Emanzipation des Individuums oder seine Funktionalisierung. Jürgen Mietz
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Wenn Lehrer, Psychologinnen, Sozialpädagogen dann noch monomethodische, funktionalisierte Ausbildungen durchlaufen haben, und ihre Institution Ergebnisorientiertheit und Funktionalität verlangt, scheitern nicht selten Hilfebemühungen. Als Lösung erscheint – nicht zuletzt als Entlastungsversuch der Professionellen – die Pathologisierung oder Psychiatrisierung der Scheiternden, oder etwas sanfter, ihre Überweisung in spezielle Maßnahmen oder Kurse, in der Regel nicht ohne ein bürokratisches Prüfverfahren, das sie und / oder die Eltern zu bestehen haben. Mit der Aussonderung aus dem rationalisierten Betrieb der Schule, können nun wieder andere Institutionen und Professionelle ein neues Geschäftsfeld eröffnen[Fußnote 6].
Die Verantwortung der Professionellen
Wie eigentlich müssten Bildung, Erziehung, Beratung, Psychologie aussehen unter Hinzuziehung dessen, was aus einem breiten Spektrum der Forschung und Erfahrung bekannt ist, um Hilfe zu geben? So umfangreich das sein mag und so widersprüchlich – man würde wohl nicht auf die Idee kommen, dass der unternehmerische Sozialstaat, eine auf Funktionalität gestimmte Schule das Wohlergehen, geschweige denn Glück und Leistungsbereitschaft hervorbringen. Wer, wenn nicht die Professionellen sollte das wissen? Ich möchte dazu eine längere Passage von Thomas von Freyberg folgen lassen.
»Woran in der mehr als hundertjährigen Geschichte der Reformpädagogik alle diese guten und begründeten pädagogischen Konzepte und Programme gescheitert sind. Die Antwort auf diese Frage ist fast so alt wie die Reformpädagogik selbst: gescheitert an den gesellschaftlichen Grenzen der Pädagogik. Der Scheinwerfer wäre nun zu richten auf die Professionellen der öffentlichen Erziehung und Bildung.
...
Denn sie haben die pädagogische Verantwortung in ihrem Feld – und mit ihr zwingend auch die Verantwortung für die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten. Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sind verantwortlich, also auch zuständig und damit dann auch verpflichtet zu intervenieren, wenn sie feststellen müssen, dass die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit, die gesetzlichen Regelungen, die Verwaltungsvorschriften, die organisatorischen Gepflogenheiten, die räumlichen und personellen Ausstattungen, kurz: dass die strukturellen Bedingungen ihrer Arbeit im krassen Widerspruch stehen zu den Anforderungen an eine gute Kindertagesstätte oder gute Schule, als Lebens-, Lern- und Handlungsraum, der seine Strukturen vorrangig am Konzept der resilienzstärkenden Lern- und Arbeitsbedingungen ausrichtet.
...
Eine solche strukturelle Verantwortlichkeit der Professionellen hieße, dass sie das Recht – mehr noch - die Pflicht hätten, alle ihre Arbeitsbedingungen und -strukturen an diesen Anforderungen zu messen; so wäre beispielsweise auch die grassierende Verschulung der öffentlichen Vorschulerziehung unter die Lupe zu nehmen. Wohl gemerkt, alles stünde zur Disposition, ...«
Thomas von Freyberg wirft die Frage nach der Resistenz (!) der Professionellen auf. Wie konfliktfähig und konfliktbereit sind sie? Wie nehmen sie ihre Verantwortung für die strukturellen Bedingungen ihrer Arbeit und ihres Arbeitserfolgs wahr?
