Nachspiel. Roland Reitmair

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Nachspiel - Roland Reitmair

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war beim Metzger, hinten im Stüberl, wo sich die Einheimischen am Samstag immer zum Kartenspielen trafen. Gespannt verfolgte der Gustl, was die Erwachsenen da plötzlich mit schneidender Stimme zu besprechen hatten. Er merkte, dem Adolf war nicht so ganz wohl in seiner Haut, „Trinkst auch noch einen?“, fragte dieser den Vater. Gustl verhielt sich still.

      Erst daheim wollte er dann wissen, was mit dem Adolf in dem Moment los war, warum der so seltsam geschaut hatte.

      „Ach weißt, Gustl“, sagte sein Vater, „der Adolf hat nicht nur den gleichen Namen wie der Schickelgruber, der hat sich damals viel von den angekündigten Neuerungen versprochen. Und er hat halt vieles nicht sehen wollen, was so passiert ist. Das tut ihm jetzt leid ...“

      Was er denn getan hätte, wollte Gustl wissen, aber der Vater sagte nicht viel. Nur, dass Adolf im Grunde bestimmt nichts Böses wollte. Dass er halt wie so viele andere damals einfach mit den falschen Mitteln versucht hatte, die schlechte Zeit zu meistern ...

      Den Adolf konnte der Gustl eigentlich immer gut leiden. Der kam früher auch oft zu ihnen nach Hause, mit seiner Frau, der Eva. Dann wurde Karten gespielt. Bauernschnapsen. Frauen gegen die Männer. Gustl saß daneben und „kiebitzte“. Während aber der Adolf noch lachen konnte, selbst wenn Gustl gar einmal seine Karten verriet, schimpften Eva und die Mutter schnell einmal.

      Adolf erklärte ihm dann jedes Mal, dass die „Damen“ ohnehin schon so einen schweren Stand hätten. Und wenn die Frauen dann lautstark protestierten, lachte er noch mehr und drohte ihnen einen „Schneider“ an.

      Und bevor Adolf mit der Eva heimging, steckte er Gustl meistens noch einen Fünfziger oder einen Hunderter zu. „Für die neue Angelrute“, sagte er und sagte es auch noch, als der Gustl schon längst eine neue gekauft hatte.

      Das letzte was Gustl vom Adolf gehört hatte war, dass sein Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Viele aus dem Ort meinten damals, er hätte das Tunnelportal extra anvisiert, aus Liebeskummer.

      „Der Adolf hat sich seither nicht mehr erfangen. Pausenlos redet er vom Umbringen, weil er in seinem Leben noch „nie nichts“ richtig gemacht hätte. Nicht einmal den Sohn hätt’ er vor seinem Schicksal bewahren können ... Die Eva ist schon ganz verzweifelt, dass er sich auch noch was antut“, hatte der Vater erzählt.

      Gustl tat der Adolf leid, was er auch falsch gemacht hatte in seinem Leben, er war ein netter Kerl und vor allem war er immer nett zu ihm.

      Dem Adolf sollte er wieder einmal schreiben ...

      Gleich hinter dem Kriegerdenkmal lag Richtung Südost der Friedhof. Gustl musste kurz stehen bleiben und verschnaufen. Das Atmen ging immer schwerer.

      Über die Friedhofsmauer lugten die Flachdächer der Siebzigerjahre-Siedlung herüber, daneben kam eine Reihenhaussiedlung aus der zehn Jahre späteren „Epoche“, dann die größeren Mehrfamilienhäuser, Baustil „Neue Heimat“. Dahinter standen schon die Häuser, in denen auch Gottfried und er ihre Wohnungen hatten.

      Von Gustls Balkon aus konnte man in dieser Richtung die Kalkberge östlich vom Traunstein sehen. Priel, Warscheneck und Pyhrgas zum Beispiel, oder etwas weiter östlich das Sengsen-Gebirge. Dazwischen schien es nur Felder zu geben, Wälder und Wiesen. Die Sicht auf die Berge war wichtig für ihn, er war inmitten von Bergen aufgewachsen. Jetzt in der Ebene fühlte er sich immer ein bisschen unwohl, „da zerfließt irgendwie alles, da kommt man nirgends her und geht nirgends hin, ein Hügel um den anderen ...“

      Es war für ihn einer der triftigen Gründe, sich diese Wohnung hier zu mieten: die Sicht auf die Berge. Obwohl sie viel mehr kostete als die Wohnung in der Stadt drüben. Freilich, gleich in der Senke hinter den Buchen am Hügel drüben, befand sich das Industriezentrum, aber das konnte man weder sehen noch riechen. Und wenn die entfernten Kalkfelsen in der Früh im ersten Licht der Sonne ganz rot leuchteten, fing der Tag schon anders an…

      „Seit dieser Bürgermeister im Amt ist, entstehen nur mehr Zentren“, dachte er, „der ist schon ein besonderer Fall, zuerst geht er auf Stimmenfang und wenn er dann die Versprechen nicht halten kann, gibt er sich als wohltätiger Märtyrer aus, das muss man auch erst einmal können. Der Bürgermeister“, schüttelte er den Kopf.

