Der gezähmte Soldat. Thomas GAST

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Der gezähmte Soldat - Thomas GAST

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Werte fehlten, wurde mir erst bewusst, als ich 1979 zur Bundeswehr eingezogen wurde. Diese Erkenntnis war nicht sofort da. Sie kam schleichend, zog sich über lange Monate, ja über Jahre hinweg. Eines Tages aber wirbelte all das durcheinander, von dem ich bisher dachte, es sei bereits geordnet. Als aus diesem unglaublichen Wirbel plötzlich Stille wurde, fühlte ich mich angekommen. Angekommen in der damals eher komplexbefreiten Welt der Uniformträger. Der Dienst gefiel mir und so blieb ich vier Jahre.

      Später dann - wir schrieben bereits das Jahr 1985, bewarb ich mich bei der französischen Fremdenlegion. Ich wurde auf Anhieb genommen. Im Jahr 2002, nach einundzwanzig Jahren Armee, hängte ich die Uniform definitiv an den Nagel. Es folgten lange interessante Jahre, ausgefüllt mit vielen Jobs im internationalen Sicherheitsgewerbe.

      So kann ich guten Gewissens behaupten, dass ich ein vielgereister Mann bin. Immer jedoch, wenn es in der Vergangenheit darum ging mein grundsätzliches Nicht-Einverstanden-Sein gegenüber irgendeiner Sache meine Heimat - und Europa betreffend auszudrücken, schwieg ich. Mein ständiges auf Achse sein war nicht der einzige Grund für mein Schweigen. Um gehört zu werden, so war ich bisher der Meinung, sollte ein Mann sich politisch engagieren. Jahraus, jahrein den Koffer in der Hand, fand ich, dass jede Form von politischem Engagement eine Sache der Sesshaftigkeit sei.

      Wer mitreden will, so sagte ich mir, muss zu Hause bleiben. Nur das macht Sinn. Mich politisch zu engagieren aber - und das wusste ich, würde mir mein Recht nehmen, mit eigener Stimme zu sprechen. Heute habe ich meine Koffer abgestellt. Und ich bin nicht grundsätzlich einverstanden. Nicht mit allem. Sprachrohr einer Partei oder einer Lobby zu sein, lehne ich ab. Ich spreche in eigener Sache, weil keine politisch angehauchten Ketten mich zur Räson rufen. Weil ich ein freier Mensch bin.

      Jetzt, im Alter - ich bin sechsundfünfzig, beginnt ´la dernière ligne droite`, die letzte gerade Linie. Sehr zurückgezogen lebend, sehe ich daher keinen Grund, nicht auf die Beobachtungen meines oft turbulenten Soldatenlebens zurückzugreifen. Als ehemaliger Uniformträger und Unteroffizier gleich zweier europäischer Länder nehme ich mir das Recht heraus, einige Worte zur ewigen Debatte einiger in den Medien immer wiederkehrenden, schwerwiegenden Themen anzubringen.

      Zum einen geht es um die Verunglimpfung unserer Soldaten vonseiten der Gesellschaft und vonseiten einiger Politiker. Die Rede ist unter anderen von den Traditionen der Truppe. Das Thema führt uns unweigerlich in die dunkelste Epoche deutscher Geschichte: Zu den Schandtaten des Nazi-Regimes!

      Als Mensch und Soldat hege ich höchstens Abscheu für das, was wir unter dem Begriff Nationalsozialismus verstehen. Man muss aber darüber reden können. Und man sollte auch fähig sein, die Spreu vom Weizen trennen. Nicht alles was aus dieser Zeit bis zu uns vordringt war schlecht und nicht jeder Soldat in Hitlers Armee war ein skrupelloser Nazi. Wer heute in der Öffentlichkeit steht und eine ansprechende Position hat, der verallgemeinert gerne. Man will und muss ja schließlich politisch korrekt sein. Alleine die bloße Erwähnung der Worte Hitler oder Waffen-SS bringt Männer und Frauen, insofern sie öffentliche Ämter bekleiden, in Teufels Küche. Das ist umso wahrer, wenn diesen beiden Worten ein – egal wie, positiver Touch anhaftet. Je mehr man aber verallgemeinert, desto leichter macht man es sich selber und desto schwerer wird es, auch mal eine ganz andere Wahrheit zu akzeptieren. Zum Beispiel die, dass der gewöhnliche deutsche Soldat ein guter Soldat war. Setzen wir hinter dem Wort Moral mal ein großes Fragezeichen, so durfte an seiner fachlichen Kompetenz kaum gerüttelt werden.

