BeOne. Martha Kindermann
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»Wer mag zuerst?« Sly hat eine Hand auf den Türgriff gelegt und schaut uns spannungsvoll entgegen. Die Freiheit rückt in greifbare Nähe und das ist wahnsinnig erfüllend.
»Ich möchte, wenn es okay ist!« Keine Ahnung, wann ich mich jemals aufgedrängt habe, aber heute blicke ich dem langersehnten Tag so positiv entgegen, dass ich es einfach nicht erwarten kann.
»Gut, Roya, dann raus mit dir!« Sly legt mir unterstützend die Hand auf die Schulter und ein wohliges Kribbeln durchfährt mich, als ich einen kühlen Luftzug verspüre.
»Wow!« Ich bin überwältigt. Sofort drängen sich Tamika, Sly und Tam an meine Seite und steigen dicht an dicht mit mir die Treppen des Campers hinab. Wir sind umringt. Umringt von unzähligen Wohnwagen in allen Farben des Regenbogens. Manche haben Tücher als Zelte aufgespannt, andere eine Feuertonne vor ihrem Zuhause aufgebaut. Inmitten der Blechwagensiedlung wurde eine Art Klettergerüst zusammengezimmert, auf welchem ein Dutzend Kinder zu Gange ist, und direkt neben unserem orangefarbenen Wohnmobil stehen drei gescheckte Ziegen und fressen unbeeindruckt aus einem Eimer widerliche Essensreste.
»Kommt jetzt!« GAM schwingt seine geliebte Eisenstange und führt unseren Zug von ungläubigen Touristen ins Unbekannte.
»Sind wir unter der Erde?« Tamika greift unsicher meinen Unterarm und haucht mir die Frage ins Ohr.
»Siehst du den Himmel, Tamika?«
»Nein, wieso?«
»Tja, dann.« Mehr kann ich darauf nicht antworten. Weit und breit ist kein Wölkchen zu entdecken und auch die geliebten Sonnenstrahlen, nach denen ich mich so verzehre, sind außer Sichtweite. Über unseren Köpfen erstreckt sich eine Metallkuppel, welche wie eine Patchworkdecke aus Wellblech, Aluminiumträgern und allerhand Schrott zusammengepuzzelt wurde und keinen Ausgang bereithält. Entweder wir sind in einem Bunker, irgendwo im Nirgendwo oder diese Wahnsinnigen haben die Tunnelsysteme in eine unterirdische Stadt verwandelt, um den Drohnen der Regierung zu entkommen. Wie lange sie wohl an diesem Konstrukt gebaut haben?
»Wie viele Boli…«, Sly räuspert sich künstlich, »Also, wie viele von euch leben denn hier unten?« Mutig, mutig, Junge!
»Bei unserer letzten Zählung vor einigen Wochen haben sich 421 Männer, 487 Frauen und 76 Kinder gemeldet. Das ist ein Rekord, auf den wir sehr stolz sind.« GAM grinst. In diesem bulligen Kerl steckt irgendwo ein kleiner Junge, der einfach nur geliebt werden will und Sly ist auf dem besten Weg den Schlüssel zu seinem großen Teddybärenherz zu finden.
»Das könnt ihr auch, GAM. Das könnt ihr!« Dieser Schleimer. Wir vier können ein Schmunzeln einfach nicht verdrücken.
»Wie bist du hier gelandet?« Tamika nutzt die Gunst der Stunde, um den Draht zu unserem Aufseher zu verfestigen.
»Hältst du deinen Mund, wenn ich dir die Frage beantwortet habe, junge Dame?« Aha, junge Dame, so kann es gehen. Noch vor wenigen Tagen hab ich mit angesehen, wie seine Kollegen mit ihren dreckigen Stiefeln auf Tamika eingetreten haben, während sie erschöpft und hilflos am Boden lag, und nun sind wir bei junge Dame. Der Typ frisst uns in kürzester Zeit aus der Hand, wenn wir nur schön weiter Interesse heucheln.
