Der Alpdruck. Ханс Фаллада

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Der Alpdruck - Ханс Фаллада

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nickte dem alten Manne aufmunternd zu und sagte zu dem Russen: »Es ist gut, danke auch schön. Du kannst jetzt wieder gehen.«

      Der Soldat trat, ohne eine Miene zu verziehen, ohne sich auch nur nach ihr umzusehen, auf die Straße zurück. Jetzt drehte sich der Schlüssel im Schloß, und Frau Doll konnte in die Apotheke, in der sich außer dem Siebzigjährigen noch seine wesentlich jüngere Frau und deren nachgeborenes Kind von zwei oder drei Jahren befanden. Sofort nach Frau Dolls Eintritt war die Apothekentür wieder verschlossen worden.

      So lebhaft jede einzelne Erinnerung an diesen ersten Besetzungstag noch viel später in ihr lebte, so unbestimmt war Frau Dolls Erinnerung an das, was in der Apotheke gesprochen worden war. Ja, ihr Medikament bekam sie mit der gewohnten Präzision ausgehändigt, sie wußte auch noch, daß die Bezahlung dafür abgelehnt, dann mit einem trübe lächelnden Auge wie das Spiel eines törichten Kindes angenommen worden war. Nachher aber kam nur Geschwätz, zum Beispiel, sie könne jetzt keinesfalls zwischen den Russen den weiten Weg nach Haus machen, sie müsse unbedingt hier in der Apotheke bleiben. Und doch bezweifelten die Überredenden einige Augenblicke später selbst, ob dieses Haus noch einige Sicherheit biete, ob es nicht doch besser gewesen wäre, sich in den Wäldern zu verstecken. Schon begann man sich Vorwürfe zu machen, warum man nicht schon viel früher in den Westen Deutschlands geflohen sei – kurz, Frau Doll stieß hier auf das gleiche unselige, sinnlose Geschwätz der von endlosem, gequältem Warten Zermürbten, wie es um diese Tage herum in fast jedem deutschen Hause zu hören war.

      Hier aber war es – angesichts der vor den Apothekenfenstern herumrollenden Panzer – besonders sinnlos; keine Entscheidung war mehr zu treffen – alles war entschieden und das Warten vorbei! Dazu kam Frau Doll von draußen, aus der sonnigen Frühlingsluft, sie war zwischen den Panzern gefahren, hatte kurz entschlossen einen Russen beim Ärmel gepackt, der letzte Rest von Gespensterangst war von ihr abgefallen – sie konnte dies Geschwätz einfach nicht mehr ertragen. Sie bat schließlich ziemlich kurz, ihr die Tür wieder zu öffnen, trat auf die Straße, in die Helle zurück, bestieg ihr Rad und fuhr, immer zwischen den stets zahlreicher werdenden Panzern hindurch, weiter in die Stadt hinein.

      Vermutlich ist Frau Doll die letzte gewesen, die den Apotheker mit Frau und Kind an diesem Nachmittag am Leben gesehen hat: ein paar Stunden später gab er sich, seiner Frau und dem Kinde Gift, anscheinend völlig sinnlos: im letzten Augenblick hatten die gequälten Nerven versagt. So vieles hatten sie nun durch Jahre ertragen, nun, da es doch aussah, als könne manches besser, nichts mehr aber schlimmer werden, weigerten sie sich, die Ungewissheit allerkürzesten Wartens noch zu ertragen.

      Aber die gleiche Apothekerhand, die eben noch Frau Doll mit größter Präzision ihr Narkotikum gegen ein Gallenleiden zugemessen, war nicht so glücklich in der Bemessung des Giftes für sich und die eigene Familie: der sehr alte Mann und das sehr junge Kind starben. Die Frau aber genas nach längerem Leiden zum Leben und wiederholte – obwohl vereinsamt – den Selbstmordversuch nicht.

      Alma Doll war noch nicht viel weiter gefahren auf ihrem Rade, als ein wesentlich anderes Bild ihre Aufmerksamkeit fesselte und sie zu einem neuen Halt bewog: vor dem größten Hotel des Städtchens hatte sich eine Gruppe von etwa einem Dutzend Kindern versammelt, zehn- bis zwölfjährige Jungen und Mädchen. Sie sahen dem Fahren der Panzer zu, schrien und lachten, während die russischen Soldaten sie überhaupt nicht zu sehen schienen.

      Die fast wild ausgelassene Stimmung dieser sonst ländlich stillen Kinder erklärte sich durch die Weinflaschen, die sie in ihren Händen hielten. Eben gerade, als Frau Doll von ihrem Rade sprang, schlüpfte ein Junge aus dem Tor des Hotels, die Hände voll neuer Flaschen. Die Kinder auf der Straße begrüßten ihren Kameraden mit einem Jubelgeschrei, das fast dem Aufheulen eines jungen Wolfsrudels glich. Sie ließen die Flaschen, die sie in der Hand hatten, ob sie nun ganz, teilweise oder gar nicht gefüllt waren, achtlos auf dem Pflaster zersplittern und stürzten sich auf die neuen, denen sie ohne weiteres die Hälse auf den Steinstufen der Hoteltreppe abschlugen, worauf sie die Flaschen zu den Kindermündern erhoben.

