Für Anna. Brigitte Krächan
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„Ja und du, wohin meinst du, musst du gehen, um dir etwas zu wünschen?“
„Weiß ich nicht. Vielleicht ist es ganz etwas anderes, das macht, dass ich bestimmen kann. Und manchmal, ohne dass ich es weiß, ganz zufällig ist es da und dann klappt das mit dem Wünschen. Dann kann ich bestimmen. Du sagst dann, es wäre Zufall. Dabei war ich es, der bestimmt hat. Ich muss also nur noch herausfinden, wie es geht, mit dem Bestimmen.“
„Na dann bleib mal an der Sache dran. Aber eines darfst du jetzt schon bestimmen: Was möchtest du gerne zu Mittag essen?“
Wie viele Male überall auf der Welt ist ein solches Gespräch wohl schon geführt worden. Gibt es ein Kind, das diese Frage noch nicht gestellt hat? Die Frage nach dem Zufall und dem, der bestimmt. Und das nicht wenigstens ein Mal davon träumte, derjenige zu sein, der bestimmen darf, dessen Wünsche in Erfüllung gehen.
Wie oft hatte ich mir das selber schon gewünscht. Nicht diese kindlichen Wünsche, nicht einmal jene berühmten Wünsche, von denen man immer drei hat. Wir Erwachsenen wissen, dass Wünschen nicht hilft. Ein Zeitvertreib bei einer Flasche Wein mit Freunden: die Frage, was würdest du wünschen, wenn du drei Wünsche frei hättest.
Nein, mein Wünschen ist bescheidener: nur ein ganz klein wenig die Gabe, die Welt zu bestimmen, ein klein wenig Einfluss nehmen zu können auf den Lauf der Welt. Ein ganz klein wenig dem Zufall eine Richtung geben zu können. Das hätte mir schon genügt. Ich habe es versucht, im Kleinen, aber mit Ausdauer, Lebenswege zu beeinflussen und Richtungen zu ändern, ein bisschen wenigstens zu bestimmen. Ich weiß, es klingt vielleicht alles andere als bescheiden, das zu sagen. Aber es ist wirklich nicht anmaßend. Kennen Sie Don Quichotte? Sein Kampf gegen die Windmühlenflügel ? Wissen Sie, was ich meine? Jeder kennt Don Quichote. Jeder kennt seinen Kampf gegen Windmühlen. Aber wissen Sie auch, ob er jemals damit aufgehört hat? Wissen sie, wie die Geschichte ausging?
Nun, egal.
Ich hatte damit aufgehört. Es war kindisch, zu meinen, man könnte etwas bewirken. Und gefährlich, es zu versuchen. Besser man lebt unauffällig und lenkt nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich.
Öffentlichkeit kann gefährlich werden.
Und doch …
3
„Aber weshalb schreibst du? Für wen?“
fragte ich Tom, „ du musst doch etwas bewirken wollen mit deinem Schreiben. Irgendwie die Welt verändern oder wenigstens weiterbringen. Zumindest die Ansichten deiner Leser ändern. Ihnen etwas Neues erzählen. Sie dazu bringen, etwas zu tun oder etwas zu ändern. Antworten geben oder wenigsten Fragen aufwerfen. Zweifel würden auch schon genügen.“
„Ich schreibe nicht für andere. Ich schreibe für mich.“
„Dann willst du durch das Schreiben etwas über dich selbst erfahren …“
„Nein, ich schreibe Geschichten.“
„Welche Geschichten ? Erzählst du aus deinem Leben? So eine Art Tagebuch? “
„Geschichten eben, erfundene. Sie entstehen in meinem Kopf: Menschen werden da geboren, bekommen einen Namen, einen Charakter, handeln ... Ich beschreibe sie: ihr Handeln, ihre Träume, ihre Freundschaften und Abenteuer.“
„Du schreibst einfach nur deine Geschichten auf? Aber wozu? Willst Du denn nichts bewirken durch dein Schreiben? Etwas verändern oder wenigstens etwas ganz Neues schreiben? “
„Ich mag das Schreiben so, wie ich schreibe. Ich mag es, einfach so Geschichten aufzuschreiben.“
„... ich habe das auch einmal gemacht, das mit dem Schreiben. Aber es hat sich nichts geändert durch das Schreiben, obwohl ich mir wirklich Mühe gegeben habe. Ich habe dann aufgehört.“
„Warum hast du dann aufgehört?“
„Weil ich glaube, dass es nichts mehr zu schreiben gibt, was nicht schon geschrieben wurde. Hast du gewusst, dass jährlich weltweit ungefähr hunderttausend Bücher neu erscheinen und da ist das Vielfache an Manuskripten, die niemals zum Buch wurden noch nicht einmal dabei. Es gibt schon zu viele Leute, die schreiben.“
„Und trotzdem hast du mein Manuskript zurückgeschickt und dich entschuldigt, weil der Verlag es abgelehnt hatte. Und du warst es, die mich gedrängt hat, nicht aufzuhören mit dem Schreiben …“
Das stimmte.
