Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST
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Was hat mir das Leben in der Legion gebracht?
Im Gegensatz zu dem Warum gibt es hier keine Gräber dunkler Seelen. Die Antwort liegt auf der Hand. Ich hab mich selbst gefunden. Heute weiß ich die alltäglichen Kleinigkeiten besser zu schätzen. Der vorzüglich gedeckte Frühstückstisch zum Beispiel. Für viele Menschen in Europa oder anderswo ist er Normalität. Für mich jedoch stellt er ein kleines Wunder, einen Tresor dar. Ein Schluck kühles Wasser, wenn der Durst schreit, banal? Ich denke, nein; ich weiß, dass er kostbarer ist als ein Lottogewinn! Menschen nach der „Optik“, nach ihrem Aussehen zu beurteilen, ist das Schlimmste, was man tun kann. Auch das brachte die Legion mir bei. Es kommt nicht darauf an, wie jemand aussieht, wo er herkommt, welche Kleider er trägt oder wie er sozial aufgestellt ist, sondern was alleine zählt, ist, wer er wirklich ist. Der Mensch zählt. Es zu halten, wie Antoine de Saint-Exupéry es brillant auf den Punkt bringt: »On ne voit bien qu'avec le cœur. L'essentiel est invisible pour les yeux.« Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist unsichtbar für die Augen – das ist für mich ein Leitsatz geworden. Leider, so stelle ich in unserer Zeit jeden Tag erstaunt und entmutigt fest, handeln viele Menschen in Europa nicht danach. Das Flüchtlingsdrama 2015 trug nicht dazu bei, dass die Verständigung der Länder untereinander besser wurde. Viele sehen nur „die Anderen“, kaum aber „die Menschen!“ und so geht die Menschlichkeit dahin. Die Worte „geht nicht“, „unmöglich“ haben für mich ihren Sinn verloren, weil die Fremdenlegion mich täglich gelehrt hat, dass es immer ein Voran gibt, dass „alles“ zu schaffen ist. Auf den Willen kommt es an, denn er versetzt Berge. Ich habe gelernt, über den Tellerrand zu schauen, und es mir verboten, zu essen, wenn neben mir jemand hungert. Durch meine Reisen mit der Legion in fern liegende, fremde Länder ist mir bewusst geworden, dass, besonders in Europa, viele Menschen im Überfluss leben. Täglich gebärden sie sich so, als stünde ihnen dieser Überfluss zu. Oft sind es dieselben Menschen, die nicht begreifen wollen, dass nicht weit weg von uns – und oft gar mitten unter uns – Trauer, Leid und Armut herrschen. Es sind diejenigen, die ihre Augen und Türen (und ihre Herzen) verschließen vor all dem Elend, das uns umgibt. Ich habe gelernt zu teilen, mit wenig auszukommen, habe die tiefe Bedeutung des Wortes Toleranz erfahren. Im Schweiß des Angesichtes, im Schmerz, im Hunger und im Durst und auch im Feindfeuer erfuhr ich, dass die Interessen des Einzelnen immer erst hinter den Bedürfnissen der Gemeinschaft kommen. Mir das in der Praxis einzuverleiben war ein enormer Schritt in Richtung Menschwerdung. Keine Universität der Welt hätte mir ein umfassenderes Wissen (Wissen um die Menschen, Wissen um das „Humane“ an sich) und bessere Werte vermitteln können als die Schule Fremdenlegion. Ich habe auch erfahren, dass das Leben sehr schnell zu Ende sein kann, weiß nunmehr, dass ich jeden Tag erleben will, als sei er mein letzter. Und genau das taten wir damals schon. Wir, die Legionäre. Oft frage ich mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich, anstatt der Legion beizutreten, in Deutschland geblieben wäre. Ich denke, ich wäre in der grauen Masse der Allerweltsmenschen untergegangen, die niemals erfahren würden, dass sie Essenzielles verpasst haben. Heute laufe ich mit hoch erhobenem Kopf einher. Meinen Preis dafür habe ich doch zahlen müssen. Der Legion den Rücken zugewandt, stellte ich nämlich mit Schrecken fest, dass in meiner Seele ein rastloses Monster schläft. Ein harmloses zwar, aber immerhin. Auf der Brust dieses Ungeheuers stand in grün-roten Buchstaben: „Einmal Legionär, immer Legionär!“ Nur ein klischeebehafteter Spruch? Von wegen! Man kann nicht 17 Jahre in der Legion gedient haben, nach Deutschland oder anderswohin zurückkehren, und das war’s dann. Meine Familie hat mitunter viel damit zu tun, dieses Monster – ist es einmal erwacht – zu besänftigen. Mal gelingt es ihr, mal nicht. Schafft sie es nicht, kommt es vor, dass ich meinen Rucksack packe und, sei es im tiefsten Winter und für zwei, drei Tage, nur mit meinem Hund in die anliegenden Wälder verschwinde. Auf meiner Schulter sitzt dann ein kleiner Teufel, der mich berät. Im Wald wird das Zelt aufgeschlagen, ein Feuer gemacht und eine Flasche Rotwein geköpft, trocken, s’il vous plaît. Das Ziel ist immer, mit einem Lächeln drei Tage später wieder daheim zu erscheinen. Hungrig, unrasiert und nachdenklich, aber glücklich und mit dem Wissen, dem „Teufel Legion“ wieder mal keins ausgewischt zu haben, bis zum nächsten, wohl auch vergeblichen Versuch. Doch das wird