Mein Begräbnis. Und andere Grotesken. Hanns Heinz Ewers

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Mein Begräbnis. Und andere Grotesken - Hanns Heinz Ewers

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Beispiel für alle Bürgertugenden sein. Als ehemaliger Preuße sollte Ihnen doch der Spruch bekannt sein, dass Ruhe die erste Bürgerpflicht ist! Und das gilt in allererster Linie für sogenannte Leichen. – Gestehen Sie die von Ihnen begangenen Delikte ein? Oder wollen Sie, dass ich die Zeugen vernehme?«

      Da platzte ich los: »Das ist mir alles ganz egal, lassen Sie mich in Ruhe! Ich bin eine Leiche, und Sie sind ein Idiot, und alle Ihre Zeugen sind auch Idioten!«

      Der Vorsitzende schnappte nach Luft, aber ehe er noch ein Wort sagen konnte, erhob sich der Staatsanwalt: »Ich stelle den Antrag, den Beschuldigten zur Beobachtung seines Geisteszustandes auf sechs Wochen der Landesirrenanstalt zu überweisen!«

      Da trat schnell der Medizinalrat, der Direktor dieses Instituts, vor und erklärte: »Die Landesirrenanstalt muss unter diesen Umständen die Internierung des Angeklagten ablehnen, ich kann durchaus keine Garantie dafür übernehmen, dass er sich sechs Wochen lang hält!«

      Es trat eine kleine Pause ein; dann fragte einer der Schöffen: »Ja – aber was fangen wir dann mit ihm an?«

      »Wir werden ihm eine Geldstrafe aufbrummen!«, sagte der Amtsrichter.

      »Das wird Ihnen nichts nützen«, motzte ich, »ich bin tot und habe jetzt ebenso wenig Geld wie im Leben. Meine letzte Barschaft habe ich für ein menschenwürdiges Begräbnis ausgegeben!« Der Chef der Roten Radler machte eine Verbeugung in meine Richtung.

      »Dann muss man ihn – im Nichtbeitreibungsfalle – eben einlochen!«, warf der Staatsanwalt ein.

      »Aber die Gefängnisverwaltung wird ebenso wenig Leichen annehmen wie die Landesirrenanstalt!«, wandte der Vorsitzende ein.

      Schon glaubte ich, triumphiert zu haben, als sich plötzlich der Pastor vorschob.

      »Erlauben Sie mir, einen bescheidenen Vorschlag zu machen, meine Herren!«, sagte er. »Ich glaube, es wird das Beste sein, wenn wir die Leiche des Herrn Angeklagten christlich bestatten.«

      »Ich will nicht christlich bestattet werden!«, schrie ich wild.

      Aber der Pastor achtete gar nicht auf mich.

      »Also christlich – und gut bürgerlich bestatten!«, fuhr er fort. »Ich glaube, das wird einerseits die Milde und Würde des Gerichts bei allen anständig denkenden Menschen in das rechte Licht setzen, andererseits aber auch bei dem bedauernswert verwirrten Geiste des Herrn Angeklagten wie eine Strafe wirken. Dazu übernehme ich die Garantie, dass eine auf diese Weise beerdigte Leiche sich in Zukunft durchaus ruhig und still verhalten und somit den hohen Behörden weiterhin zu einem notwendigen Eingreifen keinerlei Veranlassung mehr geben wird.«

      »Sehr gut! Sehr gut!«, nickte der Herr Vorsitzende. Und der Staatsanwalt nickte und die beiden Schöffen nickten – alle nickten.

      Ich schrie, tobte, ich wandte mich in meiner Verzweiflung an den Herrn Oberradler. Aber der zuckte mit den Schultern.

      »Tut mir leid«, sagte er, »wir sind nur für zwei Stunden bezahlt, und die sind abgelaufen. Die Roten Radler besorgen alles – aber nur gegen Bezahlung!«

      Ich wehrte mich, so gut es ging, wurde aber schnell überwältigt.

      Sie steckten mich in einen schwarzen Sarg und trugen mich hinaus.

      Und der Pastor hielt mir – umsonst – eine Leichenrede. Ich weiß nicht, was er sagte, ich hielt mir die Ohren zu.

      Die brutale Gewalt hatte gesiegt.

      Was nutzt es mir nun, dass ich mich jetzt jedes Mal dreimal im Grab herumdrehe, wenn ein Staatsanwalt oder ein Amtsrichter vorbeikommt?

