Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

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Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich

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die Stirn geboten, und das Einzige was er vermochte, war vielleicht, ihrem Holze einen dunkleren Glanz zu geben und das Zimmer dadurch allerdings noch düsterer zu machen.

      „Nun, gefällt es Dir nicht bei uns?" fragte der Knabe.

      „Gewiß, gewiß," sagte schnell Marie; „ich hatte mir das hier Alles nur ganz anders gedacht," setzte sie dann langsam und schüchtern hinzu. „Ich glaubte früher, der Staub müsse auf den alten Möbeln handhoch liegen."

      „Da kämest Du bei Margareth schön an," lachte der Knabe; „siehst Du, die geht nicht einmal von einer Ecke des Zimmers in die andere, ohne das Wischtuch in der Hand zu haben."

      Die alte Wirthschafterin hatte sich bis dahin eifrig damit beschäftigt, die Gardinen und Vorhänge nachzusehen, ob sie auch alle vollständig und doppelt verhängt wären, und drehte sich jetzt zum Licht, als Marie erstaunt ausrief:

      „Aber die kenne ich ja auch! Das ist ja die Frau Bause aus der Scharrenstraße, die den kleinen Laden hat, und den Leuten Schmerzen bespricht, und aus Karten und Kaffeesatz künftige Schicksale phrophezeit."

      Die alte Frau schmunzelte still und selbstzufrieden vor sich hin und sagte:

      „Ich weiß wohl, Mariechen, Du bist ein braves Kind, /27/ und sollst den schönsten Bonbon haben, den ich im Laden finde, wenn Du einmal wieder zu mir kommst; aber prophezeien thue ich Dir nichts."

      „Und warum nicht, Frau Bause?"

      „Ja, Kinder, ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern," sagte die Alte geschäftig. „Der Herr Qnetzlinberger werden gleich da sein, und dann muß auch das Essen auf dem Tisch stehen."

      Ihre Schlüssel aufgreifend, warf sie dabei einen Blick nach rechts und links im Zimmer umher, ob auch Alles in Ordnung sei, und mit ihrem Tuche noch im Vorbeigehen über die eine Commode fahrend, möglicher Weise aufgeflogenen Staub sorgfältig mit fortzunehmen, verschwand sie rasch durch die hintere Thür.

      Der Knabe blieb mit Marie im Zimmer stehen, ohne an dem runden Tische, auf dem für vier Personen gedeckt war, Platz zu nehmen. Marie sah aber fragend und auch ein wenig neugierig zu ihm auf; denn in dem dunkeln Zimmer war sie bis jetzt noch gar nicht im Stande gewesen, sein Gesicht deutlich und ordentlich erkennen zu können.

      Der junge Bursche mochte ihrer Meinung nach wohl fünfzehn Jahre zählen, und sein Gesicht war zart und selbst schön zu nennen. Die dunkeln, kastanienbraunen Locken kräuselten sich ihm leicht und weich um die hohe Stirn, und die feingeschnittenen Lippen zeigten ein Paar Reihen blendendweißer Zähne. Auch die Augen waren lebhaft und feurig. Dennoch lag etwas in ihnen, das sie schüchtern von ihm zurücktreten machte, wenn sie sich auch keinen Grund dafür anzugeben wußte - und doch lächelte er so freundlich zu ihr nieder. Wunderbarer Weise zog sich ihm eine feine Narbe quer über die ganze Stirn, oben von der rechten Seite bis hinunter und über den linken Schlaf laufend. Und doch war es auch kaum eine Narbe zu nennen, sondern glich mehr einem scharf darüber hingezogenen Schnitte, der gerade nur die Haut verletzt haben konnte, weil er sonst hätte den ganzen Kopf von einander legen müssen.

      Wie sie aber noch furchtsam zu der Narbe aufsah und der Knabe sie anlächelte, ging plötzlich die andere Thür auf, und /28/ Herr Quetzlinberger, jetzt nicht mehr im Schlafrock, sondern in einem hochgelben seidenen Frack mit reicher Stickerei, trat herein. Er trug dabei die Haare schön und sorgfältig gepudert, daß das zierlich gedrehte, schlanke Zöpflein, ein wenig nach der linken Schulter hinüberneigend, ihm keck und etwas nach oben gebogen hinten ausstand; dabei ein kleines dreieckiges Hütlein in der Hand, das er aber augenblicklich wieder ablegte, und kurze, ebenfalls gelbseidene Hosen, Strümpfe und Schnallenschuhe.