      Dieser Anblick rief in Frau Doll sofort den äußersten Zorn wach. War ihr schon als Mutter der Anblick eines betrunkenen Kindes verhaßt, so steigerte es noch ihren Zorn, daß diese noch nicht Halbwüchsigen den ersten Einmarsch der Roten Armee durch Trunkenheit schändeten. Fast laufend stürzte sie sich auf die Kinder, entriß ihnen die Weinflaschen und verteilte so ausgiebig Ohrfeigen und Püffe, daß einen Augenblick später der ganze Spuk um die nächste Ecke verschwunden war.

      Aufatmend blieb Frau Doll stehen. Der eben noch heftige Zorn war schon wieder verebbt, und fast heiter blickte sie auf die von ihren Einwohnern verlassene Straße, auf der es außer ihr nichts gab als Panzer und vereinzelte russische Soldaten mit Maschinenpistolen. Dann erinnerte sie sich daran, daß es nun doch wohl an der Zeit sei, heimwärts zu fahren, und mit einem leichten glücklichen Seufzer wandte sie sich wieder ihrem Rade zu. Sie hatte es aber noch nicht erreicht, als diesmal ein russischer Soldat auf sie zutrat, der, auf ihre Hand weisend, ein Päckchen aus der Tasche zog, das er aufriß.

      Sie sah auf ihre Hand und entdeckte erst jetzt, daß sie sich beim Wegnehmen der Flaschen die Hand zerschnitten hatte: Blut tropfte von ihren Fingern. Mit lächelnder Miene ließ sie sich von dem hilfreichen Russen die Hand verbinden, klopfte ihm zum Dank auf die Schulter – er sah fremd durch sie hindurch –, stieg aufs Rad und fuhr nun ohne weitere Abenteuer nach Haus. An eben jener Stelle aber, an der vor einer Stunde noch das Wehrmachtsauto gehalten, fuhren nun auch schon russische Panzer. Ob der Wagen wohl noch fortgekommen war? Sie wußte es nicht, sie würde es wohl nie erfahren.

      Als Frau Doll mit diesen neuen Nachrichten vor ihrem Manne erschien, hörte er aus dem Bericht nur eine Bestätigung des Entschlusses, an der Schwelle seines Hauses die Sieger und Befreier zu erwarten. Aber da die Ankunft der Russen auch an dieser abgelegenen Stelle des Städtchens nun jeden Augenblick erfolgen konnte, brach Doll das Gespräch mit seiner Frau kurz ab und kehrte mit einer in solcher entscheidenden Stunde fast unbegreiflichen Hartnäckigkeit zu seiner Arbeit an den Staudenbeeten zurück, um die letzten Drahtschlingen zu entfernen und säuberlich aufzurollen und die letzten häßlichen Pfähle zu entfernen.

      Weder Abfahrt noch Rückkunft der jungen Frau waren auf den Nebengrundstücken unbemerkt geblieben. Bald fanden sich diese Nachbarn – natürlich stets unter schicklichen Vorwänden, wie etwa, ein Werkzeug zu entleihen – bei Doll ein, schauten seiner Arbeit zu und suchten hintenherum zu erkunden, was Frau Doll wohl in der Stadt gewollt und etwa Neues gesehen habe –? Doll, der auf eine direkte, in solcher Lage völlig berechtigte Frage sofort Auskunft gegeben hätte, haßte dieses feintuende, katzenhafte Herumschleichen um den heißen Brei sehr und dachte nicht daran, eine so verhohlene Neugier zu befriedigen.

      So hätten die Nachbarn unverrichteter Sache wieder abziehen müssen, wenn sich nicht Frau Alma, aus dem Hause kommend, zu ihrem Manne gesellt hätte. Nach Art der meisten jungen Menschen brannte sie darauf, ihre Erlebnisse zu erzählen, und dies um so mehr, da sie doch höchst erfreulich und beruhigend gewesen waren.

      Wirklich führten die Erzählungen der jungen Frau einen völligen Umschwung in der Meinung der Nachbarn herbei: kein Gedanke war noch daran, in den Wald zu flüchten. Alle würden sie, wie Dolls, ihre Befreier in den Häusern erwarten. Ja, manche fingen schon mit deutlichen Worten davon zu reden an, daß es vielleicht gut sein würde, Verstecktes oder Vergrabenes auf den gewohnten Platz zurückzubringen, schon um die Sieger nicht durch Mißtrauen zu kränken. Solche Bemerkungen wurden freilich von den Familienmitgliedern mit ärgerlichen Ausrufen und Kopf schütteln aufgenommen: »Du wirst doch nicht, Olga!« – »Was du auch redest, Elisabeth, sicher bleibt sicher!« – Oder auch: »Ich weiß bei uns von nichts Verstecktem, Minnie, du phantasierst wohl!«

      Dies nachbarliche Gespräch fand seine Krönung durch zwei greise Männer, von Alter schon in den Siebzigern, deren Phantasie sich an der Schilderung der kindlichen Trinkszene vor dem Hotel entzündete. Zuerst war die Wut der beiden Alten unbeschreiblich gewesen. Waren sie denn nicht seit Wochen und

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