Mehnerts Fall. Peter Schmidt

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Mehnerts Fall - Peter Schmidt

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die Haare schneiden, der Mann trägt den Scheitel rechts.“

      Im Ministerium ging Iven zuerst in die Requisitenkammer, um eine Brille abzuholen, die nach dem Modell angefertigt worden war, das man Karwel in der Haft abgenommen hatte. Dann zum Friseur.

      Danach rief er sein Büro an. Seine Mitarbeiter Handke und Drewitz würden ihn in den nächsten Wochen vertreten. Offiziell hielt er sich zu einem Schulungsprogramm in der Sowjetunion auf.

      Da er dem Planungsstab angehörte, war ihm diese Art von Vorsichtsmaßregeln genauestens bekannt. Nicht umsonst nannte man ihn in den Abteilungen das “Organisationstalent“. Praktisch dagegen besaß er zweifellos zu wenig Erfahrung für einen Auftrag wie diesen. Es war seine erste Reise in den Westen.

      Seine Frau würde im kommenden Monat vier Briefe aus Leningrad und Moskau erhalten …

      Danach rief er Kuznow vom Zentralkomitee an. Es war eine Art Rückversicherung. Er hatte eine unbestimmte Ahnung …

      Kuznow war sein Schwiegervater. Als Hahnels Stellvertreter im ZK besaß er Einblick in alle wichtigen Vorgänge. Iven bekam ihn direkt ans Telefon.

      „Mein Zug geht heute Nacht.“

      „Ich weiß.“

      „Vor meiner Abreise möchte ich Sie noch um einen Gefallen bitten.“

      „Ja?“

      „Könnten Sie Störte klarmachen, dass ich nicht auf seinen Posten scharf bin?“

      „Haben Sie konkrete Befürchtungen?“, fragte er.

      „Ich schließe nicht aus, dass er mir ein Bein stellen will.“

      Kuznow hatte volles Verständnis. Aber Ivens Verdacht schien ihm aus der Luft gegriffen.

      „Seien Sie unbesorgt“, beruhigte er ihn. “Das Projekt ist zu wichtig, als dass er sich ein Fiasko leisten könnte.“ Anders als Hahnel, zog er es vor, offen zu reden. Er war das genaue Gegenteil der üblichen Parteikarrieristen und Bürokraten. Während der Biermann-Ausbürgerung war er für einen gemäßigten Kurs eingetreten.

      „Störte hat einigen Rückhalt bei den Russen.“

      „Sie halten die Fäden persönlich in der Hand“, erklärte Kuznow nachdrücklich.

      „Ich vermute auch, dass er Informationen zurückhält.“

      „Natürlich erfahren Sie nur, was Sie brauchen. Mehr wäre ein überflüssiges Risiko. Wenn überproportionale Schwierigkeiten auftauchen, kehren Sie mit der nächsten Maschine zurück. Übrigens – wie geht es Vera?“

      Damit spielte er auf ihre Probleme im Beruf an. Der Platz, den man ihr nach dem Studium zugewiesen hatte, gefiel ihr gar nicht. Sie hätte sich lieber mit Parteiarbeit befasst.

      „Hat sie sich in die Arbeit beim Naturkundlichen Museum eingewöhnt?“

      Iven bedankte sich, überging aber die Frage.

      Kuznow sagte: “Dann alles Gute“ und legte auf.

      Iven setzte sich in den Korbsessel beim Fenster und studierte die Mappe sorgfältig, ehe er sie vernichtete. Es stand eine Menge über Mehnert und Hanne drin, das er schon kannte, aber es war gut, sich alles noch einmal einzuprägen.

      Das Kleiderpaket, das man für ihn bereitgelegt hatte, enthielt ein beigefarbenes Sakko, Größe 50, eine passende braune Hose, ein bügelfreies Hemd, Unterwäsche und einen leichten Sommermantel.

      Schon bevor er einen Blick auf die Etiketten warf, sah er, dass es sich um Kleidungsstücke aus dem Westen handelte – ihre volkseigenen Betriebe webten ein anderes Tuch.