»In Ordnung. Aber nun erzähl, ich bin schon ganz aufgeregt.« Wir laufen im Entenmarsch durch die Wohnwagensiedlung und lauschen GAMs Geschichte:
»Ich hatte eine Frau – Inka – wir lebten in Ost/34 in einem netten Reihenhaus und hatten einen Sohn. Als er erst ein Jahr alt war, wurde Irma erneut schwanger. Wir hatten es nicht geplant, aber die Geburt verzögerte sich und so erblickten unsere Kinder am 03. Januar eines Polarjahres das Licht der Welt.«
»Kinder?« Tamika reagiert schnell.
»Ja. Es waren zwei Mädchen. Centa und Cecille.« Centa, ungewöhnlich seltener Name.
»Aber dann hattet ihr ja drei? Wie…« GAM schneidet ihr das Wort ab und fährt mit starker Stimme fort.
»Gar nicht. Centa wurde uns noch in dieser Nacht weggenommen, da sie die Jüngere der beiden war, und von den Behörden verschleppt.« Mir dämmert es und ich bleibe stehen, damit ich nicht über meine eigenen Füße stolpern muss.
»Du ahnst, was jetzt kommt, oder Roya?« Tam greift mit dem Arm um meine Hüften und zieht mich sanft weiter.
»Ich war außer mir, verlor die Kontrolle und schlug einen der Beamten krankenhausreif. Daraufhin landete ich im Gefängnis und erhielt ein Besuchsverbot für meine Familie. Inka zerbrach schon bald an diesem Unglück und starb ein Jahr später im Haus ihrer Eltern. Valentin und Cecille wuchsen bei Oma und Opa in NW auf und hatten mich vergessen, als ich vierzehn Jahre später aus dem Knast entlassen wurde.«
»Das ist ja grausam!«, entfährt es mir.
»Was hast du erwartet, Prinzessin? Dass wir Boliden, wie ihr so schön sagt, aus Jusx und Tollerei in den Tunneln hausen, weil wir das Sonnenlicht scheiße finden und unter uns sein wollen?« Nein, natürlich nicht, aber seine Geschichte geht mir an die Nieren, auch wenn ich den Namen seiner jüngsten Tochter zu ignorieren versuche.
»Hast du wieder Kontakt zu deinen Kindern erhalten?« Ich muss es einfach wissen.
»Ich versuchte es. Immer und immer wieder, doch Inkas Eltern gaben mir die Schuld am Tod ihrer Tochter und erwirkten eine einstweilige Verfügung gegen mich, die mir verbot, mich mehr als 200 Metern meinen Kindern zu nähern. An Valentins Geburtstag legte ich ein Paket vor die großelterliche Tür und wurde verhaftet. Vier weiter Jahre saß ich ab, bis sich mein Leben schlagartig änderte, als…«
»Gabriel Alexander Moreno, wie lange soll ich noch auf dich und deine Königskinder warten?« Daloris steckt den Kopf aus ihrem hellblauen Wohnwagen und verschränkt genervt die Arme vor der fülligen Brust. »Erzählst du ihnen wieder irgendwelche Märchen aus deiner traurigen Vergangenheit? Schweigen ist Gold – wie oft muss das noch in deinen glattrasierten Schädel hinein?«
»Wie hat sie dich eben genannt?« Sly spricht aus, was wir Schläfer einfach nicht überhören konnten.«
»Gabriel Alexander Moreno – kurz GAM. Seid ihr schwer von Begriff, Leute?« Tamika hat gut zugehört, doch die Abkürzung ist es nicht, die uns stutzig macht. Dieser Typ, dieser Ledermanteltyp mit den tätowierten Armen und der bedrohlichen Statur trägt den Namen Moreno und ist der Vater von einem Gewissen Valentin, welcher in NW aufgewachsen ist und eine jüngere Schwester an die Dritten verlor. So viele Zufälle kann es nicht geben. Mir brummt der Kopf. Die Schweißperlen rinnen mir an den Schläfen hinunter und ich bin des Schluckens nicht mehr mächtig. Dieser Typ, GAM, der brutale, doch im Herzen gütige GAM ist Morenos Dad und wahrscheinlich der Vater unserer amtierenden Präsidentin. Jetzt habe ich Angst. Jetzt habe ich eine scheiß Angst, denn wenn er hier auf einem Autofriedhof lebt, während sein eigen Fleisch und Blut das Land zu retten versucht, dann muss irgendetwas gewaltig schief laufen und das werden wir herausfinden müssen.
Abwracken und Tee