      Mit einer freundlichen, aber etwas formellen Verbeugung gegen das Kind, die dieses in die größte Verlegenheit setzte, ging er jetzt auf den nächsten Stuhl zu, auf den er sich niederließ, und Margareth, die hinter ihm eingetreten war, legte ihm eine große weiße Serviette vorn über die gelbseidene Weste und band sie hinten in einem großmächtigen Knoten zusammen, daß die beiden Zipfel nach rechts und links hinausstanden.

      „Aber, Gundelrebe," sagte der alte Herr da plötzlich, als er sich die Serviette gerückt, eine große Tabaksdose aus der Tasche genommen und neben sich niedergestellt, und den Hals ein paar Mal hin und her gedreht hatte, weil ihm die Margareth wahrscheinlich den Knoten etwas zu fest gebunden, „warum führst Du denn Deinen kleinen Gast nicht zu Tisch? Das Essen wird kalt und die Margareth nachher wieder böse."

      „Heißt Du Gundelrebe?" fragte Marie den Knaben leise.

      „Nicht wahr, das ist ein wunderlicher Name?" lächelte dieser, „aber Onkel nennt mich immer so. Doch nun komm, setze Dich hierher und lange zu und iß und trink. Wenn Du satt bist, führe ich Dich wieder hinüber auf die Treppe."

      „Und darf ich dort Alles erzählen, was ich hier gesehen?" fragte die Kleine schüchtern.

      „Warum nicht, mein Kind?" lachte da der alte Herr, der indessen schon tüchtig zugelangt hatte und mit beiden Backen kaute. „Warum nicht, mein Herzchen? Sie werden Dir's nur nicht glauben."

      „Ich habe noch nie gelogen," sagte Marie. /29/

      Der alte Herr Quetzlinberger lachte, wie er das hörte, dermaßen, daß ihm der Bissen, den er gerade im Munde hielt, vor die Luftröhre kam und er furchtbar anfing zu husten. Nachher fing er noch einmal von Neuem an zu lachen, drehte sich dann nach der hinter ihm stehenden Margareth herum und blinzelte sie mit den kleinen verschmitzten Augen gar so komisch an. Die Margareth aber schüttelte den Kopf, und die Haube darauf wurde immer größer und weißer, und zuckte wie in Strahlen nach der Decke hinaus. Das Flüstern des Knaben an ihrer Seite klang Marien dabei wie das Knistern eines lustigen Feuers im Ofen, und in aller Verlegenheit hob sie den schon eine ganze Weile auf der Gabel gehaltenen Bissen an den Mund. So delicat duftete ihr aber die fremdartige Speise entgegen, daß sie bald alles Andere darüber vergaß.

      „Oh, wie herrlich das riecht!" rief sie erstaunt aus, „wie nach Vanille und Zucker und Rosen! So etwas habe ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gekostet!"

      „Spucken Sie aus, Mariechen, spucken Sie aus!" rief ihr aber die Frau Bause in dem Augenblick, über den Herrn Quetzlinberger weg, zu, „sonst bleiben Sie hier drüben bei uns und können nie wieder hinüber zu Ihrer Frau Mama."

      Und wie sie das sagte und Mariechen den Bissen im Munde vor Schrecken festhielt, drehte sich der Herr Ouetzlinberger ärgerlich nach der Frau Bause um, legte sein Messer hin und faßte seine große Dose, als ob er ihr die an den Kopf werfen wollte.

      „Iß nur, Mariechen, und laß Dir's schmecken," flüsterte jetzt Gundelrebe an ihrer Seite, „die Frau Bause hat nur Spaß gemacht, und der Onkel wird ihr gleich den Kopf mit der Dose herunterwerfen."

      Aber Marie sah nur den Serviettenzipfel und die große spitze Haube, die in weißen Lichtern nach der Decke hinauf auszuckten und blitzten. Zwischen den funkelnden Strahlen heraus, unbekümmert um diese wie um die nach ihr zielende Tabaksdose, rief dabei die Frau Bause immer noch: „Spucken Sie aus, spucken Sie aus!" und jetzt war es Marien plötzlich, als ob ihr die Stimme so bekannt vorkomme und die Frau /30/ Bause das eigentlich gar nicht gerufen hätte. Die Warnung kam ja von Jemandem, der dicht hinter oder neben ihr stand, und den sie bis jetzt noch gar nicht gesehen hatte. War das der für das vierte Couvert erwartete Gast? Kaum hob aber das Köpfchen, so blickte sie in das todtenbleiche lächelnde Gesicht des Zahnarztes, der ihr nachgekommen sein mußte, und wie sich das Zimmer in Schrecken und Entsetzen mit ihr zu drehen anfing, und die regenbogenfarbigen Streifen der Serviettenzipfel und Haubenbänder zu vielfarbigen Kreisen wurden, schloß sie die Augen und lehnte sich in den Stuhl zurück.

      „Spuckem

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