SIE. Henry Rider Haggard
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Dieser Kallikrates, der offenbar nach griechischer Sitte den Namen seines Großvaters trug, versuchte anscheinend das Vermächtnis auszuführen, denn seine stark verblasste und kaum noch leserliche Eintragung lautete: Ich gab die Reise auf, denn die Götter waren gegen mich. Kallikrates an seinen Sohn.
Zwischen diesen beiden Eintragungen, deren zweite von oben nach unten geschrieben und so schwach und undeutlich war, dass ich sie ohne die von Vincey verfertigte Nachbildung wohl kaum hätte entziffern können, stand der forsche, moderne Namenszug eines Lionel Vincey, Aetate sua 17, der wohl von Leos Großvater stammte. Rechts davon entdeckte ich die Initialen J. B. V. und darunter eine Anzahl griechischer Unterschriften in Unzial- und Kursivschrift sowie mehrmals den Satz An meinen Sohn, der darauf hindeutete, dass die Scherbe gewissenhaft von Generation zu Generation weitervererbt worden war.
Die nächste lesbare Inschrift nach den griechischen Namenszügen lautete: Romae, A. U. C. Sie zeigte, dass die Familie inzwischen nach Rom übersiedelt war. Das Datum ihrer dortigen Niederlassung ist leider mit Ausnahme der Endung CVI für immer verlorengegangen, denn gerade an der Stelle, wo es stand, war ein Stück der Scherbe abgebrochen.
Es folgten sodann zwölf lateinische Unterschriften, die über die ganze Scherbe verstreut waren. Sie alle endeten, mit nur drei Ausnahmen, mit dem Namen Vindex, der Rächer, den die Familie nach ihrer Übersiedlung nach Rom anstelle des griechischen Tisisthenes, das gleichfalls Rächer bedeutet, angenommen zu haben schien. Dieser Name verwandelte sich sodann in De Vincey und schließlich in das einfache, moderne Vincey. Wie seltsam, dass auf diese Weise der von einer Ägypterin vor Christi Geburt geleistete Racheschwur in einem englischen Familiennamen erhalten blieb!
Einige der römischen Namen auf der Scherbe habe ich später in Geschichtswerken und anderen Annalen wiedergefunden. Es waren, wenn ich mich recht entsinne, die folgenden:
MUSSIUS VINDEX
SEX. VARIUS MARULLUS
C. FUFIDIUS C. F. VINDEX
und
LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS,
wovon der letzte natürlich der einer römischen Dame war.
Die folgende Liste umfasst sämtliche lateinische Namen auf der Scherbe:
C. CAECILIUS VINDEX
M. AIMILIUS VINDEX
SEX. VARIUS MARULLUS
Q. SOSIUS PRISCUS SENECIO VINDEX
L. VALERIUS COMINIUS VINDEX
SEX. OTACILIUS M. F.
L. ATTIUS VINDEX
MUSSIUS VINDEX
C. FUFIDIUS C. F. VINDEX
LICINIUS FAUSTUS
LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS
MANILIA LUCILLA CONIUX MARULLI VINDICIS
Auf diese römischen Namen folgt offenbar eine Lücke von mehreren Jahrhunderten. Nie wird sich in Erfahrung bringen lassen, was mit der Scherbe in jenen dunklen Zeiten geschah und wie es kam, dass sie von der Familie aufbewahrt wurde. Wie man sich entsinnen wird, hatte mein armer Freund Vincey mir erzählt, dass seine römischen Vorfahren sich später in der Lombardei niederließen und dann, als Karl der Große in diese einfiel, mit ihm über die Alpen zogen und sich in der Bretagne ansiedelten, von wo sie unter der Herrschaft Edwards des Bekenners nach England übersiedelten. Woher er dies alles wusste, ist mir nicht bekannt, denn auf der Scherbe findet sich kein Hinweis auf die Lombardei oder Karl den Großen, während, wie man gleich sehen wird, die Bretagne erwähnt wird. Doch weiter: Die nächsten Eintragungen auf der Scherbe, wenn man von einem länglichen Fleck aus Blut oder roter Farbe absieht, sind zwei rote Kreuze, die wohl Kreuzfahrerschwerter darstellen, und ein zierliches in Scharlach und Blau gemaltes Monogramm (D. V.), welches vielleicht von der gleichen Dorothea Vincey stammt, die den bereits erwähnten Vers schrieb. Links davon standen in blassem Blau die Initialen A. V. und das Datum 1800.
