Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens

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getan oder sich verbrannt hatten, starben und zu ihren Vätern in jener Welt, die sie in dieser nicht gekannt, versammelt wurden, wenn sie sie eben mit vieler Mühe so weit gebracht hatte, daß sie von der möglichst geringen Quantität möglichst schwacher Nahrungsmittel leben konnten.

      Stellten die Direktoren unangenehme Untersuchungen über den Verbleib eines Kindes an oder taten die Geschworenen lästige Fragen, so schützten das Zeugnis und die Aussage des Wundarztes und des Kirchspieldieners gegen diese Zudringlichkeiten. Der erstere hatte stets die Leichen geöffnet und nichts darin gefunden (was sehr natürlich zuging), und der letztere beschwor stets, was dem Kirchspiel angenehm war, und gab damit einen großen Beweis von Selbstaufopferung und Hingebung. Das Armenkollegium besuchte von Zeit zu Zeit die Filialanstalt und schickte tags zuvor den Kirchspieldiener, um seine Ankunft zu verkünden. Und dann sahen die Kinder stets gut und reinlich aus, und was konnte man mehr verlangen?

      Es war nicht zu verlangen, daß die in der Filiale herrschende Hausordnung ein allzu üppiges Gedeihen der Kinder beförderte, und so war auch Oliver Twist an seinem neunten Geburtstage ein blasses, schwächliches, im Wachstum zurückgebliebenes Kind, von sehr geringem Leibesumfange; doch wohnte in ihm ein gesunder, kräftiger Geist, der auch, dank der strengen Diät des Hauses, hinreichenden Raum hatte, sich auszudehnen. Oliver feierte seinen Geburtstag im Kohlenkeller in der erlesenen Gesellschaft zweier anderer junger Herren, die nach einer tüchtigen Tracht Schläge hier mit ihm eingesperrt worden waren, weil sie sich erkühnt hatten, hungrig zu sein, als Frau Mann, die gutherzige Pflegerin, durch die Erscheinung Mr. Bumbles, des Kirchspieldieners, der dem Gartenpförtchen zuschritt, in Schrecken gesetzt wurde.

      »Du meine Güte, sind Sie es, Mr. Bumble?« rief sie ihm aus dem Fenster, anscheinend hoch erfreut, entgegen. – »Susanne, bring' gleich den Oliver und die andern beiden Buben herauf und wasch' sie. Ach, Mr. Bumble, wie lange haben Sie sich nicht sehen lassen!«

      Mr. Bumble war ein wohlbeleibter und dazu cholerischer Mann, und so rüttelte er, anstatt auf diese freundliche Begrüßung in höflicher Weise zu antworten, wütend an der kleinen Pforte und gab ihr dann einen Stoß, wie ihn nur ein Kirchspieldiener versetzen konnte.

      »Herr des Himmels!« rief Mrs. Mann, indem sie aus dem Zimmer stürzte – denn die drei Knaben waren inzwischen entfernt worden –, »daß ich es auch dieser lieben Kinder wegen vergessen mußte, daß die Tür von innen verriegelt ist. Treten Sie ein, Sir, bitte, treten Sie ein, Mr. Bumble! Haben Sie die Güte.«

      Obgleich diese Einladung von einem freundlichen Lächeln begleitet war, das sogar das Herz eines Kirchenältesten erweicht haben würde, besänftigte es den Kirchspieldiener doch keineswegs.

      »Nennen Sie das einen respektvollen oder schicklichen Empfang, Mrs. Mann,« fragte Bumble, indem er seinen Stab fester in die Hand nahm, »wenn Sie die Kirchspielbeamten an Ihrer Gartenpforte warten lassen, wenn sie in Parochialangelegenheiten in Betreff der Parochialkinder hierher kommen?«

      »Ich kann Sie versichern, Mr. Bumble, daß ich nur ein paar der lieben Kinder bei mir hatte, wegen deren Sie so freundlich sind, herzukommen,« erwiderte Mrs. Mann mit großer Unterwürfigkeit.

      Mr. Bumble hegte eine hohe Meinung von seiner oratorischen Begabung und seiner Wichtigkeit. Er hatte die eine bewiesen und die andere gewahrt. Er war in milderer Stimmung.

      »Nun, nun, Mrs. Mann,« sagte er, »es mag sein, wie Sie sagen, es mag sein. Lassen Sie mich hinein, Mrs. Mann; ich komme in Geschäften und habe Ihnen etwas zu sagen.«

      Mrs. Mann nötigte den Kirchspieldiener in ein kleines Sprechzimmer, bot ihm einen Stuhl an und legte dienstbeflissen seinen dreieckigen Hut und seinen Stab auf den Tisch vor ihm. Mr. Bumble wischte sich den Schweiß von der Stirn, blickte freundlich auf den dreieckigen Hut und lächelte. Ja, er lächelte. Kirchspieldiener sind auch nur Menschen, und Mr. Bumble lächelte.