      Sakko und Hose stammten aus Kölner Kaufhäusern, der Mantel aus Prag. Karwel besaß eine Freundin in der Tschechei. Wahrscheinlich war sie der Grund für seine Reise gewesen. Da er eine spätere Überprüfung durch den Bundesnachrichtendienst nicht ausschloss, schien ihm das ein Risikofaktor. Hatte Störte diese Gefahr übersehen?

      In der Computeranalyse würde eine Querverbindung Mehnert-Hanne-Karwel-Ostkontakte erkennbar sein. Ein ausreichendes Verdachtsmoment, um Observationen des BND auf sich zu ziehen.

      Iven beschloss, die Kontakte zu Hanne so gering wie möglich zu halten.

      Störtes Plan sah vor, über einen Mittelsmann beim Kölner Arbeitsamt zu operieren – ein Vorschlag, der Iven nicht praktikabel erschien.

      Er dachte eher an eine lose Verbindung, eine Freundschaft oder dergleichen, bei der er sie in kürzeren Abständen treffen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Er brauchte dauernde Rückmeldung.

      Ein Mittelsmann wäre zu umständlich gewesen. Mehnert sollte einige Wochen vor der kommenden Abrüstungsrunde fallen. Es würde seinem Nachfolger Gelegenheit geben, im Bundestag eine Mehrheit für das russische Konzept der Verhandlungen vor dem Nachrüstungsbeschluss der NATO für Mittelstreckenraketen in der BRD zu bilden.

      Man rechnete sich aus, dass dann auch die anderen NATO-Länder nachziehen würden. Moskau lehnte nachträgliche Verhandlungen ab.

      Nicht zum ersten Mal waren sie bei diesem Poker die Verlierer gewesen. Sie wollten klare Zusagen als Antwort auf ihre neuen Vorleistungen der Truppenreduzierung in Osteuropa.

      Während er sich umzog, kam ihm die Idee, Hanne könne Mehnert ein Dreiecksverhältnis vortäuschen, bei dem Mehnert schließlich der Sieger blieb.

      Es würde ihn veranlassen, die Affäre geheim zu halten. Dann wäre eine Hauptgefahr, die Untersuchung von Hannes Biographie, aus der Welt geschafft.

      Zwar hatte man so die bundesdeutsche Gesetzgebung – alle Hinweise aus Stammbüchern, Geburtsurkunden, Ausweisen und so weiter tilgen müssen. Aber eine derartige Angelegenheit ließ sich niemals wirklich verheimlichen.

      Er nahm noch einmal die Mappe zur Hand und entdeckte, dass Störte mit demselben Gedanken spielte:

       Dreiecksverhältnis?

      stand handschriftlich unter Mehnerts Personenbeschreibung. Der Rest der Notiz war unleserlich gemacht.

      Iven riss ihn heraus, um ihn später genauer zu untersuchen.

      Das Sakko und die Hose passten wie maßgeschneidert. In der Innentasche des Jacketts fand er alle Papiere, die man Karwel in der Haft abgenommen hatte – Führerschein, Personalausweis, Pass. Der Visastempel für die Einreise in die Tschechei war entfernt. Iven lehnte sich zurück und blies Rauchkringel in die Luft.

      Diese Entdeckung war aufschlussreich: Man hatte einen Spezialstempel verwendet.

      Die übrigen Papiere sollten sich nach Störtes Ansicht in der Kölner Wohnung befinden.

      Das Passfoto sah ihm recht ähnlich. Ebenso wie die beigelegte Großformatfotografie. Vielleicht ähnlicher, als er zugeben wollte. Karwel besaß ein schmales Gesicht und eine kantige Stirn. Er erinnerte eher an einen Mathematiker, obwohl er nach Störte ein kleines Licht sein sollte, irgendein unbedeutender Arbeitsloser im großen Köln, der sich durch ein paar nicht ganz saubere Tricks vor dem sozialen Abstieg bewahrte. Nur seine Augen schienen dichter zusammenzustehen – und

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