Und ich hatte ihn kurz darauf angerufen. Es war das erste Mal, dass ich den Autor eines Manuskriptes privat angerufen hatte. Ich wollte einfach nur wissen, wer das war, der so schrieb. Er schrieb Geschichten, die sich einfach nur ereigneten, gerade so, als würde man zum Fenster hinaussehen und teilnahmslos beobachten, was da geschah. Da war keine Intention, kein erhobener Zeigefinger, kein Spannungsbogen, keine Wertung; nur eine ruhige, objektive, gelassene Beschreibung des Geschehens. Ich hatte mir damals gewünscht, jemand würde mein Leben so entspannt, so wertfrei beschreiben. Ich glaube, deshalb hatte ich ihn eigentlich angerufen; weil ich mir jemanden zum Reden wünschte, einen ruhigen, ausgeglichenen Freund, mit dem ich reden konnte und der nicht werten würde.
Ich hatte meine Entscheidungen getroffen und ich wollte nur davon erzählen. Neue Ansichten und Ideen brauchte ich keine. Es stellte sich dann bald heraus, dass die einfachen Geschichten einen ziemlich komplizierten, ausgesprochen kritischen Schöpfer hatten. Aber den Freund hatte ich trotzdem gefunden.
Warum sollte man schreiben, wenn man damit nichts bewirkt.
Die Nobelpreise für Literatur werden nicht vergeben, weil einer einfach nur schreibt.
Haben sie einmal eine Laudatio gehört? Immer stellen sie die Wirkung des Buches auf den Leser und auf die Gesellschaft in den Vordergrund. Würde ich einen Nobelpreis vergeben an einen, der einfach nur schreibt, weil er die Worte, die Sprache, die Geschichten liebt. Einen Nobelpreis für eine ganz besonders schöne Geschichte, wunderbar und spannend formuliert und sonst nichts?
Ich glaube kaum.
Und doch ließ mich dieses Gespräch nicht los.
Nichts verändern wollen, nichts bewirken wollen, nichts bestimmen wollen und trotzdem schreiben. Ich konnte mich noch daran erinnern: ich hatte das auch so gemacht, vor Jahren, nein vor Jahrzehnten und damit aufgehört, weil ich eben doch verändern wollte, ein ganz klein wenig den Zufall bestimmen und weil Schreiben, mein Schreiben, dazu nicht taugte.
Und trotzdem schreiben? Ohne diesen Anspruch, auf irgendetwas Einfluss nehmen zu müssen ? Eigentlich ein seltsamer Gedanke.
Aber eigentlich könnte ich es doch auch wieder einmal probieren …
Und dann war da diese schwarze Katze eines Abends an der Balkontür. Ein riesiges Vieh. Sie hatte ausgesehen, als käme sie direkt aus der Hölle: grüne Augen und ein tiefschwarzes Fell. Sie tauchte plötzlich auf, stand unbeweglich da und starrte mich durch das Glas der Balkontür an. Ich hatte sie dann gefüttert; mit solchen schwarzen Katzen muss man sich gut stellen, man kann ja nie wissen ... und irgendwie hatte sie mir auch gefallen. Vielleicht würde sie ja bleiben. Aber sie kam die nächsten Tage nicht wieder, war wohl auf der Durchreise. Doch ich beschloss, diese Katze zum Anlass zu nehmen, wieder mit dem Schreiben zu beginnen.