Emanzipation des Individuums oder seine Funktionalisierung. Jürgen Mietz

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Emanzipation des Individuums oder seine Funktionalisierung - Jürgen Mietz

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wurden, stuft der Autor als nicht ausreichend an:

      »Doch letztlich bilden die damit verbundenen Fähigkeiten „nur“ einen ganz spezifischen Bereich von Resilienz ab. Es gibt aber weitaus mehr Formen von „Krisenfestigkeit“, etwa eine robuste Wirtschaft oder die psychische Bewältigungskompetenz von Individuen oder Kollektiven, die einer Extremsituation ausgesetzt waren.«

      Michael Hanisch empfiehlt zu sondieren, welch unterschiedliche Projekte und Initiativen dem Resilienzausbau zugeordnet werden könnten. Damit ließe sich ein Mehrwert für ihn erzielen.

      Als Element eines größeren Programms bringt Michael Hanisch kommunale und lokale »Resilienzpartnerschaften« ins Gespräch. Klar ist auch, dass sich der Resilienz-Ausbau in Kennziffern fassen lassen muss.

      »Denn nur wenn klar ist, wie eine spezifische „Krisenfestigkeit“ gemessen werden kann, lässt sich auch feststellen, zu welchem Maß diese bereits existiert, wie wirksam Maßnahmen zu deren Förderung sind und inwieweit politische Zielvorgaben erreicht wurden.«

      Also wird es ähnlich zugehen, wie bei der Schulentwicklung, im Gesundheitswesen, in der Altenpflege oder bei der Vergleichbarkeit des Abiturs. Verkennzifferung allerorten. Gewiss wie die Vermessung ist, dass Geld investiert werden muss. Weitergedacht ist vorstellbar, dass pädagogische und psychosoziale Einrichtungen und private Institute Verknüpfungen zur „nationalen Aufgabe Resilienzausbau“ herstellen, um an Gelder zu kommen. Es sollte doch möglich sein, die eigene Arbeit in das Licht nationaler Gesundherhaltung zu stellen, oder nicht?

      Bei der Wirtschaft ist Michael Hanisch zuversichtlich, dass diese ihren Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Resilienzverantwortung sehen und wahrnehmen werde. Skeptischer ist er dagegen, was die Bereitschaft des einzelnen Bürgers angeht, obwohl gerade sie für »die angestrebte gesellschaftliche Gesamtresilienz« wesentlich seien. Dazu sollte eine »Informationskampagne zur Bedeutung von Resilienz« auf den Weg gebracht werden. Die müsste allerdings so geschickt gestaltet sein, dass sie nicht gleich der Verhohnepipelung anheimfiele. Der Bürger muss krisenfest gegenüber Propaganda, Fake News und Terroranschlägen gemacht werden.

      4 Nicht die Gefährdungen verhindern, sondern die Verwundbarkeit vermindern

      In einer anderen Einrichtung, die der Regierung nahesteht, der Stiftung Wissenschaft und Politik, wird das Thema Resilienz bereits 2015 aufgegriffen[Fußnote 10]. Im Tenor und in der Wortwahl ist der später erschienene Artikel »Vorwärts Resilienz!– ...« ähnlich. Man scheint sich zu kennen. In dem Artikel aus dem Jahre 2015 von Oliver Tamminga, Oberstleutnant i.G., ist herausgearbeitet, dass wir allseits wehrhaft sein müssen, denn Angriffe kommen nicht unbedingt in militärischem Gewand daher. Die Zivilgesellschaft gehört eingebunden, bekannt vom Begriff der »Gesamtverteidigung«. Mit dem universal ausgeweiteten Resilienzbegriff (in Pädagogik, Soziale Hilfen, Führungskräfteausbildung etc) sind allen seine Prinzipien in Fleisch und Blut übergegangen, Körper geworden. Überall lauern Gefahren und Gefährdungen. Deshalb

      »ist es nicht mehr sinnvoll, das sicherheitspolitische Handeln primär darauf auszurichten, die Vielzahl hybrider Bedrohungen zu verhindern. Ziel muss es stattdessen sein, auf eine Verminderung der eigenen Verwundbarkeit hinzuarbeiten.«

      So haben denn Entdemokratisierung, Abbau von Ebenbürtigkeit und Partizipation ein Maß an Zerfall und Aggression bewirkt, dass es nicht mehr „lohnt“ oder erfolgversprechend scheint, nach besseren Strukturen mit anderen Handlungen und Entscheidungen zu suchen. Man setzt einfach bei den Opfern oder potenziellen Opfern an. Eine andere Politik für die Welt, für Bildung und Soziales ist dem Anschein nach nicht denkbar und Aufgabe. Das befreit „uns“ davon, in den Re-Aktionen (wie Terrorismus, Vandalismus, Resignation, Depression) nach unserer Mitverantwortung zu suchen. Stattdessen sollen wir uns mit einem hermetischen Schutz ummanteln, der uns gegen Leid immunisiert.