Er schließt seinen Beitrag folgendermaßen ab:
»Wer nicht über die Notwendigkeit, Bedingungen und Möglichkeiten des Widerstands gegen die gesellschaftlichen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse reden will, sollte über Resilienz und Resourcen der Individuen schweigen.«
2 Resilienz in einer Welt der Katastrophen und der Gewalt – fit für die Krise
Insbesondere die Ausweitung des kapitalistischen Wirtschaftssystems habe zu extremer sozialer Ungleichheit, zu Ausgrenzung, zu Verteilungskriegen und zu klimabedingten Katastrophen in erschreckendem Maße geführt, berichtet die Mitarbeiterin von medio international, Usche Merk[Fußnote 7]. Seit den 1990 er Jahren habe nach anfänglicher Anerkennung der politischen, umweltpolitischen Ursachen für die seelischen Leiden, ein Prozess der Entpolitisierung eingesetzt.
»Nicht mehr Krieg, Vertreibung und Gewalt standen als Ursache für das Trauma im Vordergrund, sondern die PTBS-Symptome der Einzelnen, die nun in privaten Therapieräumen über das sprachen, was sie erlebten und was ihnen angetan wurde.«
Mit dem Konzept der Resilienz scheint es zu einem Rückzug aus dem Bemühen um politische und gesellschaftliche Veränderungen gekommen zu sein. Wenig scheint es darum zu gehen, soziale Verhältnisse in den Blick zu nehmen; vielmehr soll es um den einzelnen Menschen gehen, der resilient werden soll und weitermachen kann.
Resilienzförderung nimmt die Belastungsursachen oder -kontexte selbst nicht mehr in den Blick, sie brauchen – geht es nach diesem Verständnis – nicht verändert zu werden. Sie werden in die Sphäre außerhalb der eigenen Wirkmächtigkeit verlagert. Das gilt dann nicht nur für Kriegs- und Klimakatstrophen „draußen“, sondern auch „daheim“, wo Lernstress, Arbeitslosigkeit oder Führungsschwäche drohen. Wo auch immer: Verunsicherung, Angst und Schrecken werden zu einer persönlichen „Herausforderung“ mit dem Potenzial einer Reifung der Persönlichkeit umgeschrieben. Von der Art und Weise, wie wir leben – im kleinen, wie im globalen Maßstab –, in welch hierarchischen Unterordnungsverhältnissen Politik und menschliches Maß zur Ökonomie stehen, über Ursprünge unserer Belastung sollen wir nicht nachdenken. Wir sind Teil der Orwell’schen Maschinerie. Vertraue dem herrschenden System. Der Mensch passt sich daran an, er gestaltet, fragt und kritisiert nicht. Seine Freiheit ist, sich resilient zu machen.
3 Resilienz und Sicherheitspolitik
Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man betrachtet, wie Resilienzförderung in der so genannten Sicherheitspolitik diskutiert beziehungsweise vorangetrieben wird. Im Anschluss an das Weißbuch 2016 des Verteidigungsministeriums[Fußnote 8] –
»Für die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge ist die Stärkung von Resilienz und Robustheit unseres Landes gegenüber aktuellen und zukünftigen Gefährdungen von besonderer Bedeutung. Dabei gilt es, die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen, Bürgerinnen und Bürgern sowie privaten Betreibern kritischer Infrastruktur, aber auch den Medien und Netzbetreibern zu intensivieren. Das Miteinander aller in der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge muss selbstverständlich sein.« S. 48, –
macht die Bundesakademie für Sicherheit Resilienz zu einem ihrer großen Themen. Forsch und in Gestalt eines Aufrufs heißt es: »Vorwärts Resilienz! – Vorschläge zum Resilienzausbau in Deutschland«[Fußnote 9]. Der Formulierungsvorschlag des Autors, Michael Hanisch, Oberstleutnant i.G. und persönlicher Referent des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, für das, was man brauche, lautet »Nationale[r] Aktionsplan Resilienzstärkung«. Es gehe um die Stärkung der eigenen Krisenfestigkeit:
»Effektive[s] Umgehen, Verkraften und Anpassen an unvermeidliche Störungen, wie etwa Umweltkatastrophen, Terroranschläge oder Propaganda, ein elementarer