      Zum anderen möchte ich meine Meinung zur militärischen Einsatzkonzeption Europas kundtun und versuchen, aus meiner Sicht zu erklären, warum beides – ein gezähmter Soldat und eine schlagkräftige Europa-Armee, eng zusammenhängt aber in dieser Konstellation, gezähmt – schlagkräftig, eben nicht zusammenpasst. Der Leser darf sich nicht davon irritieren lassen, dass einerseits von einer Bastion Europa die Rede ist und dass nur eine Seite weiter von einem offenen Weltenstaat ganz ohne Grenzen gesprochen wird.

       Die Bastion Europa?

      Wir sind auf dem Weg dorthin. Ihn zu gehen, ist richtig.

       Und für den Rest? Für diesen Weltenstaat?

      Nun, bald schon werden wir feststellen, dass wir nur zwei Wege beschreiten können. Entweder raffen wir uns zusammen und werden eins oder wir gehen geschlossen einer Katastrophe entgegen. Unser Überlebensinstinkt wird uns sicher mitteilen, dass er erste Weg der richtige ist. Hier müssen wir sorgsam darauf achten, die Etappen nicht zu überspringen. Ein vereintes starkes Europa mit einer gemeinsamen Europa-Armee, bestehend aus mündigen, kritischen professionellen Soldaten ist ein Beginn. Erst wenn wir dieses anspruchsvolle Ziel gemeistert haben, folgt der nächste Schritt: Der Übergang in eine neue Weltordnung! Ich sehe in Teilstrecken, denke nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten plus.

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      Rückblick in die Zukunft

      Meine Bundeswehr-Kameraden und ich sammelten, hegten und pflegten unsere erworbenen Abzeichen, Buttons und Anstecknadeln. Das war schon was. Um es salopp auszudrücken, mit dem stürzenden Adler am Barett, mit dem Einzelkämpfer- und dem silbernen Springerabzeichen auf der Brust lief es sich gut durch menschenüberfüllte Straßen. Dass wir stolz waren, das sah man uns schon von weitem an. Und wir waren zu Recht stolz. Als Soldat verstanden, gesehen und aufgenommen zu werden lag uns sehr am Herzen. Vor allem auch deshalb, weil wir - im Gegensatz zu vielen anderen Soldaten anderer Einheiten, nicht einfach den Dienst abrissen, sondern tatsächlich glaubten, für die Gesellschaft etwas zu leisten. War es John Fitzgerald Kennedy, der sagte: ´frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage lieber, was du für dein Land tun kannst?`

      So unglaubwürdig es heute auch klingen mag, aber Worte wie diese wüteten in uns. Sie hatten Auswirkungen auf unsere ganze Art zu sein. Sie ließen uns mehr wegstecken. Sie trieben uns an, mehr zu geben und selbst Schikanen etwas Positives abzugewinnen. Wir hatten Spaß am Dienst, sahen nicht im Minutentakt auf die Uhr, vom ständigen ins Handy glotzen ganz zu schweigen. Zu geben anstatt zu nehmen war kein bewusster Prozess. Aber es war so.

      Der Gedanke an den vielzitierten ´Staatsbürger in Uniform` verlieh uns mit Sicherheit keine Flügel. Zumindest spann uns die Idee daran keine Richtschnur an die wir uns klammern konnten oder wollten, denn schließlich war jeder Deutsche ein Bürger, aber nicht jeder Bürger war Soldat.

      Auch spricht der Begriff ´Staatsbürger` von einer gewissen Reife. Von einer Reife, die wir jungen Hitzköpfe mit achtzehn noch lange nicht hatten. Wie auch? Gerade den Kindesschuhen entwachsen waren wir noch viel zu sehr mit unserer Selbstfindung beschäftigt. Über eine Sache aber waren wir uns einig: Soldat sein war etwas Besonderes!

      Bis zu einem gewissen Grad dachten wir staatsbürgerlich aber unser Denken war hauptsächlich soldatisch geprägt. Die rüde soldatische Kameradschaft und das aus ihr hervorgehende stark geprägte Männlichkeitsideal bestimmten unser Auftreten und unser Verhalten bis in die Familie. Bis hinein in den nicht militärischen Freundschaftskreis. Ein Zivilist und ein Zeit- oder ein Berufssoldat, das waren zwei verschiedene Welten.

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      Von Minirevolten und von Monte Cassino

      Mal ‘ne dicke Lippe riskieren wenn man sich im Recht glaubte, imponierte den Ausbildern und Vorgesetzten. Das gaben sie zwar in der heißen Situation nie zu, aber wir sprachen darüber. Abends. Nach dem Dienst. Beim Bier. Die Tatsache, Soldat und insbesondere Fallschirmjägersoldat zu sein, berührte uns sehr tief. Mich gleich dreimal. Warum? Weil alleine

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