      Das Eierlegen der menschlichen Frau

      Die zweite Dezembernummer der Londoner »Medical Review« enthielt eine ganz kurze Notiz – die von dort aus ihren Weg durch alle Blätter der Welt nahm –, dass die beiden Birminghamer Ärzte Prof. Paidscuttle und Dr. Feesemupp nach langen Versuchen endlich das Eierlegen der menschlichen Frau (medizinisch: Anthropoovaropartus) erfunden hätten, das naturgemäß einen ungeheuren Umschwung im Leben der Menschheit hervorzurufen geeignet sei.

      Die beiden Herren hüteten ihr Geheimnis vorderhand noch sorgfältig, doch stünde zu hoffen, dass sie in nicht allzu langer Zeit damit an die Öffentlichkeit treten würden.

      Dieser Meldung gegenüber sehe ich mich zur Wahrung meiner sehr berechtigten Interessen genötigt, öffentlich zu erklären, dass die Idee des Eierlegens der menschlichen Frau mir gehört und von mir zuerst ausgesprochen wurde.

      Leider bin ich ein solcher Esel, dass ich darauf kein Patent angemeldet habe, und so werden sich wohl für immer mein Vaterland und ich des ungeheuren Vermögens beraubt sehen, das die Verwertung meines Gedankens naturgemäß erzielt hätte. Wenigstens meinen Ruhm will ich aber retten. Da die englischen Gelehrten wahrscheinlich alles daran setzen werden, um mir meinen Gedanken streitig zu machen, so sehe ich mich genötigt, die beiden einzigen Zeugen zu nennen, denen ich von der Sache sprach.

      Es sind dies: der Herr Oberlehrer Dr. Schulze in Köpenick und die Prostituierte Frieda Knäller (polizeilich unbekannten Aufenthalts).

      In der Nacht vom 4. zum 5. November 1903 ging ich mit besagtem Herrn Oberlehrer gegen drei Uhr früh durch die Friedrichstraße. An der Ecke der Oranienburgerstraße trafen wir die Prostituierte Knäller, die unsere Bekanntschaft zu machen bestrebt war.

      Ich fühlte das Bedürfnis, den Herrn Oberlehrer und die Prostituierte Knäller einander menschlich näherzubringen, sie zu verkuppeln, wie unzarte Leute sich auszudrücken belieben.

      Ich betrat also zu dem genannten Zwecke mit dem füreinander zu erwärmenden Paare die Kellerdestille zum »Strammen Hund«, Friedrichstraße 117.

      Ich kann sagen, dass ich mit meinen Vorschlägen bei dem Oberlehrer Herrn Dr. Schulze auf die größte Bereitwilligkeit stieß, während merkwürdigerweise die Prostituierte Knäller sich durchaus ablehnend verhielt. Um ihren Widerstand gegenüber dem lebhaften Wunsche des Pädagogen zu brechen, bestellte ich immer mehr anregende Getränke, was zur Folge hatte, dass unsere anfangs vielleicht leichten und nicht ganz ernsten Gespräche immer tiefer wurden und wir uns mehr und mehr in wissenschaftliche Probleme vertieften. Von der Erziehung der Jugend, die der Herr Oberlehrer reformiert wissen wollte, von der Frauenfrage, deren Lösung sich die Prostituierte Knäller durch Einführung eines Staffeltarifs (unter Berücksichtigung der notleidenden Landwirte und der akademischen Jugend) versprach, kamen wir auf immer ältere und entferntere Gebiete, bis schließlich der Herr Oberlehrer treffend sagte, dass wir auf diese Weise »auf das Ei der Leda« zurückkehrten, während man doch eigentlich von ihm ausgehen müsse.

      Ich darf wohl sagen, dass in dem Augenblick, als er diesen verhängnisvollen Satz aussprach, hundert Worte, die mir bisher nur Phrasen gewesen waren, zu handgreiflichen Wirklichkeiten wurden. Ein Schleier zerriss vor meinen Augen, ich hielt den Stein der Weisen in der Hand, ich hatte das Ei des Kolumbus gelegt. Ich seufzte dreimal tief auf, ich fühlte mit tiefer Erschütterung, dass ich in einer Sekunde die soziale Frage und alle anderen dazu gelöst hatte.

      Dem Herrn Oberlehrer Dr. Schulze, dem ich das verdankte, drückte ich gerührt die Hand, dann bestellte ich die siebzehnte Runde Grog. Während das Getränk gebracht wurde, besann ich mich eine kleine Weile

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