      »Nehmen Sie es mir nicht übel, was ich Ihnen sagen will,« bemerkte Mrs. Mann mit bezaubernder Liebenswürdigkeit. »Sie wissen, Sie haben einen weiten Weg hinter sich; wollen Sie nicht ein Gläschen nehmen?«

      »Nicht einen Tropfen, nicht einen Tropfen,« versetzte Mr. Bumble, indem er mit seiner rechten Hand in würdevoller, aber freundlicher Weise abwinkte.

      »Ich denke, Sie werden mir schon den Gefallen tun,« sagte Mrs. Mann, die den Ton der Weigerung und die diese begleitende Gebärde bemerkt hatte. »Nur ein ganz kleines Gläschen mit einem Schluck kalten Wassers und einem Stück Zucker.«

      Mr. Bumble hustete.

      »Nur ein ganz kleines Gläschen,« wiederholte Mrs. Mann in dringendem Tone.

      »Was ist es denn?« fragte der Kirchspieldiener.

      »Nun, es ist das, von dem ich etwas im Hause zu halten verpflichtet bin, um es den lieben Kindern in den Kaffee gießen zu können, wenn sie nicht wohl sind, Mr. Bumble,« entgegnete Mrs. Mann, während sie ein Eckschränkchen öffnete und eine Flasche und ein Glas herausnahm. »Es ist Genever, ich will Sie nicht hintergehen, Mr. Bumble. Es ist Genever.«

      »Geben Sie den Kindern Kaffee, Mrs. Mann?« fragte Bumble, der mit seinen Augen den interessanten Vorgang der Mischung verfolgte.

      »Ach, gesegne es ihnen Gott, ich tue es, so kostspielig es auch sein mag,« versetzte die Wärterin. »Ich könnte sie vor meinen leiblichen Augen nicht leiden sehen, Sir, Sie wissen es ja.«

      »Nein,« sagte Mr. Bumble beistimmend; »nein, Sie könnten es nicht. Sie sind eine menschlich denkende Frau, Mrs. Mann.« (Hier setzte sie das Glas vor ihn hin.) »Ich werde sobald wie möglich Gelegenheit nehmen, es dem Kollegium gegenüber zu erwähnen, Mrs. Mann.« (Er zog das Glas näher zu sich heran.) »Sie empfinden wie eine Mutter.« (Er ergriff das Glas.) »Ich – ich trinke mit Vergnügen auf Ihre Gesundheit, Mrs. Mann«; und er trank es zur Hälfte aus.

      »Und nun zu den Geschäften!« rief der Kirchspieldiener, indem er eine lederne Brieftasche hervorzog. »Der Knabe, der halb auf den Namen Oliver Twist getauft wurde, ist heut neun Jahre alt.«

      »Des Himmels Segen über das liebe Herzchen!« rief Mrs. Mann aus und mußte die Augen mit der Schürze abtrocknen.

      Mr. Bumble fuhr fort: »Trotz ausgebotener Belohnung von zehn Pfund, ja nachher von zwanzig Pfund – trotz der übernatürlichen Anstrengungen des Kirchspiels, sind wir nicht imstande gewesen, seinen Vater ausfindig zu machen oder seiner Mutter Wohnung, Namen oder Stand in Erfahrung zu bringen.«

      »Wie geht es denn aber zu, daß er einen Namen hat?« fragte die Waisenmutter.

      Der Kirchspieldiener warf sich in die Brust und erwiderte »Ich erfand ihn.«

      »Sie, Mr. Bumble!«

      »Ich, Mrs. Mann. Wir benennen unsere Findlinge nach dem Alphabet. Der letzte war ein S – Swubble: ich benannte ihn. Dieser war ein T – Twist: ich gab ihm abermals den Namen. Der nächste, der kommen wird, wird Unwin heißen, der nächstfolgende Vilkins. Ich habe Namen im Vorrat von A bis Z; und wenn ich beim Z angekommen bin, fang' ich beim A wieder an.«

      »Sie sind wirklich ein Gelehrter, Mr. Bumble!«

      »Mag sein, mag sein, Mrs. Mann. Doch genug davon. Oliver ist jetzt zu alt geworden zum Hierbleiben, das Kollegium hat beschlossen, ihn zurückzunehmen, ich bin selbst gekommen, ihn abzuholen; – wo ist er?«

      Mrs. Mann eilte hinaus und erschien gleich darauf mit Oliver wieder, der unterdes gewaschen und bestens gekleidet war.

      »Mach 'nen Diener vor dem Herrn,

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