Der geheimnisvolle Fremde. Mark Twain

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Der geheimnisvolle Fremde - Mark Twain

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      Er aber hörte nicht auf zu reden und bezauberte uns aufs Neue mit der verhängnisvollen Musik seiner Stimme. Er brachte uns dazu, alles zu vergessen; wir konnten ihm einfach nur zuhören und ihn lieben und seine Sklaven sein, und er konnte mit uns machen, was er wollte. Die Freude, mit ihm zusammen sein zu dürfen, machte uns trunken, und er ließ uns in den Himmel seiner Augen blicken und die Ekstase spüren, die unsere Venen durchzuckte, wenn er uns mit seiner Hand berührte.

      Kapitel III

      Der Fremde hatte schon alles gesehen, war überall gewesen, wusste alles und vergaß nichts. Was andere mühsam studieren mussten, lernte er in einem einzigen Moment; und so etwas wie Schwierigkeiten gab es für ihn nicht. Und alles, wovon er uns erzählte, erweckte er vor unseren Augen zum Leben. Er hatte zugesehen, als die Welt erschaffen wurde; er war bei der Schöpfung Adams dabei gewesen; er sah, wie Samson sich gegen die Säulen stemmte und der Tempel über ihm zusammenstürzte; er war Zeuge von Caesars Tod; er berichtete vom Alltagsleben im Himmel; er hatte mit angesehen, wie die Verdammten sich in den roten Wogen der Hölle krümmten; und all das ließ er uns wie mit eigenen Augen sehen, als hätten wir uns selbst am Ort des Geschehens befunden. Trotzdem hatten wir das Gefühl, für ihn sei das alles nur ein Zeitvertreib. Diese Visionen von der Hölle, diese armen Säuglinge und Frauen und Mädchen und Burschen und Männer, die kreischten und angesichts ihrer Qualen um Gnade bettelten – nun, wir konnten es kaum ertragen, aber er war so abgestumpft dagegen, als wäre es nur um Spielzeugratten in einem bengalischen Feuer gegangen.

      Und immer, wenn er über die Männer und Frauen auf dieser Erde und über ihre Taten sprach – selbst wenn es die großartigsten und erhabensten waren – schämten wir uns heimlich, denn alles an ihm deutete darauf hin, dass ihre Taten für ihn auf jämmerliche Weise bedeutungslos waren; hätten wir es nicht besser gewusst, so wären wir manchmal der Meinung gewesen, er spreche über Mücken. Einmal sagte er sogar, unsere Spezies hier unten sei für ihn ziemlich interessant, auch wenn sie stumpfsinnig und unwissend und nichtssagend und aufgeblasen wäre, ja, krank und gebrechlich, und – wohin man auch blicke – sich als schäbiger, armseliger und wertloser Haufen erweise. Er sagte es auf ganz selbstverständliche Art, ohne Verbitterung, einfach so, wie jemand über Ziegelsteine oder Düngemittel oder irgendetwas anderes spricht, das ohne Belang ist und keine Gefühle hat. Mir war klar, dass er es nicht böse meinte, doch in meinen Gedanken setzte es sich als etwas fest, das nicht gerade von gutem Betragen zeugte.

      „Betragen!“ sagte er. „Was ich sage, ist eben die Wahrheit, und die Wahrheit zu sagen zeugt immer von gutem Betragen. Gute Manieren sind nur ein Hirngespinst. Die Burg ist fertig. Gefällt sie euch?“

      Wir alle fühlten uns verpflichtet, sie zu mögen. Sie war entzückend anzusehen, wohlgestaltet und schön und in all ihren Einzelheiten so durchdacht und vollkommen, bis hin zu den kleinen Fahnen, die auf den Geschütztürmen wehten. Satan sagte, es sei nun an der Zeit, die Artillerie in Stellung zu bringen, die Hellebardisten aufmarschieren zu lassen und die Kavallerie zu präsentieren. Es war ein echtes Schauspiel, unsere Männer und Pferde zu sehen, die überhaupt nicht dem entsprachen, was wir uns vorgestellt hatten, da es uns für die Herstellung solcher Dinge natürlich an Übung mangelte.

      Satan sagte, es seien die missratensten Exemplare, die er je gesehen habe; dann berührte er sie und erweckte sie zum Leben, und ihre Bewegungen wirkten richtig lächerlich, da ihre Beine unterschiedlich lang waren. Sie taumelten und stolperten herum, als wären sie betrunken, und waren eine Gefahr für alles Lebende ringsum, und schließlich fielen sie um und lagen hilflos und strampelnd vor uns. Darüber mussten wir alle lachen, auch wenn es eigentlich ein beschämender Anblick war. Die Kanonen wurden mit Erde geladen, um eine Salutsalve abzufeuern, aber sie waren so krumm und schlecht gefertigt, dass sie beim Abfeuern alle explodierten, und einige der Kanoniere kamen ums Leben, andere wurden verstümmelt. Satan sagte, falls wir Lust hätten, könne er uns auch einen Sturm und ein Erdbeben schicken; er bat uns aber, aus Sicherheitsgründen ein wenig Abstand zu halten. Wir wollten auch die kleinen Menschen warnen, doch er sagte, wir sollten uns um die keine Gedanken machen; sie seien belanglos, und wir könnten uns ja irgendwann neue erschaffen, falls wir welche bräuchten.

