "Verstehen Sie? Hier bei Ihnen. Ich würde für alles aufkommen."

      Der Meister war ein Mann von sechzig vielleicht, mit zahlreichen Falten und wässrigen Augen. An seinem Kopf hingen ein Paar zu große Ohren. Es wurde nicht ersichtlich, ob er die Bitte ablehnte. Eine Weile musterten sich beide Männer stumm. Dann sagte der Meister langsam: "Sonnabend wird bei mir nicht gearbeitet. Haben Sie denn wochentags Zeit?"

      Der Kranke begann zu erklären, weshalb er wochentags Zeit hatte. Ihm schien, der Meister verwickle ihn absichtlich in ein Gespräch, um herauszukriegen, wen er vor sich hatte. Es war in Ordnung, dass ihn der Meister aushorchte.

      "Im Schuppen wär vielleicht Platz", der Meister nahm einen Schlüssel vom Brett und bedeutete Bachmann mitzukommen.

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