Dann folgte die vielleicht merkwürdigste Inschrift auf diesem ungewöhnlichen Relikt. Sie ist in gotischen Buchstaben und lateinischer Sprache abgefasst, läuft quer über die Kreuze oder Kreuzfahrerschwerter hinweg und trägt das Datum 1445. Wir entdeckten außerdem, was noch sonderbarer ist auf einer zweiten Pergamentrolle in dem Kästchen eine gleichfalls in gotischen Buchstaben verfasste Übersetzung der lateinischen Inschrift.
Modernisierte Schriftform dieser Inschrift:
»Ista reliquia est valde misticum et myrificum opus, quod majores mei ex Armorica, scilicet Britannia Minore, secum convehebant; et quidam sanctus clericus semper patri meo in manu ferebat quod penitus illud destrueret, affirmans quod esset ab ipso Sathana conflatum prestigiosa et diabo- lica arte, quare pater meus confregit illud in duas partes, quas quidem ego Johannes de Vinceto salvas servavi et adaptavi sicut apparet die lunae proximo post festum beatae Mariae Virginis anni gratiae MCCCCXLV.«
Übersetzung dieser Inschrift:
»Diese Reliquie ist ein sehr mystisches und wundersames Werk, welches meine Vorfahren aus Armorica, das ist Klein-Britannien (die Bretagne), mitgebracht haben; ein Geistlicher riet meinen Vater eindringlich, sie gänzlich zu vernichten, da sie vom Satan selbst durch magische und teuflische Kunst angefertigt sei, weshalb mein Vater sie nahm und in zwei Stücke zerbrach, doch ich, Johannes de Vincey, rettete beide Teile und fügte sie, wie Ihr seht, wieder zusammen am heutigen Montag nach dem Fest der Heiligen Jungfrau Maria im Jahre des Heils 1445.«
Die nächste und vorletzte Eintragung stammte aus der Zeit Königin Elisabeths und trug das Datum 1564: »Eine höchst seltsame Historie, die meinen Vater das Leben gekostet hat; denn auf der Suche nach dem Platz an der Ostküste Afrikas wurde seine Pinasse bei Lorenzo Marquez von einer portugiesischen Galeone versenkt, wobei er ertrank. - John Vincey.«
Es folgte die letzte Inschrift, die, nach der Schreibweise zu schließen, von einem Vertreter der Familie um die Mitte des 18. Jahrhunderts stammte. Es war eine nicht ganz korrekte Wiedergabe des bekannten Zitats aus Hamlet; sie lautete:
»Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde,
Als du dir in deiner Schulweisheit träumen lässt,
Horatio.«
»So, mein lieber Leo«, sagte ich, nachdem ich alle diese Schriften, soweit sie lesbar waren, sorgfältig untersucht hatte, »das wäre alles. Nun kannst du dir deine eigene Meinung über das Ganze bilden. Die meine steht bereits fest.«
»Und wie sieht sie aus?«, fragte er neugierig.
»So: Ich halte diese Scherbe für echt und glaube, dass sie, so seltsam das auch scheinen mag, seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. in deiner Familie weitervererbt worden ist. Die Eintragungen beweisen das eindeutig, und wir müssen diese Tatsache, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, akzeptieren. Doch das ist auch schon alles. Dass deine Ahne, die ägyptische Prinzessin, oder ein von ihr beauftragter Schreiber die Eintragung verfasst hat, steht für mich außer Zweifel, doch ebenso fest bin