      Im globalen Maßstab brauchen wir demnach keine Friedenspolitik mehr. Im lokalen, nationalen oder europäischen Maßstab brauchen wir uns nicht mit den Folgen gezielter Entstaatlichungs- und Begünstigungs- (Angebots-) Politik (wir haben den besten Niedriglohnsektor, so oder so ähnlich Ex-Kanzler Schröder) auseinanderzusetzen, geschweige denn eine andere Sozialpolitik (als Friedenspolitik nach innen) zu machen.

      Mit diesen folgenreichen Umformungen des Denkens über Ursachen und Lösungsansätze gehen tendenziell – auch in pädagogischen und psychosozialen Institutionen – Fähigkeit und Bereitschaft zu Einfühlungsvermögen, Identifizierung, Rollenübernahme und -distanz verloren. Einfühlung etc. dienen dann weniger der Ermöglichung von Selbstklärung in einem haltenden Kontext als der Möglichkeit, Daten für eine Diagnose zwecks Einordnung in Problemgruppen zu sammeln.

      5 Resilienz als Geschäftsmodell und Legitimation für den Abbau von Gesellschaftlichkeit

      Flankiert wird diese herrschende Politik und Ökonomie der institutionalisierten Verunsicherung und Vorteilssicherung (Wettbewerb) von einem Konzept, das die rabiate Auflösung „überkommener“ Verhältnisse mit einem Begleitprogramm adelt: Managementtheorien und -trainings versuchen, Entscheidern das Leben in der vuca-Welt nahezubringen. Wir leben demnach in einer Welt, die von volatility, uncertainty, complexity, ambiguity gekennzeichnet ist. Da ist natürlich was dran und das gab es schon immer, wenn man Leben betrachtet, wie es war, wie es ist und wie es vermutlich sein wird.

      Das vuca-Konzept nimmt nun aber mit der Heraushebung dieser Eigenschaften die Gelegenheit wahr, sich von Zielen, verlässlich zu machenden Entwicklungswegen, Strukturvereinfachungsprozessen und Mitmenschlichkeit zu verabschieden. Wir werden Merkel, die uns sagt, die Welt sei eine ganz, ganz unruhige Welt (von der sie ausblendet, dass sie sie mitgeschaffen hat), und man könne nur noch auf Sicht fahren. Damit wird verfestigt, was Thomas Gebauer[Fußnote 11] feststellt:

      »Der Verlust der sozialen Kohäsion, die grassierenden seelischen Erschütterungen – all das ist Resultat von Politiken, die kaum noch den Bedürfnissen und Rechtsansprüchen der Menschen folgen, dafür umso mehr den Vorgaben der politischen und ökonomischen Macht.«

      Resilienz(förderung) sei inzwischen so konzipiert, dass sich mit ihr Geschäfte machen ließen, dass sie Legitimationsdefizite überwinden helfe und bestehende Unrechtverhältnisse stabilisiere. Ein ganzer Berufszweig könne nun auf die Verlustängste, die aus der Aufkündigung von Gesellschaftlichkeit resultierten, marktförmig reagieren.

      Noch die übelsten Ereignisse und Schicksale und bevorstehende Traumata werden zu einer Chance für Resilienzförderung. Wer in diesem Themenfeld tätig wird, kann auf eine (schiefe) Ebene geraten, die er oder sie nie hat betreten wollen. Was in der sicherheitspolitischen Dimension der Resilienz offen ausgesprochen ist, kommt in der psychosozialen noch versteckt zum Ausdruck: es geht darum, sich auf das Unvermeidliche einzurichten. Und das Unvermeidliche liegt außerhalb unserer Sphäre, ist also nicht gestaltbar. Das Unvermeidliche ist das, was kommt. Sollen wir glauben. Das ist Religion – und Propaganda. Schon resilient? Nachdenken.

      Juli 2017

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