      Eine kleine schwarze Gewitterwolke ballte sich über der Burg, und schon setzte ein winziges Spiel aus Blitz und Donner ein, und das Erdreich bebte, und der Wind orgelte und keuchte, und Regen fiel, und all die kleinen Menschen suchten Unterschlupf in der Burg. Die Wolke über ihnen wurde immer schwärzer, und hinter ihr konnte man die Burg nur noch schemenhaft erkennen. Ein Blitz nach dem anderen zuckte auf, bis schließlich einer davon in die Burg einschlug und sie in Brand setzte. Die Flammen färbten die Wolke blutrot, und die Leute strömten aus der Burg und kreischten, doch Satan drängte sie mit der Hand zurück und achtete nicht auf ihr Bitten und Weinen und Flehen; und während der Wind heulte und der Donner hallte, explodierte das Pulverarsenal, das Erdbeben ließ den Boden auseinander bersten, und die Trümmer der Burg bröckelten herab und verschwanden in dem Spalt, der sie verschluckte und sich sofort wieder über ihnen schloss. Keiner dieser unschuldigen Menschen, keine diese fünfhundert armen Kreaturen kam mit dem Leben davon. Es brach uns das Herz; und wir konnten unsere Tränen nicht zurückhalten.

      „Was weint ihr denn?“ fragte Satan. „Sie waren wertlos.“

      „Aber jetzt sind sie alle zur Hölle gefahren.“

      „Ach, das spielt keine Rolle. Wir können uns jede Menge neuer davon erschaffen.“

      Es war sinnlos, ihn zu einer Gefühlsregung hinreißen zu wollen. Offenbar waren ihm so etwas wie Gefühle völlig fremd, und er begriff unsere Anteilnahme nicht. Im Gegenteil: Er sprühte, er strömte über vor guter Laune – als wäre dies eine Hochzeit gewesen anstelle eines teuflischen Blutbads. Und er war so richtig darauf erpicht, dass wir dasselbe empfanden wie er, und mit Hilfe seiner Magie gelang ihm das natürlich. Für ihn war es kein Problem; er machte mit uns, was er wollte. Schon kurze Zeit später tanzten wir auf diesem Grab, und er spielte dazu auf einem merkwürdigen, lieblich klingenden Instrument, das er aus seiner Tasche zog; und die Musik ... aber eine solche Musik gibt es eigentlich gar nicht, außer vielleicht im Himmel, und genau von dort habe er sie auch mitgebracht, sagte er. Sie machte einen wahnsinnig vor Freude; und wir konnten unsere Augen nicht von ihm abwenden, und unsere Blicke kamen tief aus unseren Herzen, und was sie auf stumme Weise ausdrückten, war nichts als Verehrung. Auch den Tanz hatte er vom Himmel mitgebracht, und in ihm lebte die Glückseligkeit des Paradieses.

      Wenig später sagte er, er habe nun einen Auftrag auszuführen. Doch wir konnten den Gedanken nicht ertragen und klammerten uns an ihm fest und flehten ihn an, zu bleiben. Das gefiel ihm, und das sagte er uns auch und ließ uns wissen, dass er noch ein wenig warten werde – wir könnten uns wieder hinsetzen und noch eine Weile mit ihm reden. Dann verriet er uns, dass Satan zwar sein richtiger Name sei, den nur wir kannten, doch für den Fall, dass er mit weiteren Personen zusammen sei, habe er sich einen anderen Namen ausgesucht – einen ganz gewöhnlichen Namen, wie er unter Menschen geläufig sei: Philipp Traum.

      Der Name klang so sonderbar und gewöhnlich für ein solches Wesen! Aber es war seine Entscheidung, und wir sagten nichts; es genügte, dass er es so entschieden hatte.

      An diesem Tag hatten wir viele Wunder gesehen; und in Gedanken war ich schon zu Hause und überlegte mir, was für ein Spaß es sein würde, den anderen davon zu erzählen, aber er erriet meine Gedanken und sagte:

      „Nein, all jene Dinge sollen ein Geheimnis zwischen uns vieren bleiben. Ich bin euch nicht böse, wenn ihr den Drang habt, davon zu erzählen, aber ich werde eure Zungen davor bewahren, etwas von unserem Geheimnis auszuplaudern.“

      Das war natürlich eine Enttäuschung, aber was sollten wir dagegen tun? Der eine oder andere Seufzer entfuhr uns. Wir sprachen munter weiter, und stets konnte er unsere Gedanken lesen und darauf eingehen, und für mich war es das Wunderbarste von

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