      Zu Hause entkorkte der Gustl eine Flasche Zweigelt, vom Weingut Hannes Igl, Niederösterreich. Biobauer stand auf dem Etikett. Er rief den Gottfried an. „Weiß eh, dass du nichts trinkst, aber ... kommst kurz rüber?“

      Gottfried wusste, dass Gustl in solchen Momenten nur ein offenes Ohr brauchte, jemanden der seinen Gedanken und Ausführungen zuhört. Meistens sprach er in einem Monolog über Gott und die Welt. Manchmal hatte der Gottfried das Gefühl, die Vorzeichen hätten sich umgekehrt. Nun trank oft der Gustl viel zu viel Wein und Gottfried versuchte ihn zu stabilisieren.

      „Er ist so ein oberwichtiger Wichtling, der Herr Ortsvorsteher, der Schrebergartendiktator, mit seinem Zahnpasta-Lachen ... Glaubt, der Ort ist seine Privatangelegenheit. Lebensqualität hört offenbar bei seinem Gartenzaun auf. Alles, was außerhalb liegt, ist ihm völlig egal. Er wäre dem Gemeindewohl verpflichtet? Das wird er anders gemeint haben ... uns hat er gemeint, die wir ihm beipflichten sollten ... Ja! Das hätte er gern. Brave Bürger, die ihn wählen und dann schalten und walten lassen, ohne auch nur nachzufragen. So sind diese Leute eben ... und die Welt wird sich wohl so schnell nicht ändern.“

      Und noch ein Glas Wein vom Hannes Igl, Biobauer ... um des Genusses Willen – auch um betrunken zu sein, um zu vergessen. Vor allem aber wegen der Schmerzen.

      Das letzte EKG war nicht unbedingt zur Zufriedenheit der Ärzte ausgefallen. Schonen sollte er sich, aber schonen, das hieß schon wieder so ein bisschen Mund zu und akzeptieren, damit dann so Leute wie der Bürgermeister ihre gesegnete Ruhe haben.

      „In Wels drüben stehen Wohnungen frei. Ich hab beim Bauausschuss der Landesregierung angerufen, die sagen, dass im Bereich Wels ein gehöriger ,Wohnungsüberschuss‘ besteht. Für Thalheim ist angeblich überhaupt nur ein einziger Wohnungssuchender vorgemerkt – der in der Stadt drüben auf Anhieb fünf Wohnungen beziehen könnte ...

      Und trotzdem soll da vor unseren Fenstern ein geförderter Wohnbau mit so um die vierzig Wohnungen entstehen ... für sozial Bedürftige, so ein Wahnsinn! Ich sag’s dir, der Bürgermeister und sein feiner Freund Fellinger von der Novum, die kassieren da mit. Die verdienen sich mit solchen Vergaben eine goldene Nase – die sind korrupt. Korrupte Hunde. So ist die Welt ...“

      „He – mach mal einen Punkt!“, versuchte ihn Gottfried zu beruhigen, „wir werden tun, was wir tun können, dieses Projekt zu verhindern, aber wirklich wehren, dazu fehlen uns die Mittel – das letzte Wort hat der Bürgermeister ...“

      „Ja, aber so ein Bürgermeister kann einem das Dasein verleiden. Vielleicht ist es ohnehin besser, wenn es dann einmal vorbei sein wird. Leben heißt leiden, sagen die Buddhisten. Sterben ist Erlösung, meinen die Katholiken ...“

      Mit Gustl war nicht gut reden, wenn er in so einer Stimmung war. Dann kam er vom Hundertsten ins Tausendste. Er schenkte sich nach.

      „Weißt du Gottfried, so ein klein wenig sind wir sicher alle wie dieser Bürgermeister ... suchen den geringsten Widerstand, sind auf den eigenen Vorteil bedacht. Aber Gelegenheit macht Diebe – und dieser Edtauer sucht jede Gelegenheit. Die einfachen Leute, die Masse, die arbeiten acht bis zehn Stunden am Tag, die haben dazu keine Gelegenheit. Die arbeiten hie und da einmal schwarz und verdienen sich einen Hunderter zusätzlich, das ist alles. Und sogar den Hunderter geben sie sozusagen im Sinn der seltsamen Volkswirtschaft aus – kaufen sich einen Fernseher oder sonst einen Blödsinn, weil sie für aktive

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